Was passiert, wenn Liebe, Geld und Rache unheilvoll miteinander verstrickt sind? In Wut und Liebe lässt Martin Suter einen gescheiterten Künstler und eine verzweifelte Witwe ein riskantes Spiel beginnen. Der Roman erzählt von Moral und Gier und stellt die Frage, wie weit man für Liebe gehen darf.
Von Kristin Siemon
Der erfolglose Künstler Noah ist Anfang dreißig und wird von seiner Freundin Camilla verlassen. Die Buchhalterin hat sich mehr vom Leben erhofft und es satt, ihren Partner durchfüttern zu müssen. In seiner Verzweiflung betrinkt sich Noah in einer Bar, wo er zufällig auf die 30 Jahre ältere Betty trifft, die aufgrund einer schlimmen gesundheitlichen Diagnose ebenfalls am Boden zerstört ist. Rachsucht bewegt Betty schließlich dazu, Noah ein unmoralisches Angebot zu unterbreiten. Und weil dieser alles tun würde, um Camilla zurückzugewinnen, willigt er ein.
Ein letzter Wunsch
Betty Hasler ist herzkrank und hat nur noch einen Wunsch: Peter W. Zaugg soll sterben, bevor sie es tut. Zaugg ist der ehemalige Firmenpartner ihres verstorbenen Mannes Patrick Hasler, den sie in ihren Erzählungen nur noch liebevoll Pat nennt. Betty wirft Zaugg vor, dass er für den Tod ihres Mannes verantwortlich ist. Pat habe sich in der Firma, die früher noch »Zaugg&Hasler« hieß, totgearbeitet. Zaugg habe es sich hingegen all die Jahre gut gehen lassen und nichts als Bösartigkeit und Skrupellosigkeit im Sinn.
Die Erzählweise des Romans ist linear, ergänzt durch Rückblicke aus Zauggs und Bettys Perspektive, die die Handlung schrittweise entfalten. Noah und Betty treffen sich regelmäßig in der »Blauen Tulpe«. Je mehr Betty ihn in die Geheimnisse der Vergangenheit einweiht, desto größer wird sein Hass auf Zaugg. Der unmoralische Deal, der folgt, erinnert stark an Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame: Betty bietet eine Million, damit jemand Zaugg umlegt. In Suters Roman liegt das moralische Dilemma jedoch auf individueller und nicht auf kollektiver Ebene, da bei Dürrenmatt eine ganze Stadt ihre moralische Verantwortung ablegt, während Suter das Gewicht der Entscheidung einer einzelnen, innerlich zerrissenen Figur aufbürdet.
Eine Million Schweizer Franken könnte Noah gut gebrauchen, denn dann wäre er endlich finanziell unabhängig und seine große Liebe vielleicht noch nicht ganz verloren. Der Vorschlag lässt ihn zunächst zögern, doch die Aussicht auf ein neues Leben, frei von Geldsorgen, ist zu verlockend. Schließlich willigt er ein. Fortan spioniert Noah nicht nur seiner Exfreundin hinterher, sondern beobachtet auch Zaugg und folgt ihm bewaffnet auf dessen Joggingroute im Wald. Doch sein Gewissen holt ihn immer wieder ein und in den entscheidenden Momenten bringt er es nicht über sich, den Abzug zu drücken. Als dann ausgerechnet Zaugg eines seiner teuersten Werke kauft, glaubt Noah nicht mehr an Zufälle. Er wittert darin keine bloße Kaufentscheidung, sondern einen gezielten Schachzug, eine Provokation, mit der Zaugg seine Macht demonstrieren will.
Von gescheiterten Plänen und neuen Anfängen
In den verschiedenen Kapiteln widmet sich die personale Erzählinstanz entweder Noah oder Camilla. Dadurch erhalten die Leser:innen ein facettenreiches Bild der Hauptfiguren und ihrer inneren Konflikte. Noah erscheint als leidenschaftlicher Künstler, der zwischen moralischen Zweifeln, Liebeskummer und Existenzangst schwankt. Camilla wirkt eher rational und sicherheitsorientiert, weil sie sich von Noah trennt und nach Stabilität sehnt. Betty schließlich lässt sich von ihrer Wut leiten, ist aber im Umgang mit Noah erstaunlich liebevoll, fast schon mütterlich, und gibt ihm mitunter gut gemeinte Ratschläge. Neben der Haupthandlung des Auftragsmordes verlaufen sich die Figuren jedoch zeitweise in weniger interessanten Nebenerzählungen. So steigt Camilla in das Business »Young&Beautiful« ihrer besten Freundin Liz ein, was sich jedoch schnell als Fehlentscheidung herausstellt, weil Liz keine Kontrolle über die Finanzen hat und das Unternehmen bankrottgeht.

