Die Fallout-Serie kreiert eine faszinierende wie verstörende Welt, die der Videospielreihe wie aus dem Code geschnitten gleicht. Trotz ihrer witzig-absurden Momente schafft die Serie einen tieferen Sinn, in dem sie erstmals den Grund für den Nuklearkrieg aufdeckt; und der ist deprimierend zeitgemäß.
Von Janina Schumann
Trotz großer Erwartungen und dem Zweifel, sie könne der Videospielreihe nicht das Wasser reichen, fallen die Kritiken zu der Amazon-Prime-Serie Fallout äußerst positiv aus. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Handlungsort des Ödlands, das vor dem Nuklearkrieg die USA war, visuell bis ins kleinste Detail der Spielewelt nachempfunden ist und sie überzeugend zum Leben erweckt. Während Spieler:innen zahlreiche Anspielungen auf die Spiele entdecken, ist sie für Zuschauer:innen ohne Vorkenntnisse trotzdem nicht unzugänglich. Denn Fallout geht über eine bloße Adaption hinaus und bietet eine originäre Geschichte mit neuen Charakteren, die nicht an die Handlung eines der Fallout-Spiele gebunden ist. Die Serie schlägt einen anderen Weg ein als andere erfolgreiche Videospielverfilmungen wie The Last of Us (2023), die klassisch nach Vorlage die Handlung verfilmen. Hierin liegt auch der Reiz für Langzeitfans: Die Serie reproduziert nicht nur, sie bietet auch neuen Stoff und Erklärungen zu Aspekten, die die Spiele vormals im Unklaren ließen, insbesondere den Grund des ‚großen Kriegs‘ von 2077.
Die Fallout-Welt gleicht bis einschließlich des zweiten Weltkriegs unserer realen Welt, doch ab dann weicht sie ab: Die Menschheit beginnt die Atomkraft für alles Mögliche, wie Roboter oder atombetriebene Autos zu nutzen. Futuristische Elemente werden dabei mit einer 50er-Jahre-Ästhetik vermischt, die Fallout den typischen, kultigen Anstrich geben. Doch in dieser Alternativwelt kommt es zu einem großen Ressourcenkrieg, der in einer katastrophalen nuklearen Zerstörung der USA endet. 200 Jahre später, in der Haupthandlungszeit von Fallout, findet man im lebensfeindlichen Ödland nur noch Ruinen des einstigen Wohlstands vor dem Krieg. Verschiedene Fraktionen haben sich unter den Überlebenden gebildet und stehen in Konflikt miteinander, ganz getreu der Grundaussage und dem bekanntesten Zitat Fallouts:
Eine dieser Fraktionen ist die von übergebliebener Vorkriegstechnologie besessene, militärähnliche Organisation der Stählernen Bruderschaft. Aaron Moten, bekannt aus Father Stu (2022) und Emancipation (2022), spielt als Maximus einen jungen Rekruten der Bruderschaft und damit einen von drei Protagonist:innen der Serie. Seitdem er als Kind die Zerstörung der Stadt Shady Sands überlebte und in einem prägenden Moment von einem Ritter der Bruderschaft aus den Trümmern geborgen wurde, idolisiert er die Organisation und ihre Überzeugung, dass alles zu tun sei, um »diese verdorbene Welt zu verbessern«. Im Laufe der Serie beginnt er ihre sektenähnlichen Rituale und ihre Motive zu hinterfragen. Maximus ist kein Held, für die ist in Fallout auch kein Platz. Er ist innerlich zerrissen, handelt manchmal instinktiv egoistisch und trifft nicht immer die schlausten Entscheidungen. Trotzdem, oder gerade deswegen, wird er sympathisch und man fiebert mit ihm mit, wenn er beginnt seinen eigenen Weg zu gehen.
Die Stärke der Serie liegt in ihren Charakteren. Sie sind alle irgendwie komisch und genau das macht sie gut. Sie fügen sich in die übertriebene Welt voll mutierter Monster ein und sorgen für eine gewisse Unvorhersehbarkeit in der Handlung. Protagonistin Lucy MacLean (Ella Purnell) wurde in einem Vault groß, einem von über 100 vor dem Krieg in den USA gebauten Atomschutzbunker der Monopolfirma Vault-Tec. Zu der Zeit, als die Bomben fielen, konnte sich nur ein kleiner Teil der Menschen in die Vaults retten, die seitdem über Generationen hinweg ein kleinstadtartiges Leben darin führen, bis die Oberwelt in ferner Zukunft wieder problemlos bewohnbar wird.
