Sammelband mit Triggergefahr

Der Sammelband Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen versucht, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus zusammen zu problematisieren. Herausgekommen ist eine erstaunlich differenzierte Großkritik linker Irrtümer.

Von Stefan Walfort

Bild: Via Wikimedia Commons, gemeinfrei

Dass die linkspolitische Szene Kuriositäten gebiert, ist nicht neu. In den 60er Jahren schossen dogmatische Kleinstgruppen von marxistisch-leninistisch bis maoistisch und stalinistisch wie Pilze aus dem Boden. Die sogenannten K-Gruppen kehrten der Kritischen Theorie den Rücken und beerdigten jeden Anspruch auf dialektisches Denken. Einfache Schemata von Gut und Böse, im Mittelpunkt die USA und immer wieder obsessiv Israel als vermeintlicher Teufel in Staatengestalt, waren fortan die Leitplanken, an denen viele sich orientierten. Rudi Dutschke und Hans Jürgen Krahl, denen aufgrund ihrer profunden Lektüre der Frankfurter Schule eine vielschichtigere Gesellschaftsdiagnose zuzutrauen gewesen wäre, heizten in zahllosen Sit-Ins und 1968 auf dem berühmt-berüchtigten Vietnam-Kongress mit ordentlich Zunder den regressiven Furor an. Von der RAF-PLO-Connection, Flugzeugentführungen, dem Schwarzen September und weiteren mörderischen Irrwegen braucht hier nicht weiter die Rede sein; andernorts sind schon Unmengen dazu geschrieben worden, beispielsweise »Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?« München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus (Rowohlt 2013) von Wolfgang Kraushaar und Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt (C.H.Beck 2017) von Petra Terhoeven.

Heutzutage sind von dem Geist, der damals linke Strömungen beherrschte, nur noch kümmerliche Reste übrig, was deren Verfechter*innen nicht davon abhält, ihre Irrelevanz durch immer schrillere Töne zu kompensieren und sich in immer beknackteren Konstellationen zu Querfronten zusammenzuschließen. Auch einzelne queerfeministische Strömungen sind nicht frei von kuriosen Ansichten – so weit, so trivial.

Wie aus manchen Schüler*innen von Karl Marx ›Vulgärmarxist*innen‹ wurden, so erleben wir momentan die Verbreitung einer vulgären Identitätspolitik mit fundamentalistischen Zügen,

so treffen die Herausgeber*innen des Sammelbands Trigger Warnung Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel den Nagel auf den Kopf. Dabei bashen sie jedoch nicht plump das gesamte doch sehr heterogene queerfeministische Milieu, ohne dessen progressiv-emanzipatorische Impulse Opfer von Diskriminierung sicher noch weniger zu lachen hätten als ohnehin.

Neu ist an diesem Band, auf welch hohem Reflexionsniveau, wie differenziert und bei allem Aufreger-Potenzial dennoch gelassen der Großteil der – durchaus selbst im weitesten Sinne links zu verortenden – Verfasser*innen der Beiträge diverse Spinnereien problematisiert, darunter auch gefährliche wie »Pinkwashing«-Vorwürfe gegenüber Israel.

»Pinkwashing«-Vorwürfe sind alter Wein in neuen Schläuchen

Unter »Pinkwashing« verstehen aus dem Umfeld der BDS-Bewegung (gegen die im Sommer ein Appell an die Bundesregierung gerichtet wurde) stammende Israelfeind*innen wie die Terrorismusapologetin Jasbir Puar eine Machttechnik der israelischen Regierung: Um angebliche Verbrechen gegenüber Palästinenser*innen zu vertuschen, geriere sich die Regierung homo- und queerfreundlich. Dabei erzeugen Puar und weitere Verfechter*innen solcher Ansichten den Eindruck, als habe die queere Szene Israels nicht selbst – bottom up – diverse Erfolge beim Kampf um Anerkennung errungen. In Puars Weltbild sind Fortschritte auf diesem Gebiet stattdessen Ergebnis einer Top-down-Inszenierung, in der queere Aktivist*innen nur als Marionetten eines vermeintlich allmächtigen Puppenspielers in Gestalt des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu vorkommen. Erst neulich sorgte dessen Bildungsminister Pafi Peretz mit Forderungen nach sogenannten Konversionstherapien, deren Fürsprecher*innen in Homosexualität eine zu heilende Krankheit sehen, für Aufsehen – nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie realitätsfern das Strippenzieher-Narrativ ist. Freilich darf es in keiner antisemitischen Erzählung fehlen, hat es doch dort seit Jahrhunderten seinen festen Platz.

