Wo der FUN aufhört

Bela B überzeugt am 01. November im Rahmen des Literaturherbsts mit einer unterhaltsamen Lesung zu seinem neuen Roman FUN. Statt angekündigter Gesellschaftsanalyse dominiert jedoch Inszenierung. Das Publikum feiert, während die Reflexion über Machtasymmetrien und Grenzen von Spaß zur irritierenden Metaebene des Abends wird.

Von Katarina Fiedler

Bild: via Pixabay, CC0

Aufbrausender Applaus, eine kurze Verbeugung und Bela B Felsenheimer setzt sich kommentarlos auf die Bühne der Sheddachhalle, um aus seinem im Januar 2025 erschienen Roman FUN vorzulesen. Im Prolog kommentiert eine Figur: »Wegen des Drummers ist sie schließlich nicht hier.« Felsenheimer hält beim Vorlesen inne, guckt in die volle Halle und kommentiert: »Wegen des Drummers sind heute einige hundert Menschen hier! Was ist das denn für’n Buch?« Das Publikum lacht, die zunächst professionell-kühle Atmosphäre ist aufgebrochen. Felsenheimer beweist, dass er nicht nur der Schlagzeuger und Sänger der Band Die Ärzte ist, sondern auch Autor, Synchronsprecher und vor allem erfahrener Entertainer. Mit individueller Stimmlage für jede Figur liest er beinahe schon szenisch aus seinem Roman vor, richtet seinen Blick dabei regelmäßig ins Publikum und unterstützt das Vorgelesene mit passender Mimik und Gestik.

In seinem Roman FUN verfolgen die Leser:innen zwölf Hauptfiguren über eine knappe Woche. In dieser Woche rekrutiert die bekannte Rockband nbl/nbl (gesprochen: nabl-nabl) junge, hübsche Frauen für ihre After-Show-Partys. Zu den Protagonist:innen gehören etwa der begeisterte Fan Maila, ihre Mutter Liane, die eine Vergangenheit mit der Band hat, und Mailas Vater Guido, der das Arbeitsverhältnis zu seiner Auszubildenden nicht so streng sieht. Hinzu kommen die Bandmanagerin Miriam, die die Skandale der Band auffangen muss und der dauerhaft betrunkene Schlagzeuger Krass. Alle befinden sich in unterschiedlichen Positionen in einem Geflecht aus Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt. Im Musikbusiness steht allerdings ein Gefühl immer an erster Stelle: der Spaß. Spaß an der Musik, an den Partys, an Abenden, die von Sorglosigkeit und Abenteuer geprägt sind. Doch wann ist es noch FUN und wann kippt es in Ausnutzung? Diese Frage verfolgt die Figuren sowie die Leser:innen und ist das Zentrum, um das der Roman kreist.

Wohnzimmeratmosphäre bei heftigem Thema

Felsenheimer fasst seinen Roman so zusammen: »In dem Buch geht es um Machtmissbrauch, um Männer, die sich gegenüber Frauen Sachen rausnehmen, von denen sie meinen, dass sie ihnen zustehen qua ihres Geschlechts.« Dass sich die Geschichte wie eine fiktionale Aufbereitung des Rammstein-Skandals liest, reißt der Autor kurz an und geht dann nicht weiter darauf ein. Er ergänzt jedoch, dass es sich um Machtmissbrauch auf vielen Ebenen handle, der Roman also über die Band-Fan-Beziehungen hinausgehe. In den folgenden zwei Stunden stellt er zentrale Figuren mit je einem eigenen Kapitel vor, kommentiert das Geschriebene selbstironisch mit passenden Anekdoten und macht Witze, um – so sagt er selbst – das schwere Thema des Romans etwas verdaulicher zu machen. Das Thema ist in der Tat hart; umso erstaunlicher ist es, dass Felsenheimers Selbstironie an keiner Stelle unpassend wirkt. Er bezieht seine Witze nie auf die Thematik, sondern auf unentdeckte Logikfehler im Text oder den exzessiven Weinkonsum seiner Figuren, der sich wie ein Leitmotiv durch alle gelesenen Kapitel durchzieht.

Die Bühne ist seine Heimat, das zeigt Felsenheimer mit seiner selbstsicheren Inszenierung, in der er auch wenige Versprecher einfach weglacht. Mit seiner sympathischen und charismatischen Art fühlt es sich eher an, als würde die gefüllte Sheddachhalle bei ihm im Wohnzimmer sitzen, wo er aus seinem aktuellen Lieblingsbuch vorliest. Dass es aber eben kein Abend unter Freund:innen ist, sondern ein Idol vor seinen Fans liest, macht das Publikum mehr als deutlich: Es lacht an den richtigen Stellen, klatscht an den richtigen Stellen und stöhnt enttäuscht oder bewundernd an den richtigen Stellen, sodass Felsenheimer darauf mit einem fast schon müden Lächeln reagiert: »Sie sind jetzt vielleicht überrascht, ich aber nicht – diese Reaktion kommt immer an dieser Stelle.«

Multimediales Erlebnis

Hinter ihm läuft eine Präsentation mit Graphic Novel-Illustrationen aus der Feder von Timo Zett und Rouven Kellermann, die die Figuren der vorgelesenen Stelle in animierter Version zeigen. Hinzu kommen liebevoll erdachte Kleinigkeiten, die die Lesung noch unterhaltsamer machen, wie das Geräusch eines zerspringenden Glases, wenn in der Geschichte ein Glas zerbricht, das Abspielen der Musik, die eine Figur gerade hört oder – besonders bemerkenswert – das »Anstoßen zweier Flaschen« aus dem Publikum, gerade wenn Felsenheimer diese Worte vorliest.

