Bücher, die niemals brennen dürften

Am 1. Mai trafen mit Deniz Yücel, Eva Menasse und Denis Scheck in der Sheddachhalle in Göttingen drei Größen der Literatur aufeinander, um an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten 1933 zu erinnern. Sie lasen aus Werken vor, die den Flammen zum Opfer fielen.

Von Anna Röttger

Bild: Anna Röttger

Im Rahmen der Frühjahrslese von Literaturherbst und Literarischem Zentrum kamen am 1. Mai Deniz Yücel, Eva Menasse und Denis Scheck in der Göttinger Sheddachhalle zusammen, um über verbrannte Bücher zu sprechen. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Historiker Benjamin Bühring, der einen Einblick in die Ereignisse rund um die Bücherverbrennungen 1933 gab. Daran schlossen sich Lesungen sowie Diskussionen an. Deniz Yücel arbeitet als Journalist und ist spätestens seit 2017 durch seine Inhaftierung in der Türkei bekannt. Eva Menasse ist ebenfalls Journalistin und Autorin. Ihr neuester Roman Dunkelblum wurde hochgelobt. Beide sind Sprecher:innen der 2022 gegründeten Schriftstellervereinigung PEN Berlin. Der dritte Gast ist Mitglied des PEN-Berlin, vor allem aber Literaturkritiker und Journalist: Denis Scheck veröffentlichte 2019 einen Kanon, der seine 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur aufführt. In der ARD erscheint wöchentlich das Literaturmagazin Druckfrisch, das er moderiert. Auch darüber, welche Werke man unbedingt gelesen haben sollte, sprechen die drei Publizist:innen an diesem Abdn.

Nationalistische Gesinnung in Göttingen 1933

Wenn es um die Bücherverbrennungen geht, wird häufig die Szene am 10. Mai 1933 am Opernplatz in Berlin thematisiert. Doch auch in Göttingen brannten am Folgetag auf dem Albaniplatz Bücher auf einem meterhohen Scheiterhaufen. Schon 1931 erlang der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund die Mehrheit an der Georgia Augusta, Widerstand existierte vor Ort vergleichsweise wenig. In Vorbereitung auf die öffentliche Bücherverbrennung sollten 1933 alle Studierenden die eigenen Bücherbestände sichten und sie von Schriftsteller:innen der ›Schwarzen Liste‹ »säubern«, darunter z.B. die Werke von Karl Marx, Erich Kästner und Sigmund Freud. Der Mai 1933 hatte jedoch weitreichendere Folgen als die Verbrennung von bedruckten Papierbögen: Die angeprangerten Autor:innen flohen ins Exil oder begangen Suizid. Und auch auf kultureller Ebene wirkte es nach: Selbst nach 1945 dauerte es Jahrzehnte, bis sie wieder gelesen und in der Öffentlichkeit diskutiert wurden.

Die Studierenden zerstörten 1933 sicherlich auch einige Exemplare der Bücher, aus denen bei der Göttinger Frühjahrslese vorgetragen wurde, zum Beispiel von Thomas Mann. Aus seinem Werk Der kleine Herr Friedemann liest Eva Menasse mehrere Ausschnitte vor. Der Text sei traurig, dramatisch, frei und präzise, kommentiert Menasse im Anschluss: »Thomas Mann deutet an, dass Gerda in der Handlung mit ihm [dem Protagonisten Friedemann] flirtet und ihn gleichzeitig verachtet«. Denis Scheck hebt die Raffinesse, mit der die Ambiguität realisiert wird, hervor. Ein sehr guter Text entstünde, wenn Leser:innen denken: »Aber so kann und darf es doch nicht zugehen im Leben!« Auch Yücel äußert sich zu dem vorgetragenen Text: Er traue sich kaum, die problematische Seite des Autors Mann vor den beiden anderen Gästen zu erwähnen, doch dieser sei vor 1933 kein Demokrat gewesen und die Nazis verboten nur einen Teil seiner Werke.