Dementsprechend enttarnen der Soziologe János Erkens und der Historiker Meron Mendel in ihrem Beitrag mit dem Titel Zu queer um wahr zu sein die Logik hinter dieser Art der ›Israelkritik‹: »Die Art und Weise, wie die Pinkwatcherinnen [also diejenigen, die ›Pinkwashing‹ anprangern] die Gleichzeitigkeit von scheinbar widersprüchlichen Phänomenen – die relative Freiheit von LGBTIQ in Israel einerseits und die weiterhin bestehenden Diskriminierungen andererseits – deuten und sie mit der Palästinapolitik Israels verknüpfen, ist dichotomisierend verkürzt und folgt einer spezifischen antisemitischen Logik: Israel wird dabei zum ›Juden unter den Staaten‹ gemacht, dem kategorisch alles Schlechte zugeschrieben wird«. Selbst positive Entwicklungen werden dabei ins Verdammenswerte verkehrt, Jüdinnen wieder mal in No-Win-Situationen getrieben. Schon immer war das die Lieblingstaktik aller Antisemit*innen.

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Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel (Hg.)
Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen

Verbrecher Verlag: Berlin 2019
256 Seiten, 18,00 €

Wie das am Beispiel des »Pinkwashing«-Konstrukts und weiteren für BDS typischen Argumenten, beispielsweise der Anklage Israels als »Apartheidregime«, funktioniert, belegen Erkens und Mendel anhand des in der Forschung beliebten und von Nathan Sharansky entwickelten »›3D-Tests‹: Israelkritik ist demnach immer dann als antisemitisch einzustufen, wenn die Argumentation dabei mindestens eins der drei Ds aufweist: Delegitimierung, Doppelstandards, Dämonisierung«. Mindestens die beiden letztgenannten seien im Fall der »Pinkwatcher*innen« nachweisbar. Wenn es um BDS allgemein geht, empfiehlt sich zusätzlich eine Broschüre der Bildungsstätte Anne Frank, die als Mitherausgeberin des Trigger Warnung-Bandes verantwortlich ist: Dort spielt unter dem Titel 4 Gründe, warum BDS antisemitisch ist auch das erstgenannte D für Delegitimierung eine herausragende Rolle.

Niemand sollte sich um triggernde Inhalte herumdrücken

Neben dem Antisemitismus nehmen, anders als der Titel verheißt, Statements zu Triggerwarnungen vergleichsweise wenig Raum ein. Man versucht offenbar, ein möglichst umfangreiches Spektrum an Ausdrucksformen von Identitätspolitik zu berücksichtigen. Damit das nicht zu reduktionistisch ausfällt, haben die Herausgeber*innen vorwiegend höchst ausgewogene Beiträge zusammengestellt, die meistens schon mögliche Gegenpositionen antizipieren und erstnehmen. Dazu gehört zweifellos das Kapitel Trigger-Warnungen. Zur Politisierung eines traumatherapeutischen Konzepts, verfasst von dem Psychologen Markus Brunner. Ausgehend von »hitzige[n] Campus-Debatten an amerikanischen Universitäten« und »Klagen über Lehrveranstaltungen als potenziell traumatisierende Räume bzw. darüber, dass Lehrinhalte, allen voran literarische Werke, bei Menschen mit Gewalterfahrungen Retraumatisierungen auslösen (triggern) können«, konstatiert Brunner ein wachsendes Bedürfnis Studierender nach Schutz vor Triggern.

