Es geht auf den Acker

Philipp Winklers Debütroman Hool erzählt von einer Welt aus Gewalt und jungen Männern, die am Rande der Gesellschaft stehen. Der Autor reißt die Fassade ein und wirft einen intensiven Blick dahinter. Einzelschicksale und Zukunftsaussichten spielen dabei eine größere Rolle als der Fußball.

Von Lucas Schmidt

Bild: Klaus Friese via Flickr / CC BY-SA 2.0

Nach der Europameisterschaft in Frankreich und den dortigen zum Teil heftigen Ausschreitungen zwischen Hooligans ist das Thema aktueller denn je. Gerade im Zusammenhang mit diesen Ereignissen wirkt Philipp Winklers Hool wie ein auf den Punkt erschienenes Gegenwartszeugnis. Nominiert für den Buchpreis 2016, hat er seine Leserschaft überzeugt. Es gelingt Winkler, den Blick der LeserInnen für das Milieu zu schärfen, er sucht nach Erklärungen und Gründen für ein Leben in dieser fremden Welt, in der sein Protagonist Heiko Kolbe es zu etwas bringen will.

‘Ne Faust kommt mir entgegen. Ich nehm den Schwung mit. Tauche unterm Schlag durch. Werf mich gegen ihn. Er fällt nicht. Zu stabil, der Ficker. Ist am Prusten. Um mich rum fliegen sie vorbei. Verhakt. Verkantet. Im Schwitzkasten. Schlagend.

Heiko ist mittendrin. Teil in einer Szene, die die meisten Menschen nur aus dem Fernsehen kennen oder von den verwackelten YouTube-Videos, aufgenommen mit Handykameras: Zwei Trupps junger Männer stürmen aufeinander zu, dann fliegen die Fäuste. Abseits der Städte und Ortschaften, auf Äckern, unbehelligt von der Polizei. Heiko kämpft für Hannover 96. Aber der Fußball spielt dabei keine Rolle. Damit fing nur alles an. Eigentlich weiß Heiko nicht, wofür er kämpft. Er hat nur die Wut.
Der erste Besuch im Niedersachsenstadion bei Hannover 96 machte ihn zu einem »richtigen Mann«: »Denn was ich tat, machten sonst nur die Erwachsenen, und auch nur die Männer.« Damals war Heikos Welt noch normal oder zumindest nicht kaputt. Aufgewachsen ist er in der ländlichen Tristesse nördlich von Hannover. Dann zerbricht die Familie: Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter hat Mann und Kinder verlassen. Aus einem Urlaub in Thailand bringt sein Vater eine neue Frau mit. Heiko zieht während der Oberstufe von zu Hause aus und rasselt zweimal durch die Abiturprüfungen. Anschließend hält er sich mit einem Job im Fitnessstudio seines Onkels Axel über Wasser, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Axel ist ein Hooligan und er organisiert sogenannte Matches, Schlägereien zwischen zwei Gruppen verfeindeter Hools. Und Heiko soll eines Tages dessen Nachfolger werden.

Doch Winkler reduziert die Geschichte nicht auf die Matches. Er erzählt auch von dem anderen Heiko Kolbe. Der seiner großen Liebe Yvonne nachtrauert, die im Krankenhaus arbeitet und abhängig von Morphium ist und vor deren Wohnung er oft im Auto schläft. Er lässt die LeserInnen teilhaben an Heikos neuer Familie, die aus den Hools Kai, Ulf und Jojo besteht. Und früher auch aus Jojos Bruder Joel, der in der B-Jugend von Hannover 96 spielte. Regelmäßig besuchen sie sein Grab: »Einer von uns, ein waschechter Roter.« Dadurch wird klar, dass die Freunde mehr vereint als der Hass auf verfeindete Fußballfans.

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Philipp Winkler
Hool

Aufbau Verlag 2016
310 Seiten, 19,95€

Sie verfolgen die Spiele in ihrer Stammkneipe, dem sogenannten Timpen, und beziehen klar Stellung gegen Rechts. Notfalls auch mit den Fäusten. Für Heiko ist die Gewalt mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung, sie ist sein Leben. Auch nach einer Katastrophe, die Kai fast das Augenlicht kostet, wird Heiko im Gegensatz zu seinen Freunden nicht klar, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen könnte. Anstatt es ihnen gleichzutun und sich auf ein geordnetes Leben zu besinnen, zählt für Heiko nur Rache. Nun droht ihm auch noch der Verlust seiner Ersatzfamilie.

Philipp Winkler, der sowohl Kreatives als auch Literarisches Schreiben studiert hat, schafft eine durch Rückblenden geprägte Erzählstruktur. Nach und nach bringt er Heikos Vergangenheit ans Licht, arbeitet Joels Selbstmord auf und platziert kleine inhaltliche Puzzleteile, die sich Seiten später zusammenfügen. Dem Autor gelingt somit etwas, wogegen sich RezipientInnen oftmals unterbewusst, und nicht ganz zu Unrecht, sträuben: Empathie mit Gewalttätern, in diesem Falle mit Freizeitschlägern.

Die Figuren sind authentisch und sagen Dinge wie »ablatzen«, »Vaddern«, »f’jeden« und »Pimmelköppe« – ob nun im Kneipenjargon oder Soziolekt. Winkler ist selbst in der Gegend aufgewachsen und kennt die Landstraßen, auf denen Heiko unterwegs ist, kennt den Typ Mensch, dessen Sprache. Der Autor betont, nie selbst ein Hooligan gewesen zu sein. Nicht einmal regelmäßiger Stadionbesucher war er, weil er es sich schlichtweg nicht leisten konnte. Dennoch beschreibt er in seinem Buch die Welt aus Gewalt so intensiv, als sei er selbst Teil davon gewesen. Sein Romandebüt gibt Einblick in ein Thema, das in dieser Form in der deutschsprachigen Literatur noch nicht häufig behandelt wurde. Dabei stellt Winkler den Fußballsport per se nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Vielmehr verdeutlicht er die Bewältigung von Trauer, Problemen mit Familie, Freunden und Jobs, die die Protagonisten an den Rand der Gesellschaft drängen. Ohne diese dabei aber allzusehr sympathisch zu machen. Und die LeserInnen bleiben am Ende vor der Frage: Ist die Entscheidung der Figuren für Gewalt eine freiwillige oder eine notwendige?

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