Von der Bedeutung von Oppositionen

Denis Scheck stellt den Klassiker Im Westen nichts Neues vor, der in der aktuellen Verfilmung mit vier Oscars ausgezeichnet wurde. »Wenn ich den Text jetzt wieder lese, sehe ich in der schnörkellosen, einfachen Sprache eine große Qualität«, äußert sich Scheck. Remarques Roman sei »ein Buch über Macht und was Machtausübung aus uns Menschen macht.« Kritisch wird daraufhin über die Perspektive auf die Weltkriege diskutiert. Unterschieden werden müsse, dass für den Ersten Weltkrieg die Perspektive des Schlachtfeldes, wie sie in Im Westen nichts Neues angenommen wird, angemessen sei. Für den Zweiten Weltkrieg ständen jedoch die Vernichtungslager wie das Konzentrationslager Auschwitz im Mittelpunkt, in diesem Punkt sind sich alle Gäste einig.

Deniz Yücel präsentiert Kurt Tucholsky durch einen Auszug aus Die Opposition und anhand des Gedichtes Immer raus mit der Mutter…! Über die Texte wird sich an dieser Stelle nicht ausgetauscht, stattdessen rückt das Thema PEN Berlin in den Mittelpunkt. Der Verein gründete sich nach dem Eklat um die Jahrestagung der PEN-Schriftstellervereinigung im vergangenen Jahr neu. So wie Die Opposition an die Vielfalt von Meinungen appelliert, stelle dies auch ein zentrales Anliegen vom Verein PEN Berlin dar. Frieden, Völkervereinigung und die Hilfe für verfolgte Kolleg:innen stünden im Mittelpunkt. Für Eva Menasse ist das Engagement »das Sinnvollste, was ich in der letzten Zeit gemacht habe«.

Sich Tag für Tag für das Ziel einsetzen

Deniz Yücel ergänzt, dass er sich nach der Gefängniszeit fest vorgenommen habe, »mein Leben, meinen Alltag wiederzuerlangen«. Zwischen den Vereinsmitgliedern würden kontroverse Diskussionen geführt und die Kraft, die durch die Gruppierung der Individuen hervorgehe, biete erst die Möglichkeit, sich geeignet um die Verfolgten zu kümmern. Bei PEN Berlin finde zurzeit eine Professionalisierung statt, die dazu führt, dass »flexibel, schlau und passend für den jeweiligen Fall entschieden wird«.

Trotz des ernsten Anlasses konnte eine entspannte Atmosphäre an diesem Frühlingsabend aufrechterhalten werden. Der Großteil der Veranstaltung bestand aus Lesungen der benannten Texte. Spannend wäre es sicherlich gewesen, den Diskussionen über die Werke mehr Raum zu geben. Alle drei empfahlen die Bücher der ›Schwarzen Liste‹, deren Werke vielfältig seien, zur Lektüre.

Zum Abschluss nannten die Gäste jeweils noch ein Werk, das sie darüber hinaus persönlich favorisieren. Die Empfehlungen sollen hier zumindest aufgezählt werden: Denis Scheck empfiehlt Joseph Anton von Salman Rushdie, Eva Menasse macht Lust auf den Roman Murmeljagd von Ulrich Becher und Deniz Yücel preist die Gedichte von Nâzım Hikmet an. Nachdenklich und durch neues und altes Lesematerial inspiriert, verlässt das aufmerksame Publikum die Sheddachhalle, die Worte von Denis Scheck klingen noch nach:

Ruhm, Reichtum und Anerkennung schützen einen nicht, sondern nur, Tag für Tag einen Kampf zu führen.

Er bezieht sich dabei auf Personen, die international schriftstellerisch oder journalistisch tätig sind und beispielsweise aufgrund ihrer regierungskritischen Texte unter Druck gesetzt werden. Die Arbeit der Schriftstellervereinigung PEN Berlin, für die sich die Yücel, Menasse und Scheck engagieren, stellt eine Möglichkeit dar, »raus aus dem Reden und rein ins Handeln [zu] kommen«.

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