Ein Kessel Tristes

Bei seinem Auftritt im Marburger KFZ präsentiert Autor und Musiker Heinz Strunk seine metafiktionale Kolumnensammlung Nach Notat zu Bett. Darin deckt er die ganze Bandbreite seines vielseitigen kreativen Outputs ab und räumt mit dem Mythos des literarischen Genies auf.

Von Fabio Kühnemuth

Bild: © Dennis Dirksen (unter Genehmigung des Rowohlt Verlags)

Seinem selbst auferlegten »Karriereplan« folgend, veröffentlicht der Autor Heinz Strunk jährlich ein Buch. Dabei wechselt sich »echte Literatur« mit von Strunk sogenanntem »Gebrauchstext« ab – eine Unterscheidung, die nicht zwingend von Geringschätzung des letzteren zeugt. Vielmehr versteht Strunk die zwei Ansätze schlicht als verschiedene Gattungen, die beide gleichermaßen ihre Daseinsberechtigung haben. Nach Notat zu Bett. Heinz Strunks Intimschatulle, Strunks Sammlung von Kolumnen aus dem Satiremagazin Titanic, muss in Strunks Sinne sicher als Gebrauchstext gelten und wird daher sicher nicht dasselbe Maß an Aufmerksamkeit erfahren, die seinerzeit dem vom Feuilleton umjubelten Roman Der Goldene Handschuh (2016) zuteilwurde. Strunks Kolumnensammlung ist eine Mischung aus autofiktionalem Tagebuch und einer Persiflage auf die von Strunk gehassten Lebensratgeber, deren »Powersätze« dennoch ein ewiges Faszinosum für ihn darstellen und die auch in Das Strunk-Prinzip (2014) sowie Strunks bis dato letztem Roman, Jürgen (2017), eine prominente Rolle spielen.

So will Heinz Strunk sein Schreiben und seinen Auftritt auch folgerichtig als »Dienstleistung« verstanden wissen – und scherzt dabei mal wieder nur so halb. Insgesamt ist Nach Notat zu Bett außerordentlich abwechslungsreich und auch in seiner Tonalität merklich positiver als Strunks bislang letzte Veröffentlichung, der sehr düstere Erzählungsband Das Teemännchen (2018). Durch die vollkommene Offenheit der Tagebuch-Form kann Strunk sich nach Belieben austoben. Das schlägt sich auch in der gelösten Stimmung des Autors bei der Lesung im Marburger KFZ nieder. Auf diese durfte man nach der Lektüre des Buches besonders gespannt sein, nimmt Strunks literarisches Alter Ego doch in seinen Kolumnen immer wieder Bezug auf die für ihn lästigen Lesereisen (»Lesung wie immer. Unsagbar öde für mich, Publikum merkt es hoffentlich nicht« bzw. »Sie verübeln mir, dass sie bescheuert genug waren zu kommen«). Wie so oft bei Heinz Strunk lässt sich allerdings auch hier nicht mit Bestimmtheit sagen, was ernst gemeint und was schlicht Teil der Selbstinszenierung als unnahbarer Literatur-Sonderling ist.

Autofiktion als Handwerk

Doch in Marburg lässt sich der »Kunst- und Kulturschaffende mit Schwerpunkt Humor« (Eigenbezeichnung) gegen Ende der Lesung tatsächlich ein wenig in die Karten schauen. Die immer wiederkehrenden Figuren und Orte des Schatullenalltags sind allesamt erfunden und dienen als Aufhänger bzw. Vorwände für Strunks Gedankenspiele. Die grundlegende Struktur von Nach Notat zu Bett verdankt sich Strunks persönlicher Leidenschaft für literarische Tagebücher, deren Autor*innen er auch gerne und oft zitiert, allen voran Franz Kafka und J. M. Coetzee, Strunks großes literarisches Vorbild – nicht zuletzt in Sachen Untrennbarkeit von (Auto-)Fiktion und Realität. Bei der Lektüre dieser Tagebücher habe Strunk, so erzählt er im Rahmen der Zugabe der Lesung, im Wesentlichen zwei Tendenzen ausmachen können: die Erwähnung komplett banaler Alltäglichkeiten (wie etwa die Zusammensetzung des Speiseplans oder meteorologische Begleitumstände) auf der einen, sowie »das beständige Gejammer über die eigene Unzulänglichkeit« auf der anderen Seite.

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Heinz Strunk
Nach Notat zu Bett. Heinz Strunks Intimschatulle

Rowohlt: Hamburg 2019
256 Seiten, 20,00€

Besagtes Gejammer ist nun Wasser auf die Mühlen eines Heinz Strunk, der aus dem beschriebenen Kontrast Kapital zu schlagen vermag und seinem nicht ganz ungerechtfertigten Ruf als »Elendskomiker« mal wieder alle Ehre macht. Seine Reflexionen über den Schreibprozess sind allemal erfrischend, zeichnen sie doch nicht das herkömmliche Bild des literarischen Genies, dem die Inspiration nur so zufliegt. Vielmehr versteht Strunk das Schreiben als schlechterdings einzige Möglichkeit, mit dem Leben überhaupt klarzukommen:

