Fußball hinten angestellt

Philipp Winkler war am 4. April 2017 zu Gast im Literarischen Zentrum Göttingen und las aus seinem von Kritikern gelobten Debütroman Hool, der prompt auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises landete und im Oktober 2016 mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Außerdem sprach er mit dem Frankfurter Literaturkritiker Christoph Schröder unter anderem über das Problem der Authentizität und sein Studium des Kreativen Schreibens.

Von Lucas Schmidt

Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Literarischen Zentrums

»Darauf muss ich erstmal klarkommen«, sagt Philipp Winkler, und meint nicht seinen plötzlichen Erfolg, sondern das ungewohnte Headset-Mikrofon. Vorgestellt wird der junge Autor von Christoph Schröder, der sich zum einen mit Fußball auskennt – er ist Schiedsrichter –, zum anderen war er 2016 Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises. Mehr als gute Voraussetzungen also, um durch den Abend zu führen. Nach kurzer Eingewöhnungsphase hat Philipp Winkler die ersten Passagen seines Romans gelesen. Sein Protagonist Heiko Kolbe ist ein aufmerksamer Beobachter, keinesfalls dumm und sein Tonfall ist ernst. Man hört den sorgsam gewählten Worten Winklers gerne zu, was nicht zuletzt an Heikos oft derber Wortwahl liegt, die das Publikum mindestens zum Schmunzeln bringt.

Intensive Beschreibungen der Gewalttaten lässt Winkler bewusst aus. Hooliganismus und Gewalt bilden nur die Projektionsfläche des Romans, wie Christoph Schröder einleitend festgestellt hat. Heikos Geschichte handelt von einer zerrütteten Familie und einem jungen Mann, der Halt sucht und diesen in einer Gruppe Hannoveraner Hooligans findet. Der Fußball rückt in Hool in den Hintergrund. Irgendwie passend, denn zeitgleich am Abend spielen sowohl Philipp Winklers bevorzugter Fußballverein SV Werder Bremen als auch Eintracht Frankfurt, der Favorit Christoph Schröders. Beide können auf den Liveticker heute verzichten.

Der entscheidende Impuls für das Schreiben kam wohl von Winklers Mutter: »Junge, wär‘ das nicht was für dich?«, habe sie gefragt und kurz darauf hatte sich Philipp Winkler an der Uni Hildesheim mit einigen Kurzgeschichten beworben. Irgendwann im Laufe des Studiums hatte er die Kurzgeschichten satt. »Wir haben uns dafür zu geil gefühlt und waren der Meinung, jetzt unseren ersten Roman schreiben zu müssen«, sagt Winkler und kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Das sei natürlich großer Quatsch gewesen. Nichtsdestotrotz begann er mit der Arbeit an Hool, nachdem er auf Rat eines Dozenten Themen gelistet hatte, die ihn auch in zehn Jahren noch interessieren würden. »Und Hooliganismus stand nun mal ganz oben auf meiner Liste.« Rückblickend habe er im Studium viel gelernt, vor allem der Austausch mit anderen Studierenden sei sehr wertvoll gewesen. »Ich denke nicht, dass ich mich sonst als Autor so schnell entwickelt hätte.«

Die Frage, ob er selber Hooligan gewesen sei, muss sich Winkler bei jeder Lesung gefallen lassen, auch wenn er sie »zum tausendsten Mal« verneint. Dass diese Frage dennoch immer wieder gestellt wird, liegt an der so authentisch gestalteten Figur des Heiko Kolbe. Auch Christoph Schröder hakt nach. Wie viel Philipp Winkler steckt in Heiko? Bis auf sein Alter und die Kenntnis der ländlichen Gegend des Romans nichts, behauptet der Autor und sträubt sich ein wenig gegen den Begriff Authentizität. »Was authentisch ist, entscheide nicht ich, sondern allein der Leser.« Die Gemeinsamkeiten habe er bewusst gewählt, auch der Einfachheit halber. »Wenn Heiko in meinem Alter ist, fällt es mir natürlich leichter, in den Rückblenden zu erzählen, wie wir uns damals gefühlt haben, wie wir gesprochen haben.« Mit diesen Rückblenden arbeitet Winkler im Roman Heikos Kindheit auf. Stück für Stück fügt sich das Bild von Heikos Familie zusammen. Auch über seine Freunde Kai, Ulf, Jojo und dessen inzwischen toten Bruder Joel erfahren die LeserInnen mehr. Anhand dieser Jungs, die allesamt keine stumpfen Schlägertypen sind, stellt sich die Frage nach dem Warum. Was bewegt junge Männer dazu, sich auf Äckern mit anderen Hools zu prügeln? »Es gibt wahrscheinlich so viele Gründe, wie es Hooligans gibt«, versucht Winkler zu erklären. Das Austesten des eigenen Körpers spiele dabei immer eine Rolle. »Was kann ich einstecken? Wie verhalte ich mich in dieser Stresssituation?« Für die meisten sei der Reiz wahrscheinlich der Kick, der Adrenalinrausch. Erfahrungsberichte hat der Autor lediglich von ehemaligen Hooligans oder aus Internetforen. Die aktive Szene ist – wenig überraschend – nicht sehr auskunftsfreudig. »In die richtigen Foren kommst du gar nicht erst rein. Das geht nur auf Einladung«, berichtet er. Allerdings seien Interviews oder Informationen aus erster Hand gar nicht erst das Ziel der Recherche gewesen. Winkler wollte sich nicht von Erfahrungen oder Schicksalen beeinflussen lassen. »Ich hatte meine eigene Geschichte im Kopf. Nachher kommt noch jemand und ich muss meine Kohle teilen«, sagt er und lacht.

An einem neuen Roman arbeitet er schon, allerdings lassen Lesungen und anderweitige Termine momentan wenig Zeit zum Schreiben. Am nächsten Tag geht es in Braunschweig weiter. »Feindesland«, sagt Christoph Schröder als Anspielung auf den Hool-Protagonisten Heiko Kolbe und seine Hooligan-Freunde, allesamt Anhänger von Hannover 96. Winkler lacht. »Das wird sicher interessant.« Zum Schluss erkundigt sich Philipp Winkler doch noch nach den Ergebnissen der Bundesliga. Werder Bremen hat gewonnen.

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