Keine Angst vorm Nichtverstehen

In einem Theaterprojekt mit Erstklässlern widmet sich das Stück Verstehen nicht verstehen der verbalen und körpersprachlichen Kommunikation in einer multilingualen Welt.

Von Marie-Theres Rohner

Bilder: Anton Säckl

Ein Kind schreibt etwas mit Kreide auf den Boden. Auf wundersame Weise (oder auch mit wunderbarer Technik) erscheinen die Buchstaben auf einer Leinwand, sodass sie für das Publikum lesbar werden: »Körper«. Daraufhin kommen zwei weitere Kinder auf die Bühne: Eines läuft vor und ruft dem anderen Kind »Hier!« zu. Das zweite Kind läuft mit geschlossenen Augen der Stimme entgegen, bis das andere Kind »Stop!« ruft und weiter läuft. So geht das Spiel über die ganze Bühne hinweg. Ansonsten ist es still im Saal. Nach und nach kommen weitere Paare dazu und die verschiedenen Stimmen werden zur Geräuschkulisse. Die Kinder verwenden verschiedene Sprachen und hin und wieder passiert eine Kollision, wenn sich die Laufwege überschneiden. Weiter geht es trotzdem.

Spielerisch und mit viel Bewegung haben Schülerinnen und Schüler einer ersten Klasse der Brüder-Grimm-Schule sich dem Thema »Verstehen« angenähert. Im Rahmen des »Theaterfestivals für-von-mit Kindern & Jugendlichen« wurde am 19. Juni die Premiere des Stücks »Verstehen nicht verstehen« im Deutschen Theater Göttingen gefeiert. Unterstützt wurden die Schülerinnen und Schüler von der Choreografin und Regisseurin Hanna Hegenscheidt, der Dramaturgin Sonja Bachmann sowie zahlreichen Lehrerinnen und anderen Helfenden. Das Bühnenbild wurde dezent gehalten, sodass die ganze Aufmerksamkeit den Schülerinnen und Schülern gehörte. Sie stammen aus verschiedenen Ländern und Kulturen, sprechen verschiedene Sprachen – äußerlich einen sie zumindest die Kostüme: blaue Hose, weißes Oberteil. Doch reicht das auch, um sich zu verstehen? Einführend betonen Hanna Hegenscheidt und Sonja Bachmann bilingual (versteht sich!), dass es sich bei dem Stück nicht um eine ganze Geschichte, sondern um eine Collage von mehreren Begegnungen und Situationen handelt.

SchülerInnen der Brüder-Grimm-Schule. Bild: Anton Säckl

Per Einspieler kommen weitere Schülerinnen und Schüler der Klasse zu Wort. Sie erzählen davon, was sie »nicht verstehen«. Manch einer versteht nicht, »warum die Umwelt vernachlässigt wird«, eine Andere, »warum Menschen sich immer streiten müssen«. Damit kann sich wohl jeder irgendwie identifizieren und es zeigt sich: Nicht verstehen gehört irgendwie zum Alltag. Wiederum jemand versteht nicht, »warum er das hier tun muss und was das soll« – das Publikum schmunzelt über so viel Ehrlichkeit. Manchmal wird auch etwas auf einer anderen Sprache erzählt. Nicht alle im Publikum verstehen das, aber durch den Kontext dann irgendwie doch. In einer nächsten Szene beschreiben die Kinder ihren Zustand, um dann etwas ganz anderes zu tun. »Ich bin ruhig«, sagt Eine und läuft wie wild umher. »Ich bin ein Mensch«, sagt ein Anderer und wir werden Zeuge, wie er zu Disco-Musik eine gekonnte Roboter-Imitation darbietet, die das ganze Publikum amüsiert. Anschließend machen alle Kinder den »Robot-Dance«.

Zum Abschluss sagen die Kinder per Einspieler auf wie ein Streit systematisch geschlichtet werden kann. Die systematische Herangehensweise scheint im Widerspruch zu dem zu stehen, was die letzten 45 Minuten gezeigt wurde: Konflikte auf spielerische Weise zu lösen. Das Stück lässt sehr viel Raum für Interpretation, da zwar auf der Bühne eine Menge passiert, die Szenen aber nicht in ein großes Ganzes eingeordnet werden. Dadurch kann jeder etwas Anderes in diesen Situationen sehen, ob groß, ob klein, mit unterschiedlichen sprachlichen sowie körperlichen Voraussetzungen. Die Kinder machen vor, dass Kommunikation nicht immer perfekt ablaufen muss, um erfolgreich zu sein. Im Gegenteil, sie kann gerade dann sogar Spaß machen, wenn mal etwas schief läuft! Man braucht also keine Angst zu haben, mal etwas nicht zu verstehen. Das macht Mut und Lust, sich auch mal im Alltag genauer umzuhören. Dabei funktioniert Kommunikation auf vielen Ebenen: Nicht nur auf der Wortebene, sondern auch auf der körperlichen Ebene – gerade das haben die Kinder mit ihrer bewundernswert aktiven und ausdauernden Performance gezeigt.

Geschrieben von
Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert