Der Teufel trägt Donutsocken – zumindest manchmal. Wo lässt sich das sehen? Im Theater im OP wird der klassische Faust von Goethe als eine transfeminine Coming-out Story interpretiert und modernisiert. Regie führt Erin Arnold.
Von Ellanora Io Stüven
Bild: Dirk Opitz (Ben Matz als „Mephisto“, Rebekka Köcher als „Faust“)
Anfangs sitzt Faust, von Gefühlswechseln und Stimmen geplagt, in ihrem mit Pizzakartons vermüllten Zimmer. So viel zu wissen und doch keine Leichtigkeit im Leben zu spüren, plagt sie, aber vor allem der Gedanke: »Du bist nicht normal«. Ihr Assistent Wagner macht sich Sorgen. Schließlich taucht Mephisto in einer großartigen Tracht auf, bringt alles durcheinander und schlägt ihr den aus dem Original bekannten Pakt vor: Der Teufel zeigt Faust, wie es sich im Moment lebt – im Tausch gegen Fausts Seele, die ihm im Jenseits dienen soll. Das »Im Moment leben« wird im Stück dargestellt, indem Mephisto Faust in eine Club- und Barszene einführt. Faust trifft Gretchen, doch ein erster Flirt schlägt fehl. Im Club gibt es mehrere Gesangsauftritte: Lieder im faustschen Deutsch zu moderner Schlagermusik – eine seltsame, aber unterhaltsame Erfahrung.
Erst nach wiederholten Annährungsversuchen geht Gretchen auf Faust ein. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte, an deren Höhepunkt Faust sich jedoch zurückzieht: Die Dysphorie, die Diskrepanz zum eigenen Körper, ist zu groß. Die Angst davor, versagt zu haben, die Angst davor, queer zu sein, verfolgt sie. Mephisto steht tröstend beiseite. Als Teil der Angst, queer zu sein, wird auf der Bühne ein Traum Fausts eindrücklich dargestellt: Es werden Fragen in dem Raum gestellt, die nach dem alten »Transsexuellen-Gesetz« für eine Geschlechtsänderung beantwortet werden mussten. Diese Fragen sind vor dem Stück mit den treffenden Worten »Publikumsinteraktion« und »Queerfeindlichkeit« als Triggerwarnung angekündigt: Zuschauende sollten also vorbereitet sein, teils amüsante, teil skurril-invasive Fragen zu ihrer Schambehaarung und zu ihrem Umgang mit lästigen Hunden gestellt zu bekommen.
Schließlich begleitet Faust den Teufel in einen queeren Club, möglicherweise angelehnt an die Walpurgisnacht im Originaltext. Dort ist Faust sichtlich beeindruckt von der Performance einer Dragqueen. Sie wird ermutigt, sich auszuprobieren, steht schließlich im Kleid da und realisiert: »Verweile doch, du Augenblick, du bist so schön!«
Trans Repräsentation
Über kaum ein queeres Thema wird so viel diskutiert wie über trans Repräsentation in Medien und Öffentlichkeit. Gibt es dann mal einen Ort, an dem trans Geschichten repräsentiert werden, geschieht dies oft eher oberflächlich. Zwei Filme aus der jüngeren Mediengeschichte sind beispielsweise The Danish Girl (2015) und Emilia Perez (2024). Jede Form von Repräsentation, besonders von trans Identitäten, entfaltet eine besondere Wirkung, wenn sie nicht ausschließlich problemzentriert dargestellt wird, sondern als Teil einer komplexen Biografie erscheint – vergleichbar mit einem Geburtsland: etwas, das prägt, Perspektiven formt und Entscheidungen beeinflusst, aber nicht die gesamte Identität ersetzt. In diesem Aspekt hätte das Stück noch etwas differenzierter sein können. Dennoch soll dieser Text nicht der Haltung verfallen, jede Abweichung von der eigenen Erfahrung als unzureichende Repräsentation zu kritisieren.
Im Fokus des Stücks steht Fausts Leidensweg bis zur Akzeptanz der eigenen Identität und die Transition, weil dies eben das ist, was für die Mehrheit interessant ist. Nach ihrem Coming-out endet das Stück, obwohl sich viele trans Menschen einig sind, dass das in der Regel erst der Anfang ihrer persönlichen Geschichte ist. Die Akzeptanz-Story ist nahezu die einzig gezeigte im Mainstream, was nicht per se falsch ist, trans Personen aber auf eine Andersartigkeit, auf ihren Schmerz und ihre Dysphorie reduzieren kann.
Da es leider erst seit jüngerer Zeit vermehrt und explizite genderqueere Repräsentation Kulturprodukten wie Theaterstücken, Filmen und Serien gibt, ist diese natürlich an Erwartungen verschiedener Menschen mit vielen unterschiedlichen Erfahrungen geknüpft, sodass es teils zu großen Enttäuschungen kommen kann. So können manchmal ungerechtfertigte Kritiken von »Diese Repräsentation meiner Identität entspricht nicht meiner Erfahrung« entstehen. Durch die Darstellungen von trans Realitäten, die es gibt, kann der Eindruck aufkommen, dass sich trans Erzählungen ähneln, weil beispielsweise der Fokus auf dem Leid, der Dysphorie und der Transition liegt – ähnlich der Faustadaption des ThOPs.
Einige Autor:innen wie Imogen Binnie mit Nevada und Casey Plett mit A Safe Girl to Love nehmen sich der Aufgabe bereits an, trans Leben auch nach der Transition darzustellen. Natürlich muss und kann dies nicht in jedem Werk abgebildet sein. Wünschenswert ist dennoch mehr diverse und vielschichtige Repräsentation von unterschiedlichen individuellen und kollektiven Geschichten und Erfahrungen, die trans Kulturschaffende sowohl auf der Bühne als auch auf Papier erzählen.
Trotz diesen Kritikansätzen ist das Stück Selbstausdruck einer Transition und in Teilen werden sich trans Personen darin wiederfinden. Alle Transitionen sind individuell und so werden es auch die Meinungen zu diesem Stück sein. Es ist schön, dass die Umsetzung von Eine trans* Erzählung nach Faust I überhaupt in dieser Größenordnung realisiert werden konnte – und dass Göttingen ein großartiges Umfeld bietet, das Interesse an trans Erzählungen zeigt, in dem die Aufführungen gut besucht waren.