Wut und Liebe
Diogenes: 2025
304 Seiten, 26 €
Auch Camillas Affäre mit dem deutlich älteren und verheirateten Carl bleibt oberflächlich und endet folgenlos. Immerhin erkennt Camilla danach, was sie wirklich will: Noah. Dieser entwickelt währenddessen eine freundschaftliche, zeitweise auch intime Beziehung zu Katy, einer jungen Frau aus dem Atelier über ihm. Sie wird zu seiner Vertrauten und fängt ihn emotional auf. Die Figuren Liz, Carl und Katy bleiben eher eindimensional: Ihre Geschichten tangieren die Haupthandlung nur und ihre inneren Konflikte und Gefühle werden kaum ausgearbeitet. Dadurch wirken sie beinahe überflüssig. Gegebenenfalls wäre es für die Erzählung wirkungsvoller gewesen, sich auf wenige Figuren zu konzentrieren, statt auf zahlreiche flache Charaktere und diese dafür facettenreicher zu gestalten. Dieses Stilmittel könnte aber auch bewusst gewählt sein, um den Fokus stärker auf die zentralen Themen und die moralischen Dilemmata zu legen.
Zu viel auf einmal?
Nach dieser Episode finden Camilla und Noah zwar wieder zueinander, stehen aber beide finanziell vor dem Nichts. Camilla hofft auf Noahs angebliche Zusammenarbeit mit der renommierten Galerie »Gebert&Lüthi« – nicht zuletzt, weil sie sich Unterstützung bei ihren Schulden ausrechnet. Doch Liz entlarvt die Illusion per SMS: Lüthi kennt Noah gar nicht. Schließlich kommt erneut der reiche Zaugg ins Spiel. Camilla, die inzwischen über Noahs Auftragsmord Bescheid weiß, meint halb im Ernst, man müsse ihn ja nicht gleich erschießen; ihn hinter Gitter zu bringen, reiche erstmal aus.
Trotz spannender Wendungen und einer guten Grundidee fällt die Erzählung stellenweise etwas holprig aus. Besonders die Vielzahl an gleichzeitigen Entwicklungen, seien es Liebeskonflikte, Rachepläne, finanzielle Nöte oder Lügen, sowie die ständigen Perspektivwechsel, erschweren die Orientierung.
Abgründe und Intrigen
Camilla erhält eine dreimonatige Probezeit als Human Ressource Managerin in der Firma »Company Manual«, die ausgerechnet von dem zwielichtigen Unternehmer Zaugg geleitet wird. Bei Nachforschungen im Archiv entdeckt Camilla Hinweise auf undurchsichtige Geldflüsse und beginnt, Nachforschungen anzustellen. Sie nutzt ihre Position, um hinter die Fassade zu blicken und bringt dabei nach und nach dunkle Geheimnisse ans Licht, die längst begraben schienen. Besonders spannend ist die Enthüllung, dass Pat – den Betty stets idealisiert hat – eine vielschichtigere und fehlerbehaftete Persönlichkeit gewesen ist, als es zunächst den Anschein hatte. Dies wirft Fragen über seine wahre Rolle und die Geschichte, die Betty erzählt hat, auf. Die Enthüllungen über Pat sorgen für ein ständiges Wechselspiel aus Ahnung und Überraschung – und genau das hält die Geschichte bis zum Ende spannend.
Suter in Bestform – aber nicht Spitzenklasse
Auf 291 Seiten besticht der Roman durch den typischen Suter-Stil – elegant, knapp und mit einem feinen, oft humorvollen Ton:
»Noah kettete das Rad an einen der Fahrradständer neben dem Parkplatz und spazierte zügig den Waldweg hinauf. Ganz oben leuchtete klein und gelb der schnelle Zaugg.«
Die Erzählung erinnert an Dürrenmatts Besuch der alten Dame, vor allem durch die gebotene Million, dreht sich dabei aber um ein individuelles moralisches Dilemma. Im Verlauf merkt die Leser:innenschaft, dass unter der Oberfläche mehr steckt als zunächst vermutet. Wer Suter schätzt, wird auch diesen Roman mögen, sollte jedoch keine Höchstleistungen wie etwa bei Die dunkle Seite des Mondes (2000) oder Ein perfekter Freund (2002) erwarten. Insgesamt bleibt der Roman hinter anderen Werken Suters zurück, bietet aber dennoch eine lesenswerte Auseinandersetzung mit List und Missgunst. Was als Akt der Großzügigkeit erscheint, entpuppt sich als Teil eines viel größeren Spiels. Die ach-so-verzweifelte und kranke Betty zieht mehr Fäden, als man ihr zunächst zutraut…