Die Autorinnen Kenah Cusanit und Nataša Kramberger sprechen bei der Lesung Zwischen Blättern – eine Gartenblütenlese über Kontrolle, Sprache und Landwirtschaft. Was passiert, wenn Ordnung wichtiger wird als das Gespräch mit der Natur? Der 5. Juni ist ein Abend über Vielfalt, Widerstand – und den Mut, Ungewissheit auszuhalten.
Von Marie Luise Böttcher
Bild: Marie Luise Böttcher
Noch wenige Stunden vor Beginn wird nervös die Regenradar-App aktualisiert. Ein stiller Wunsch nach Kontrolle – nicht untypisch, wenn es um Natur geht. Im Rückblick wirkt diese Geste wie eine Vorahnung. Denn die Gartenblütenlese im Gemeinschaftsgarten Geismar kreist thematisch gerade um den Versuch, Natur planbar zu machen, und die Notwendigkeit, Ungewissheiten auszuhalten. Die Texte, aus denen an diesem Abend gelesen wird – Nataša Krambergers autofiktionales Buch Mauerpfeffer und Kenah Cusanits essayistischer Text Senatore Cappelli – spiegeln diese Erfahrungen auf unterschiedliche Weise wider.
Am Abend selbst wirkt das Bangen überflüssig. Eine Lichterkette weist den Weg durch den verwinkelten Garten und mit einem Glas Weißwein in der einen und frisch gepflückten Erdbeeren in der anderen Hand nimmt man unter den Baumkronen Platz. Justin Ciuche an der Violine und Jann Michael Engel am Cello eröffnen den Abend mit drei kurzen Musikstücken, deren Tempo und Stimmung sich von ruhig bis lebhaft steigern. Mit sichtlicher Freude stimmen sie das Publikum auf das Folgende ein und bereiten die Bühne für die zwei geladenen Autorinnen. Auch am Ende des Abends greifen sie noch einmal zum Bogen – ein musikalischer Rahmen, der den Abend trägt.
Die Autorinnen Kenah Cusanit und Nataša Kramberger verbindet mehr als ihr schriftstellerisches Handwerk: Beide berichten über den Umstand, dass sie durch ihre Mütter zu Land gekommen sind, das sie ursprünglich gar nicht gewollt hatten. Wie die Verfasserinnen im Gemeinschaftsgarten miteinander reden, so scheinen auch ihre Texte miteinander im Gespräch zu sein. Gekonnt greifen Cusanit und Kramberger die Bilder der jeweils anderen auf, zitieren aus dem Text der anderen, als wäre es der eigene. Dass sie ohne Mittelsperson moderieren, lässt ein Gespräch auf Augenhöhe entstehen – vertraut und aufmerksam. Neckende Metakommentare zur Gesprächsführung fehlen dabei ebenso wenig wie überraschende thematische Richtungswechsel, die den Abend auf angenehme Weise unberechenbar halten.
Wenn die Natur widerspricht
Dass der Natur unsere Saatgutkalender gleichgültig sind, musste Kramberger früh erfahren. Nach ihrem Studium kehrte sie mit großen Plänen aus Berlin auf das Stück Land in Slowenien zurück, das ihrer Mutter buchstäblich über den Kopf gewachsen war. »Ich habe alles richtig gemacht, und es ist alles falsch gelaufen«, sagt sie rückblickend über ihre ersten Jahre als Landwirtin.
Als sie ihre Großmutter um Rat bat, trug diese ihr auf, beten zu üben. Dass sie es mit einer höheren Macht zu tun hatte, wurde ihr schließlich in einem Moment bewusst, den sie in ihrem Buch Mauerpfeffer festgehalten hat: Als ein alter Walnussbaum gefällt werden musste, erhob sich der Wald. Der Himmel verdunkelte sich, Vögel kreisten kreischend über dem Hof. Fünf Feuerwehrmänner könnten es bezeugen, versichert sie. Ob Magie oder Zufall: Kramberger musste lernen, dass rationale Planung im Umgang mit der Natur selten aufgeht. Ihr Wunsch nach klaren Regeln wich »Trial and Error«, sagt sie und fügt schmunzelnd hinzu: »Error ist auch okay.« Mit liebevoller Selbstironie beschreibt sie, wie sie all ihr Wissen aus dem Kommunikationsstudium brauchte, um mit der Natur ins Gespräch zu kommen.