»Die Vaults waren nichts weiter, als Löcher in denen sich die gutbetuchten verkrochen haben, während der Rest der Welt gebrannt hat.«
Nachdem Vault 33 überfallen und der Aufseher des Vaults, Lucys Vater (Kyle MacLachlan), entführt wird, macht sie sich allein auf den Weg, um ihn zu suchen und betritt zum allerersten Mal das Ödland. Ihre muntere Art wird durch Ella Purnell nicht nur schauspielerisch gekonnt umgesetzt, auch das breite Lächeln und die großen runden Augen der Schauspielerin verkörpern Lucys Charakter perfekt. Lucy ist sympathisch und ihr bemüht positives »Okidoki« wird zur Catchphrase. Die Naivität der Vaultbewohner:innen, die strikt ihrem Alltag und den moralischen Vorzeigeprinzipien des Vaults folgen, muss Lucy im Ödland jedoch immer mehr ablegen. Sie muss sich gegen Gefahren wie Kopfgeldjäger und Organhändler behaupten und zum Ausgang der Staffel, ähnlich wie auch Maximus, die Ideale, mit denen sie aufgewachsen ist, hinterfragen.
Das Ödland ist geprägt von Gewalt, es mangelt an allem: Essen, Wasser, Sicherheit. Die schrulligen Charaktere sowohl im Vault als auch in den Orten an der Oberfläche und die lebendige Musik der 50er Jahre im Hintergrund schaffen eine für Fallout typische, ironische Stimmung. Die brutalen Szenen treffen Zuschauer:innen dadurch oft aus dem Nichts. Man weiß nicht, wie man sich fühlen soll. Einerseits wurde gerade jemand durch eine Tür in der Körpermitte zerteilt, andererseits läuft die kultige Musik einfach weiter und wirklich bestürzt scheint auch niemand zu sein. Einige Szenen erscheinen übertrieben brutal, gleichzeitig handelt Fallout jedoch vom Krieg und seinen Folgen – ein zwangsläufig mit Gewaltdarstellung verbundenes Thema.
Besonders brutal geht der wohl mysteriöseste unter den drei Protagonist:innen der Serie mit seinen Gegnern um. Cooper Howard (Walton Goggins) arbeitet vor dem Krieg als Schauspieler und wird als ‚Vault-Boy‘ zum Werbegesicht der Großfirma Vault-Tec. Er wird gegenüber der Firma sowie seiner Frau, die dort einen höheren Posten innehält, zunehmend misstrauisch und vermutet eine mögliche Verstrickung im Kriegsgeschehen.
»Mit dem Ende der Welt lässt sich sehr viel Geld verdienen«
Mittlerweile durch die Strahlung mutiert und praktisch unsterblich geworden ist er 200 Jahre später nur noch als ‚der Ghul‘ bekannt und als ruchloser Kopfgeldjäger gefürchtet. Während Cooper Howard in den Rückblenden wie ein liebender Vater wirkt, scheint er als ‚Ghul‘ gnadenlos und auf seine eigenen Ziele bedacht. Diese stellen sich im Verlauf der Serie jedoch als tiefgründiger und persönlicher heraus als bloße Geldgier. Die bereits angekündigte zweite Staffel könnte womöglich mehr über seine Geschichte verraten.
Mittels Cooper Howard nimmt die Serie immer wieder Bezug auf die Zeit kurz vor dem verheerenden Atomschlag und beleuchtet damit einen Zeitraum, der in der Spielereihe nie im Vordergrund stand. Zwar bekommt man in den Spielen einen Einblick in die Welt vor dem Krieg, doch blieb es immer ein Mysterium, wer wie es zur Eskalation kam und wer zuerst angriff. Während in den Fallout-Spielen die postnukleare Welt und die Menschen darin im Zentrum stehen, kann Fallout als Serie mithilfe der Rückblicke und dem Ghul als verbindendem Element die Auslöser des Kriegs und dessen Folgen gleichermaßen in den Blick nehmen. Spätestens hier wird klar, dass sich Fallout gegenüber Kritiker:innen, die fragen, warum man denn ein Videospiel überhaupt noch verfilmen muss, nicht rechtfertigen braucht.
»Man hat uns erzählt, die Atombombe würde das Ende aller Kriege bedeuten. War nicht der Fall, oder?«
Es ist kein Zufall, dass die Nuklearwüste, in der die Serie spielt, im einstigen Kalifornien liegt. Kalifornien verkörpert den amerikanischen Traum und Fallout lässt ihn platzen: Nicht nur für Cooper Howard, der immer verbitterter wird je mehr er die US-Propaganda durchschaut, sondern auch für Lucy, die ihr Leben an der ironisch veralberten Leistungsgesellschaft der Vaults ausrichtete, bis sie die Realität der Menschen an der Oberfläche kennenlernt. Letztendlich wird der Traum auch für Zuschauer:innen zerplatzen, die sich das Ende der Staffel anschauen und die Gründe für den Krieg erfahren.
Die überspitzten Charaktere, die Gewalt, die 50er-Jahre-Ästhetik vermischt mit der hyperkapitalistischen US-Propaganda der Vorkriegszeit und die gierigen Megafirmen, die aus dem Kriegsleiden Profit schlagen: Alles in Fallout ist übertrieben. So baut die Serie, wie es auch die Videospielreihe tut, ihre Kapitalismus- und Imperialismuskritik auf. Fallout zeigt, wie sich Menschen selbst nach der Zerstörung der Welt wegen Ressourcen und Geld bekriegen – sogar, wenn ihre Währung nur noch aus 200 Jahre alten Kronkorken besteht.