So Much To Tell

Neu und klassisch verbünden sich: Das Deutsche Theater Göttingen präsentierte kürzlich das Programm für die neue Spielzeit 18/19 und man darf sich freuen auf Dunkles, Kritisches und theatrales Immergrün.

Von Dorothee Emsel

Auf dem Bild (v.l.n.r.): Gabriele Michel-Frei, Verena von Waldow, Matthias Heid, Jascha Fendel, Sara Örtel, Sandra Hinz, Marcus Weide, Erich Sidler, Mathias Putterer, Inge Mathes, Sonja Bachmann

Die Litlog-Redaktion wohnte der Pressekonferenz zur Verkündung des neuen Programm-Karussells bei. Präsentiert werden soll hier nun eine freundliche Auswahl einiger Amuse-bouches.

Der Göttinger Soziologie-Dozent Sascha Münnich und Jan Philipp Stange, Frankfurter Regisseur, machen sich im Rahmen der Vorlesung 10 Jahre Finanzkrise daran, den Vorhang der Regierungs-Beschwichtigung, alles Eigenkapital sei sicher, beiseite zu schieben. Dahinter der Blick auf die Tatsachen: Demokratie wackelt, wenn die ökonomischen Verhältnisse im Land nicht mehr transparent sind.

Der freie Regisseur und Autor Lukas Linder nimmt sich mit Die melancholische Seite meines Steuerberaters einer Leiche in Göttingens Keller an: Das Produkt »SecuRente« wurde als ein Pensionssparmodell für den Kleinen Mann von der »Göttinger Gruppe« in den 90er-Jahren entwickelt. Schnell stellte sich heraus, dass es sich dabei um ein Schneeballsystem handelte, 250.000 KleinanlegerInnen wurden insgesamt um Milliarden geprellt.

Das Schauspiel Rot ist Anklage und Analyse zugleich: Der Stück- und Drehbuchautor John Logan schildert darin die innere Zerrissenheit des Malers Mark Rothko, die mit dem Auftrag, ein Wandgemälde für das Restaurant »Four Seasons« im New Yorker Seagram Building anzufertigen, einherging. Rothko verbirgt seine Ablehnung des restauranteigenen Upperclass-Plastiks nicht und malen möchte er gern, »something that will ruin the appetite of every son-of-a-bitch who ever eats in that room.«; das Honorar ist eben umfangreich. Dieses Self-Selling jedoch bringt Unruhe in die Künstlerseele. DT-Düster

Weil Jedermann und Jederfrau dieser Tage so sonnengeküsst durch die Straßen mäandert, hat sich die Redaktion entschieden, einige düstere Projekte der neuen Spielzeit aufzugreifen, denn es bedarf ja immer auch eines Gegenentwurfs zum Erfahrbaren.
In Alices Welt ist neuerlich angesiedelt in der Tiefgarage des DT, denn das hat bei 1984 schon hervorragend geklappt. Zudem entspricht die Weirdness des Untergrunds dem, was Dramaturg Matthias Heid verspricht: »Mit paradoxen Gedanken soll programmatisch das Publikum verunsichert werden.« Der Sprachzauberer des Viktorianischen Zeitalters Lewis Carroll hat mit seinen Alice-Romanen ein abstruses Figuren-Psychogramm entworfen, das die Realität nicht nur ihrer Daseinsberechtigung enthebt, sondern auch ihrer sprachlichen Ordnung. Hausregisseurin Antje Thoms verlegt die Wirrnis beider Welten (Alice´s und Carolls´) in unterirdische Labyrinthe.

1983 verfasste die englische Autorin Susan Elizabeth Hill die Gothic Novel The Woman in Black, die sich in traditionsreicher Haunted-House-Manier mit dem Verlust geliebter Menschen auseinandersetzt. Protagonist ist der junge Anwalt Arthur Kipps, der einem Auftrag folgend in das verlassene Eel Marsh House reist, um dort den Nachlass einer Verstorbenen zu regeln. Pittoreskes Landleben erwartet ihn dort allerdings nicht, denn die Kinder des Ortes sterben unter ominösen Umständen und Kipps selbst ist dauerschockiert von sich selbst öffnenden Türen, wimmernden Lauten, Geistererscheinungen. Nach der Theateradaption vom englischen Schauspieler und Autoren Stephen Mallatratt ist The Woman in Black das am kontinuierlichsten laufende Stück am Londoner Westend. Das DT legt die Produktion passenderweise in den Keller des Hauses.

Michail Bulgakows Meister und Margarita löste im Erscheinungsjahr 1966 fast massenhysterische Reaktionen aus. Gruppenlesungen und rege Diskussionen des Stoffs in der Öffentlichkeit übersetzten einen literarischen Kniff des Romans in die Realität: Der in Moskau erscheinende Leibhaftige bringt via Hypnose Chaos in Mensch und Metropole und damit stellt der Text die Frage nach der Rolle der Aufklärung in einer vollständig säkularisierten Welt.
Das Stück bindet Schauspiel-Studierende der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover mit ein, Dramaturg Heid wünscht sich damit ein »Mehrgenerationenprojekt in Ausbildung«. Nach einiger Aufführungszeit am eigenen Haus ist geplant, das Stück zudem im Studiotheater der Hochschule Hannover aufzuführen.

Die Spielzeiteröffnung im DT 2 kommt mit Die Blechtrommel, eines der prägenden Werke der frühen Bundesrepublik, in Monolog-Form daher. Bearbeitet von Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, und inszeniert vom freien Regisseur Theo Fransz, dessen Der Untertan zuverlässig seit drei Spielzeiten am DT Göttingen läuft, kreischt uns Protagonist Oskar Matzerath die Kriegsgeschichte eines ganzen Landes entgegen. Ausblicks-Miniatur

Nicht vergessen werden soll hier die in naher Zukunft liegende Produktion Spring Awakening, die ensuite vom 2.-29. Juni läuft und mal so gar nicht leise in die Spielzeitpause überleitet. Laut Intendant Sidler soll »ein Paukenschlag in den Landkreis gegeben werden«, der Wedekindsche Dauerbrenner kommt somit auch in Musical-Format daher. Regie führt Niklas Ritter, der schon mit Shockheaded Peter den umfangreichen Voice-Pool des Ensembles zum Einsatz brachte.

Das Festival DT am Puls vom 10.-17. Juni 2018 beherbergt neuerlich Produktionen unter der Mitwirkung von Laien aller Alterscouleur. Zu sehen sind u.a. die Stücke Die Tragödie des Macbeth des DT-Spielclubs, To Kill a Rainbow der freien Spielgruppe 15+, Du, Du und Du vom Kooperations-Club des boat people projekt und dem DT sowie Irrgarten des Menschseins, eine Stückentwicklung des Spielclubs der 16-79-Jährigen.

Dem DT zum Gruße nun Meloneneis-heischendes Spielzeitpausenwetter und dem Publikum: Bleibt dran und glücklich und sehet immer wieder hier.

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