Die Zähmung beginnt mit dem Namen
Kramberger und Cusanit verbindet ein feines Gespür für das Verhältnis von Sprache und Natur. Beide zeigen, dass es nicht nur darauf ankommt, dass wir etwas benennen, sondern wie und mit welcher Absicht. Pflanzennamen sagen oft mehr über die Menschen aus, die sie vergeben, als über die Pflanzen selbst. Als Krambergers Partner und ihre Großmutter mit zunehmender Verzweiflung versuchen herauszufinden, ob sie von der gleichen Pflanze sprechen, verheddern sie sich in einem Knäuel aus volkstümlichen und lateinischen Begriffen. Es treffen zwei Weltzugänge aufeinander, doch der Mauerpfeffer bleibt unbeirrt derselbe.
Anders ist es, wenn gänzlich neue Sorten gezüchtet werden – ihr Aussehen und ihre Namen unterliegen dann ganz der Verfügung des Menschen. So entstehen Weizensorten, die je nach Zeitgeist und politischer Wetterlage Marschall, Merlin, Kanzler oder sogar Monopol und Zentrum heißen. Die Sprache, mit der wir die Natur benennen, spiegelt oft ein Bedürfnis nach Ordnung wider – manchmal auch die Herrschaftsmechanismen der jeweiligen Zeit.
Die Logik der Glätte
Cusanits Essay Senatore Cappelli, der mit dem Deutschen Preis für Nature Writing ausgezeichnet wurde, legt diesen Wunsch anhand eben jener Weizennamen humorvoll und trotzdem gnadenlos offen. Es klingt eine Kritik an fragwürdigen Verbindungen von Ökologie und Ökonomie an, wobei das Bundesinstitut für Risikobewertung zum unfreiwilligen Symbol des Widerspruchs wird: Dieses warnt vor Dinkel, nicht aber vor Glyphosat jeweils mit dem gleichen Argument: Es sei unklar, ob es schade. »Da muss man doch drüber schreiben«, ruft Cusanit ins Publikum und ein Zwischenapplaus gibt ihr recht.
Später projiziert sie Bilder an eine Leinwand: Weizenhalme neben menschlichen Darmzoten, Hefeteige neben Herzkammern. Was sich zeigt, ist ein Prinzip: Alles Gesunde ist unregelmäßig und fraktal. Der gezüchtete Weizen hingegen ist glatt und gleichmäßig – und damit häufiger unverträglich und weniger resilient gegenüber Extremwetterereignissen. Es sei ein Bild für das, was wir versuchen, mit Ökosystemen, Körpern und Menschen zu tun, ordnet Cusanit den künstlerischen Exkurs ein: Wir fördern Gleichförmigkeit auf Kosten von Widerstandsfähigkeit. Sie schlägt den Bogen zur Schule: Auch dort sollen alle gleich schnell und auf dieselbe Weise wachsen. Im Publikum müssen viele erstmal durchatmen – als hätte die Verbindung, die Cusanit da zog, etwas Persönliches berührt. Der Zwang zur Kontrolle stehe zwischen uns und einem gesunden Verhältnis zu unserer Mitwelt, schlussfolgern beide Autorinnen.
Mittendrin
Man fühlt sich ertappt. Noch wenige Stunden zuvor hatte man sich gewünscht, das Wetter ließe sich kontrollieren, und gehofft, dass der Regenradar zuverlässig ist. Das Publikum kann sich den Themen des Abends nicht entziehen: Es sitzt buchstäblich mittendrin. Was andernorts abstrakt bleibt, wird hier direkt spürbar – aber nicht lähmend. Denn anders als viele andere Diskurse zum Klimawandel hinterlässt dieser Abend ein versöhnliches Gefühl.
Vielleicht braucht es tatsächlich Künstler:innen, um Landwirtschaft zu betreiben: Menschen, die bereit sind, Ungewissheit nicht nur auszuhalten, sondern fruchtbar zu machen. »Bilder sind die reine Evidenz«, erklärt Cusanit, »aber Geschichten verbinden Wahrheit mit Trost.« Und das geschieht an diesem Abend: Zwischen Blättern bleiben Gäste, Musiker und Autorinnen nach der Lesung im Austausch. Krambergers liebevoller Rat wirkt nach: »Natur sind auch Menschen. Mit ihnen muss man auch im Gespräch sein.«