Aus der Not heraus soll Literatur entstehen!«

Dementsprechend unpathetisch, unglamourös, unverklärt und unromantisch sind Strunks Berichte vom eigenen Schaffensprozess, der »Fron am Schreibtisch«, die ganz und gar nichts Erhabenes an sich hat, sondern harte Arbeit bzw. Handwerk ist: »Lustlose, quälende Produktion (allein das Wort spricht Bände), bis ich mir am Abend endlich den Alkohol einschenken darf.«

»Qualität kommt von Qual«

Unter diesen Vorzeichen erscheint der eingangs erwähnte, regelmäßige und hochfrequente kreative Output noch einmal in ganz anderem Licht. Als »freiwilliger Gefangener der Muse« fühlt sich Strunk dem »ständige[n] Druck, liefern zu müssen« ausgesetzt:

Arbeit am Roman fortgesetzt (auch nach nunmehr neun nicht gänzlich misslungenen Büchern noch immer eine sagenhafte Quälerei, man kann es gar nicht oft genug erwähnen!)

Dieses Schwelgen in Selbstzweifeln, Minderwertigkeitskomplexen und einem omnipräsenten schlechten Gewissen ist natürlich immer auch ein Kokettieren mit der eigenen (vermeintlichen) Unverstandenheit, die zeitweise ins Selbstmitleid zu kippen droht. Dass daran irgendetwas lustig sein soll, ist vielleicht schwer zu glauben. Strunks Ideen-Sammelsurium gleicht einem Kessel Tristes. Konterkariert und aufgelockert wird dieser aber paradoxerweise durch eine weitere Neurose Strunks, der »Angst vor Ideen«, den zahllosen Nonsense-Einfällen bzw. »Ein-Euro-Gags«, die ein Eigenleben zu entwickeln scheinen und die mitunter sehr lustig sind, ohne dass man im Einzelfall genau sagen könnte, wieso. Willkürlich gewähltes Beispiel: Strunks Gegenstück zum Feinschmecker, der »Grobschmecker« bzw. »Schmackofant«.

Ihre volle Wirkung entfalten viele Text(fragment)e denn auch erst bei der Lesung; Strunks Präsenz ist ein unschätzbarer Mehrwert gegenüber der bloßen Lektüre. Der Begriff Lesung wird Strunks Darbietung allerdings auch nur sehr bedingt gerecht. Er selbst kündigt seine »Heinz Strunk-Show« als Kombination aus »High-End-Literatur« und »geiler Bumsmusik« an. Letztere entstammt seinem im August bei Audiolith erschienenen Album Aufstand der dünnen Hipsterärmchen, von dem er einige Titel live zum Besten gibt. Die Lieder, viele von ihnen eher Spoken-Word-Performances als klassische Popsongs, sind indes mit Vorsicht zu genießen. Wer den Strunk-Kosmos kennt und schätzt, wird an Titeln wie Abgelaufen ihre*seine helle Freude haben; für Neuankömmlinge werden sie musikalisch wie textlich wohl eher wenige Anknüpfungspunkte bieten. Als Einstiegsdroge in die komisch-abgründige Welt des Heinz Strunk sind nach wie vor der Debütroman und große Publikumserfolg Fleisch ist mein Gemüse (2004) sowie die Kino-Mockumentary Fraktus (2012) des Komik-Trios Studio Braun wärmstens zu empfehlen.

»Etwas Unverständliches lesen regt an«

Wie diese Show, wie Heinz Strunk beschreiben – diesen Pendler zwischen Hochkultur und Fäkalhumor? Der Facettenreichtum seiner Themen ist atemberaubend. Man müsste den Abend als Achterbahnfahrt bezeichnen, wenn das Bild nur nicht so abgedroschen wäre. Strunk zitiert reißerische Schlagzeilen und Sternstunden des linearen Fernsehens, berichtet von seiner Pilgerreise entlang deutscher Autobahnkirchen, hält wiederholt leidenschaftliche Plädoyers für die gesellschaftliche Akzeptanz von Kannibalismus (»raus aus der Schmuddelecke«) und performt vollkommen ironiefrei Jazz-Standards auf dem Saxophon. Die musikalischen Speisekarten oder Metaerzählungen wie das Kinderbuch Die Käsis, das vor rührend-infantilen Wortspielen nur so strotzt, zeugen von einem geradezu kindlichen Vergnügen an Sprache und sind Quell großartiger running gags. Die (wie Strunk beteuert wahrheitsgetreue) Wiedergabe seiner Google-Suchverläufe ist so banal wie wahrhaftig und sagt im Grunde mehr als jede Autobiografie.

Manchmal fällt sogar die eiserne Maske und Strunk muss selbst lachen oder zumindest schmunzeln. Auch die – mutmaßlich zu seiner eigenen Unterhaltung – eingebauten Abweichungen vom bzw. Ergänzungen zum Text des Buches tun dem Stoff gut. Alle tragen sie das Strunk’sche Gütesiegel »eigenwillig, aber immerhin nicht ganz unoriginell«. Nein, Unoriginalität kann man dem Autor ganz sicher nicht vorwerfen. Strunk schließt das Tagebuch mit einem Vorsatz, der sein Werk optimal zusammenfasst: Sein erklärtes Ziel ist die »ironische Hinnahme des Daseins«.

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