Längst seien »[a]uch in Deutschland« entsprechende Tendenzen zu beobachten; Brunner exemplifiziert das an der Debatte um das Eugen Gomringer-Gedicht an der Außenmauer der Alice Salomon-Schule in Berlin, auf die – nebenbei erwähnt – Lena Gorelik in ihrem Beitrag Oder kann das weg? Über Sexismus, Rassismus und die Freiheit der Kunst erneut und vertieft einen sehr differenzierten Blick wirft. Brunner leitet den Trigger-Begriff zunächst »aus der Traumatheorie« her; er »bezeichnet bestimmte Reize, die unwillkürlich die Erinnerung an ein zurückliegendes Trauma auslösen und dadurch Flashbacks hervorrufen können«. Dass Medienrezipient*innen »im Vorfeld gewarnt« werden, hält Brunner für durchaus angebracht, zumal es primär darum gehe, sich als Betroffene*r auf triggernde Inhalte vorbereiten zu können, so dass eine Überwältigung ausbleibt, nicht darum, sich generell um die Rezeption bestimmter Medien zu drücken. Für Brunner verläuft genau hier, beim »Sicheinlassen auf die Abgründe gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen«, die entscheidende Demarkationslinie.

Leider zeichneten sich in den Debatten rund um das Thema enorm polarisierende Standpunkte ab. Brunner plädiert für »nuanciertere Auseinandersetzungen«. Dazu gehöre einerseits, Konzepte hinter Triggerwarnungen ernstzunehmen, andererseits aber auch zu begreifen, dass ein inflationärer Umgang damit nichts tauge. Brunner selbst führt vorbildlich und in allen Einzelheiten nachvollziehbar vor, wie eine Synthese glücken kann.

Poststrukturalist*innen als Türöffner für Fanatismus

Ähnlich muss man sich auch die meisten anderen Beiträge vorstellen – Deborah Kriegs zum Beispiel; die Bildungsreferentin der Bildungsstätte Anne Frank erörtert an den Beispielen Totempfahl, Buddha-Figur und Dreadlocks, was genau sich hinter dem Reizwort ›Cultural Appropriation‹ verbirgt. Erst dann, »wenn sie historische Ausbeutungsbeziehungen, Machtgefälle und Übergriffe fortschreibt«, werde sie, die Übernahme von »Elemente[n] der Kultur einer anderen Gruppe (Kleidung, Musik, Tanz, Schmuck, Symbole …)«, zum Problem. Es gebe vielfältige Formen und vielfältige Gründe dafür. Daher rät Krieg von klaren Regeln und Pauschalurteilen nachdrücklich ab. Gleichzeitig appelliert sie an jede*n Einzelne*n, die jeweils individuellen Gründe zu reflektieren.

Thematisiert werden darüber hinaus die Erfolge der neuen Rechten und mögliche Versäumnisse der Linken – Fragen danach, was #MeToo letzlich gebracht hat, sowie nach Fallstricken postmoderner Theorie: Unter der Überschrift Wenn die Wahrheit verboten ist wirft der Journalist Gadi Taub poststrukturalistischen Denker*innen, vor allem Michel Foucault und Judith Butler, vor, mit ihren Absagen an »Wahrheit, Realität und universelle Werte […] Tür und Tor für wahre Fanatiker geöffnet [zu] haben«. Mit Taubs Verweis auf das Faible Butlers für »dschihadistische Bewegungen wie zum Beispiel die Hamas« schließt sich schnell der Kreis, und man landet wieder beim Antisemitismus. Dafür, Antisemitismus stärker als bisher innerhalb intersektionaler Ansätze zu berücksichtigen, werben gleich mehrere der Sammelband-Autor*innen. Man kann ihnen nur zustimmen; gerade diesbezüglich gibt es noch viel zu tun.

Insgesamt leistet der Band Beachtliches: Debatten, die nur zu oft von schlicht dichotomen Mustern beherrscht sind, bereichert er um Standpunkte, in denen sich ein hohes Differenzierungsvermögen offenbart. Am kommenden Montag werden Meron Mendel und Saba-Nur Cheema gemeinsam im Literarischen Zentrum mit der Journalistin und Literaturkritikerin Carola Ebeling über das Buch diskutieren – die Gelegenheit, sich selbst ein Bild zu machen, die Herausgeber*innen mit Fragen zu löchern und natürlich den Sammelband selbst zu erwerben.

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