Die Welt in Fiona Sironics dystopischem Coming-of-Age Roman Am Samstag gehen die Mädchen in Wald und jagen Sachen in die Luft ist durch das Ausmaß der Umweltzerstörung gezeichnet und ist trotzdem gar nicht so anders als unsere eigene. Es geht es um Klimawandel, Artensterben, Liebe, Familie und soziale Medien. Leider tritt die eigentliche Handlung dabei oft in den Hintergrund.
Von Anabel Plate
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Die Protagonistin Era hält in einem Sammelalbum jede ausgestorbene Vogelart fest. Der Roman ist im Stil von Eras Sammlungen verfasst, doch statt ausgestorbener Vögel protokolliert sie darin aus der Ich-Perspektive ihre Beziehung mit Maja.
Era sieht sich im Internet Livestreams an, wie zwei Mädchen samstags im Wald Sachen in die Luft jagen. Der Titel des Buches ist also Programm. Als sie eines Tages durch den Wald geht, stolpert sie zufällig über das Filmequipment eben dieser Streamerinnen und erkennt sie aus der Schule wieder. Maja und ihre kleine Schwester Merle sind die Töchter zweier Mum-Bloggerinnen. Zunächst will Maja nur sichergehen, dass Era ihr Geheimnis für sich behält. Hier zeigt sich schon von Anfang an Majas ausschlaggebender Charakterzug: Paranoia. Geprägt von ihrer im Internet dokumentierten Kindheit, ist sie nun besessen davon, jeglichen digitalen Fußabdruck von sich zu zerstören. Sie verwendet falsche Namen und wechselt ständig Messenger-Dienste. Alles, um nicht ortbar zu sein. Doch schnell ist Era bei den Explosionen im Wald mit dabei und beide verlieben sich. Bis alles auffliegt.
Ein Spiel mit der Zeit
Wie weit der Roman von unserer Gegenwart entfernt ist, bleibt immer unklar. Eras Mutter erforscht das »alte Internet«, das Ähnlichkeit mit unserem Internet heute hat: Memes, Tiervideos und Menschen, die ihr ganzes Leben online posten. Im »neuen Internet« muss man sich aber durch unübersichtliche Archive kämpfen um diese zu finden. Es wird als »fragmentiert« beschrieben. Auch die Zeit der Influencer:innen ist vorüber. Man nutzt das Internet nur noch anonym und freiwillig, das eigene Gesicht zu zeigen, wird zur Ausnahme. Darum wundert sich Era von Anfang an nicht, dass Maja und Merle in ihren Streams Masken tragen. Es wird vage angedeutet, dass die freie Meinungsäußerung im Internet unterdrückt wird, aber es wird nicht weiter erläutert. Auch scheint die Technologie von Laptops und Smartphones nicht viel weiter fortgeschritten zu sein, als wir es kennen. Dennoch blickt die Erzählstimme mit Verwunderung oder Nostalgie auf die Dinge, die für uns alltäglich sind. Sie zeigt dem:der Leser:in die Absurdität mancher Dinge, die heute oft ohne Nachfrage akzeptiert werden, wie beispielsweise die Platzverschwendung großer Parkplätze oder Pokémon.
Das Spiel mit der Zeit geht über die erzählte Zeit hinaus, da der Roman als Rückblick auf drei Jahre geschrieben ist. Die Kapitel sind wie ein Countdown angeordnet, der bis zur erzählten Gegenwart herunterzählt. Es werden immer wieder Erkenntnisse und Erfahrungen eingeschoben, die die Protagonistin rückblickend gewonnen hat. Manchmal springt die Handlung allerdings willkürlich zwischen Geschehnissen hin und her. Zusammen mit der nicht linearen Erzählweise ist es nicht immer leicht, dieser Handlung zu folgen. In der Erzählung gibt es einen raschen Wechsel zwischen verschiedenen Punkten in der Handlung. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es sich hier um eine aus der Erinnerung wiedergegebene Geschichte handelt. So fügen sich langsam einzelne Informationen zu einem Gesamtbild zusammen. Der oft parataktische Schreibstil unterstreicht dies, macht es aber nicht immer einfach, der Handlung zu folgen.
Alles Wiederholt sich
Wiederholungen sind ein dominantes Stilmittel in Sironics Schreibstil. Waldbrände, Artensterben, Vögel und Schaum sind nur einige der wiederkehrenden Motive. So ist jeder neue Brand ein bisschen extremer als der vorherige. Selbst Tierarten, die heute noch nicht gefährdet sind, sterben aus. Die Arten, die heute bedroht sind, konnte Era nie kennenlernen. Das zeigt das Fortschreiten der Klimakatastrophe. Welche Vogelart gerade ausstirbt, zeigt, an welchem Punkt der Geschichte wir uns befinden. Die Veränderung in der Gesellschaft zeigt sich auch an der Eskalation der Explosionen. Zunächst sind es nur Maja und ihrer Schwester, dann eskaliert es in eine ganze Bewegung. Es fängt mit Mentos in Cola an, dann fallen einzelne Festplatten den Flammen zum Opfer, später ganze Serverfarmen. Auch der Titel des Buches kommt immer mal wieder vor. Zumindest wird diese Phrase am Anfang und Ende genutzt, in der Mitte wird sie relativ sang- und klanglos fallen gelassen.

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft
2025
208 Seiten, 23 €
Es kommt aber auch vor, dass manchmal Informationen ohne stilistischen Flair oder einen anderen Grund wiederholt werden. Manchmal liest man einen Absatz und denkt sich: »War ich nicht schon einmal hier?« Trotz der Kürze fühlt sich die Handlung dadurch manchmal gestreckt an. In diesen Momenten merkt man dem Buch an, dass es das Debütwerk der Autorin ist.
Eine Welt ohne Männer
In Sironics Welt gibt es zwar Männer, doch sie existieren nur am Rande der Handlung: Ein langverstorbener Opa, der namenlose Partner der Tante. Für die Handlung selbst spielen sie keine Rolle, denn die Geschichte kreist um Mädchen und Frauen. Das gleiche gilt für die zwei handlungswichtigen romantischen Beziehungen, denn sowohl Era und Maja als auch Majas Mütter sind lesbische Paare. Dies wirkt aber keinesfalls erzwungen, sondern fließt ganz natürlich in den Kontext ein, als würde man den Verlierer:innen des Bechdel-Tests ganz nebenbei zeigen, dass es auch anders geht. Das Thema Geschlecht zeigt sich auch an der durch das Buch aufgeworfenen Frage, wie kleine, eigentlich geschlechtsunspezifische Dinge die Wahrnehmung auf ein Objekt ändern. Kann die Tatsache, dass Dinosaurier Federn anstatt Schuppen hatten, sie zu einer Sache für Mädchen machen? Die »kleine Krise des binär gegenderten Spielzeugs« zeigt genau dies. Die Gesellschaft in Sironics Werk beschließt: Federn sind weich und weiche Dinge sind für Mädchen. So werden die ehemals einschüchternden, schuppigen Jäger zu weichen, pastellfarbenen Plüschtieren. Es zeigt die Absurdität, einem seit Millionen von Jahren ausgestorbenen Reptil überhaupt eine Geschlechterdesignation zuzuweisen. Sironic nutzt Gendersternchen und inklusive Sprache, was gut mit dem dokumentarischen Charakter des Buches harmoniert. Der Eindruck eines geschriebenen Dokuments wird auch an anderer Stelle deutlich. Immer wieder gibt es Ausschnitte aus wissenschaftlichen Artikeln, die Eras Mutter über Pokémon geschrieben hat, sogar mit Fußnoten, sowie Transkripte aus den V-Logs von Majas Müttern, Briefe und Textnachrichtenwechsel zwischen Era und Maja.
Worum geht es eigentlich?
Das Buch leidet etwas darunter, dass es zwar mehrere gute Themen hat, aber keinem von ihnen wirklich gerecht wird. In der Theorie hört sich die Verbindung aus den Themen Internet und Klimawandel interessant an. Was machen Influencer:innen, während die Welt brennt? Wie geht es ihren Kindern in einer Welt, die kaum noch bewohnbar ist? Leider wirken die Themen kaum aufeinander ein und existieren aneinander vorbei, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Die Welt ist vom Klimawandel dahingerafft worden, was hauptsächlich daran zu merken ist, dass Burger jetzt aus Mehlwürmern bestehen und es unglaublich heiß ist. Wenn man also nicht ständig daran erinnert wird, dass die Handlung in der Zukunft angesiedelt ist, könnte man es glatt vergessen. Aber vielleicht sagt das auch mehr über unsere Welt aus, als über das Buch.
Majas gesamte Motivation und Entwicklung sind aus dem Trauma entstanden, seit ihrer Geburt im Rampenlicht zu stehen. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, wie wenig Einblick es in ihre Emotionen gibt. Dadurch wirkt der Wandel von geringfügiger Brandstiftung zu Terrorismus sehr abrupt und schwer nachvollziehbar. Obwohl die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt wird, wird selbst Eras Innenwelt kaum ausgeleuchtet. Plötzlich ist sie verliebt, und man weiß nicht, wie oder warum. Es wird schlichtweg als Tatsache erwähnt. Details werden in den Raum geworfen, beispielsweise, dass es keine Meinungsfreiheit mehr gibt, jedoch ohne, auszubuchstabieren, was das für Folgen hat.
Beim Thema Internet zeigt sich die Schwäche dieser fiktiven Welt jedoch am deutlichsten. Majas Eltern sind Influencerinnen und damit reich geworden. Gleichzeitig wird aber auch erzählt, dass es eigentlich keine Influencer:innen mehr gibt und alle Menschen zu anonymen Online-Profilen zurückgekehrt sind. Wie Majas Mütter in diesem Umfeld ihre Karriere beibehalten konnten oder was den Wandel motiviert hat, bleibt unklar. Auf halber Strecke wird das gesamte Thema dann komplett fallengelassen. Immer wieder kommt das Konzept des Internets als Archiv auf, bildet aber nur einen dünnen roten Faden.
Interessante Themen werden aufgegriffen, jedoch bedauerlicher Weise nicht ausreichend ausgebaut. Dabei sind das gerade die zentralen Punkte, welche das Buch von vielen anderen dystopischen Jugendbüchern unterscheidet. Die Ideen regen die Lesenden zum Nachdenken über die Zukunft an und setzen Themen wie Geschlecht und den eigenen digitalen Fußabdruck in Perspektive. Es hätte vielleicht noch mehr Seiten gebraucht, um alle Themen wirklich aufblühen zu lassen und den Lesenden Raum zu geben, in diese Zukunftsvision einzutauchen.