Eine Lesung über das Literarische hinaus wird es, als Felsenheimer eine E-Gitarre enthüllt und aus einem Witzebuch für den Männerstammtisch aus den 1960ern vorliest. Den (sehr schlechten) Witz begleitet er auf der Gitarre und distanziert sich mit Hilfe dieser Verfremdung von seinen Figuren, die zum Teil gängige frauenfeindliche Sprüche aus dem vergangenen Jahrhundert reproduzieren. Zum Abschluss spielt er noch ein Lied der Band nbl/nbl, »aus der Zeit, bevor sie politisch nicht mehr tragbar wurde«. Dieser erfolgreiche Bruch zwischen Fiktionalität und Realität bildet den Abschluss zu einem Abend, an dem nie ganz klar wird, wie viel reale Begebenheit im Roman verarbeitet ist, wie gezielt nbl/nbl an Rammstein erinnert und wie viel Ernst in Felsenheimers Witzen steckt.

Gesellschaftskritik nur als Kommentare

Wer mit der Erwartung kam, eine kontextuelle Einordung zu Machtmissbrauch in der Musikbranche zu erhalten, wird enttäuscht. Felsenheimer bleibt größtenteils werkimmanent, wie es in der Literaturwissenschaft heißt, er geht also an nur wenigen Stellen inhaltlich über den Roman hinaus. Dass er gegen toxisch männliches Verhalten ist, gegen internalisierte Misogynie und gegen das Ausleben von Machtasymmetrien in der Musikbranche, wird den Abend über immer wieder deutlich. Zu kurzen Kommentaren wie »wenn Guido an dieser Stelle ‚Mensch‘ sagt, dann meint er ‚Mann‘« oder »in diesem Kapitel hatten wir schon sehr viele Männer und männliches Verhalten«, gesellt sich kurz vor Ende ein klares Statement gegen Rechts. Doch die große gesellschaftliche Debatte um Machtmissbrauch, den Schaffungsprozess des Romans und andere Fragen, die sich auf die äußeren Umstände des Werks beziehen, bleiben offen: Wie stark hat er sich an der Realität orientiert, als er den Roman entwickelte? Ist es ihm nicht zu heikel, so nah am Business dran zu sein, über das er schreibt? Welche Wirkungsabsicht verfolgt er möglicherweise mit dem Roman?

Literatur- und Bela B-Fans kommen an diesem Abend uneingeschränkt auf ihre Kosten, es ist eine rundum gelungene Lesung mit starkem Unterhaltungsfaktor. Wer jedoch das Programm ernst genommen und sich auf den angekündigten „gesellschaftskritische[n] Abend über Scham, Schuld und Gerechtigkeit“ gefreut hatte, wird enttäuscht. Die gesellschaftskritische Einordnung muss man anhand vieler kleiner Kommentare selbst vornehmen. Zudem kann man live miterleben, wie es ist, wenn jede Reaktion des Publikums exakt auf die Impulse des Vortragenden abgestimmt ist. Während dieser über die Machtasymmetrie zwischen Musikern und ihren Fans spricht – als Musiker, der vor Fans spricht – entsteht eine etwas irritierende Metaebene, die den Abend rahmt.

Das Ende der Lesung ist so symbolträchtig wie gezielt inszeniert. Der letzte vorgelesene Abschnitt endet mit den Sätzen (die Felsenheimer frei ins Publikum spricht): »Er hat ihm die Kraft zurückgegeben. Die Kraft, um alles zu überstehen. Die Kraft, um weiterzumachen.« Auf der Leinwand zerfällt der Romantitel langsam, als Felsenheimer unter tosendem Applaus die Bühne verlässt. Nach wenigen Minuten kommt er zurück, das schwere Thema des Abends ist wie vergessen und er stimmt das bereits erwähnte Lied der fiktiven Band an. Gemeinsam mit dem Publikum singt Felsenheimer im Kanon den Refrain des Liedes wie ein Mantra: »Die Welt ist schei-ei-ei-ße, scheiße, scheiße.« Mit diesem gemeinschaftsbildenden Moment kann das Publikum geeint nach Hause gehen – ja, die Welt ist scheiße und es gibt Machtmissbrauch, besonders unterschätzt in vielen ‚Fun‘-Kontexten. Doch der Fun ist vorbei und nun ist es Zeit, sexistische Strukturen aufzuarbeiten und abzuschaffen.

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