Göttlicher Widerspruch

Jude Law stellt als kettenrauchender Papst in Paolo Sorrentinos HBO-Serie The Young Pope die katholische Welt auf den Kopf. Ist das nur House of Cards im Vatikan oder doch etwas ganz anderes?

Von Christian Dinger

Bild (im Design abgeändert): Die Gebrüder Opel via Wikimedia / CCO

Strahlend steht er auf dem Balkon, der frisch gewählte Papst aus Amerika – jung und unglaublich attraktiv. Er breitet segnend seine Arme aus und die Regenwolken verschwinden über dem Petersplatz. Dann ruft er der jubelnden Menge zu: »Was haben wir vergessen? Wir haben vergessen zu masturbieren! Verhütungsmittel zu benutzen! Abtreibungen durchzuführen! Hochzeiten abzuhalten für Lesben und Schwule!« Die Menge auf dem Petersplatz verstummt, Nonnen bekreuzigen sich, Kardinäle fallen in Ohnmacht. Es ist nur ein Traum, den Papst Pius XIII. in seiner ersten Nacht als Papst hat. Tatsächlich wird er die katholische Welt in den kommenden Tagen und Monaten schockieren. Allerdings auf eine ganz andere Weise, als es diese erste Szene von Paolo Sorrentinos The Young Pope nahelegt.

In der von HBO, Sky und Canal+ entwickelten Serie, die im deutschsprachigen Raum seit Oktober 2016 auf Sky Atlantic zu sehen ist, spielt Jude Law den Papst. Einen Papst, der mit seinen 47 Jahren unverschämt jung ist. Einen Papst, der zum Frühstück nur eine Cherrycoke Zero trinkt und rauchend durch den apostolischen Palast stolziert. Doch anders als in seinen Träumen ist er in der Wirklichkeit keinesfalls liberal. Homosexuelle Priester lässt er aus der Kirche schmeißen und den anderen verbietet er, Frauen, die abgetrieben haben, die Absolution zu erteilen. Darüber hinaus treibt er seine Mitarbeiter in den Wahnsinn, indem er Staatsgäste vor den Kopf stößt, die Öffentlichkeit meidet und unliebsame Kardinäle einschüchtert. Selbst in Zeiten von Trump ist man schockiert von so viel reaktionärer Radikalität, die man nicht einmal von den konservativsten Vertretern dieser ohnehin schon sehr konservativen Institution gewöhnt ist.

Gleichzeitig entbehrt das Verhalten von Pius XIII. nicht einer gewissen Kontinuität in der römisch-katholischen Kirche. Alleine der Name, den sich Jude Law alias Lenny Belardo gibt, spricht Bände. Pius IX. war der erste Papst, der für sich das päpstliche Unfehlbarkeitsprinzip in Anspruch nahm. Und auch die übrigen Beschlüsse des jungen Papstes knüpfen an ein vormodernes Verständnis des Pontifikalamts an: Er nimmt die päpstliche Tiara wieder in Besitz, jene dreistöckige Krone, die einst die weltliche Macht des Papstes symbolisierte und von Paul VI. während des Zweiten Vatikanischen Konzils verschenkt wurde; er lässt sich von den Kardinälen die Füße küssen und er fordert vom italienischen Ministerpräsidenten die Neuverhandlung der Lateranverträge, die 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und der italienischen Regierung geschlossen wurden und den territorialen Anspruch des Vatikan auf das Gebiet der heutigen Vatikanstadt beschränkten. All das ist Ausdruck eines Verständnisses vom Papsttum, das vor nicht einmal hundert Jahren und auch dann erst Stück für Stück aufgegeben wurde. Und was sind hundert Jahre für eine zweitausend Jahre währende Institution?

macbook

The Young Pope

Autor/in: Paolo Sorrentino
Produktionsunternehmen: Wildside, Haut et Court TV, Mediapro, Sky Atlantic, HBO, Canal+
Seit 2016
Episoden: 10 in 1+ Staffeln
Genre: Drama


Was auf den ersten Blick an The Young Pope fasziniert, ist zunächst eine sehr einfache Sache: der Blick hinter die Kulissen der Macht. In die Schlafgemächer und Konferenzräume einer Institution zu schauen, die so mächtig wie geheimnisumwoben ist und ihre banale Menschlichkeit hinter einer pompösen Inszenierung verbirgt. Ein bisschen House of Cards im Vatikan, könnte man denken und liegt dabei zunächst einmal gar nicht so verkehrt. Zumindest die Hauptfiguren der beiden Serien scheinen einige Parallelen aufzuweisen. Pius XIII und Frank Underwood sind beide extrem ehrgeizig, skrupellos, ungeheuer selbstbewusst, gnadenlose Meister der Manipulation. Und beide sind in der Lage, die Zuschauer_innen immer wieder aufs Neue zu schockieren: entweder mit ihrer Kaltschnäuzigkeit oder aber mit einem unerwarteten Anflug von Empathie und Menschlichkeit. Doch während Frank Underwoods Charakter, seine Ziele und Motive trotz seines Facettenreichtums immer offen und psychologisch nachvollziehbar daliegen und dem Netflix-Publikum sogar durch Kevin Spaceys berühmtes Durchbrechen der vierten Wand regelrecht auf die Nase gebunden werden, bleibt Pius in The Young Pope ein einziges Mysterium. Mal erscheint er als ultrakonservativer Hardliner und Politprofi, mal als weinerliches Manchild, mal trägt er diabolische Züge, mal die eines wahren Heiligen, der einfach nicht vertraut ist mit den Vorgängen in der profanen Welt.

Die ständige Unsicherheit, was man nun also vom neuen Papst zu halten hat, wer oder was er eigentlich ist und was er will, ob er überhaupt an Gott glaubt oder nicht vielleicht doch sogar vom Heiligen Geist auserwählt wurde, umtreibt auch die übrigen Figuren der Serie. Einen Hinweis darauf gibt Pius bereits in der ersten Folge, als er noch Lenny Belardo heißt und von seinem geistigen Ziehvater Kardinal Spencer gefragt wird: »Wer bist du, Lenny?« Belardo antwortet: »Ich bin ein Widerspruch. Wie Gott, einer in dreien und drei in einem. Wie Maria, Jungfrau und Mutter. Wie der Mensch, gut und schlecht.«

Diese Widersprüchlichkeit mag einer der Gründe sein, weshalb sich The Young Pope nicht fürs Bingewatching eignet. Es gibt kaum Spannung, keine Cliffhanger, dafür viele Fragezeichen. Auch fordert die ästhetische, oft symbolisch aufgeladene, zuweilen surrealistisch anmutende Bildsprache von Regisseur Sorrentino höchste Aufmerksamkeit für die einzelnen Folgen der Serie. Alleine die Bilder der ewigen Stadt, der er schon in seinem wunderbaren Film La Grande Belezza ein bleibendes Denkmal gesetzt hat, machen die Serie sehenswert. Sorrentino ist ein Meister im Auffinden und Festhalten von Schönheit. Und so gelingt es ihm auch beide Seiten der katholischen Kirche darzustellen: ihre Verkommenheit und ihre Schönheit – ein Widerspruch, wie Gott und der Mensch.

Schlagwörter
,
Geschrieben von
Mehr von Christian Dinger
Auf Dauer fehlt die Power
Clemens Meyer schlägt in seinem neuen Erzählungsband Die stillen Trabanten leise Töne...
Mehr lesen
Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert