Neues von der Elefantenministerin

In Gaea Schoeters‘ Roman Das Geschenk sieht sich die Bundesrepublik mit der Ankunft von 20.000 Afrikanischen Elefanten konfrontiert. Darum entspinnt sich eine Satire über Tagespolitik und Debattenkultur, bevor der pragmatische Vorstoß einer außergewöhnlichen Ministerin für kurze Zeit Hoffnung sät.

Von Gerrit Elsner

Bild: via pexels, CC0

Dass von Gaea Schoeters‘ neuem Roman mit Fug und Recht behauptet werden kann, auf den zu Marketingzwecken üblicherweise höchst brauchbaren ›wahren Begebenheiten‹ zu beruhen, ist rätselhafterweise weder Klappentext noch Blurbs oder Titelei von Das Geschenk zu entnehmen. Dabei ist die Ankündigung des botswanischen Präsidenten Mokgweetsi Masisi, eine zwanzigtausendköpfige Elefantenpopulation in die Bundesrepublik verschicken zu wollen, kaum länger als ein Jahr her. Dieses titelgebende ›Geschenk‹, dessen kontrafaktische Realisation von Schoeters auf knapp 150 bündigen Seiten in einen ebenso kuriosen wie formalistischen Politthriller verpackt wird, hielt im April 2024 für die ein oder andere unterhaltsame Nachrichtenstory her.

Was passieren könnte, wenn das Staatsoberhaupt des südafrikanischen Staates seine Ankündigung wahrmachen würde, fragte Politico damals Dag Encke, den Direktor des Nürnberger Tiergartens. Der verblüfften westeuropäischen Medienöffentlichkeit versicherte Encke: nein, alles in allem sei die Versorgung von 20.000 Afrikanischen Elefanten in Deutschland ausgeschlossen – sollte es sich allerdings um eine etwas kleinere Population handeln, käme die Lüneburger Heide für die Unterbringung in Frage. Nicht dass die deutsche Bevölkerung sich so etwas würde gefallen lassen. Zitat Encke: »In Germany, people are shitting themselves because of three wolves who were spotted in a city by accident once.«

So unterhaltsam die kurzlebige Debatte im Frühjahr 2024 auch geführt wurde – sie verwies auf einen komplexen Problemverhalt. Staaten wie Deutschland und Großbritannien bemühen sich bereits seit längerem im Zeichen des Artenschutzes darum, die Einfuhr von Jagdtrophäen zu erschweren. Perspektiven afrikanischer Staaten finden in diesem Diskurs kaum Gehör. Das stetige Wachstum der allein in Botswana 130.000 Individuen umfassenden Elefantenpopulationen wird von der dortigen Regierung aufgrund vermehrter Zusammenstöße mit Menschen inzwischen als Problem identifiziert – die Rüsseltiere schrecken vor wenig zurück und verursachen nicht selten Schäden an Feldern, Häusern und Leitungen. Europäische Jäger, die hobbymäßig Großwild töten und für dieses Vergnügen bereitwillig hohe Lizenzgebühren an das Zielland entrichten, werden mitunter eher als Teil der Lösung betrachtet.

Eine Fortsetzung in verändertem Setting

Dem (post)kolonial verwurzelten Konflikt um afrikanische Wildtiere und westlichen ›Naturschutz‹ war Gaea Schoeters schon in ihrem Vorjahreserfolg Trophäe nachgegangen. Das Geschenk widmet sich nun den jüngsten Entwicklungen, verlagert die Handlung nach Deutschland und tauscht die öffentlichkeitswirksame Androhung des Elefantentransfers gegen seine weitaus romanreifere Ausführung ein: Eröffnet wird die Handlung eines frühen Morgens im Regierungsviertel – nur zwei Obdachlose und ein Rechtspopulist sind schon wach –, wo ohne Vorwarnung einige kolossale Dickhäuter in der Spree planschen. Dem fiktionalisierten Bundeskanzler (von der flämischen Autorin treffsicher »Hans Christian Winkler« getauft) wird kurz darauf in einer Videoschalte von seinem botswanischen Amtskollegen eröffnet, dass es sich bei den Tieren um ein Zeichen des Dankes handelt – anlässlich des am Vortag im Bundestag verabschiedeten Elfenbeingesetzes. Knapp skizziert er für die uneingeweihten Leser:innen (die auch nicht schlechter informiert sein dürften als der völlig überforderte Kanzler) das Dilemma seiner Regierung (Menschen schützen – oder Elefanten?), dann wünscht er Winkler »viel Spaß!« und verabschiedet sich.

Gaea Schoeters
Das Geschenk
Zsolnay: 2025
144 Seiten, 22 €


Die in den darauffolgenden Kapiteln ausgebreitete Exposition kann einigermaßen treffsicher als Politikteil-Potpourri der vergangenen Jahre bezeichnet werden (freilaufende, alles Grüne abgrasende Megafauna ersetzt ›Corona‹, eine ›Flüchtlingskrise‹ oder ähnlich allgegenwärtige Themen). In einer von Missgunst, Fehlkalkulationen und intrakoalitionären Streitigkeiten geprägten Taskforce werden Vorschläge aus Hemdsärmeln geschüttelt, die zwischen Krisen-PR (»Die Elefanten müssen so schnell wie möglich zu unserem nationalen Maskottchen werden«) und Komplettkeulung anzusiedeln sind. Ein faschistoider Oppositionsführer (im Prolog war er, siegestaumelnd ob aussichtsreicher Wahlergebnisse, blindlings an zwei eigentlich unübersehbaren ›Spreeelefanten‹ vorbeispaziert) treibt indes zielsicher eine kanonisch anmutende ›Elefanten-raus-Debatte‹ vor sich her. Zwischenfälle wie die Auslösung einer Massenkarambolage auf der Autobahn tun ihr Übriges für die fragile Reputation der grauen Riesen.

Ein besonderes Amt

Besonders originell wird es ungefähr ab der Mitte des Buches bzw. an Tag 102 (von 435) der handlungseigenen Zeitrechnung. Ausgerechnet seine Amtsvorgängerin bläut dem noch immer von jedweder Ahnung verschonten Bundeskanzler ein: »Elefanten sind keine Flüchtlinge. Das hier ist kein Problem der Wahrnehmung, sondern ein echtes Problem.« Von seiner Mentorin ermutigt, bestimmt Winkler eine unscheinbare Nachwuchspolitikerin zur Sonderbeauftragten, das heißt zum potentiellen Sündenbock. Die Berufene hat einen ebenso miefig-mitteldeutschen Namen wie alle anderen Handelnden, bekommt dafür aber (inoffiziell) den sensationellen Titel »Elefantenministerin«.

Sie erhält außerdem freie Hand für den Entwurf eines Plans, von dem bisher jede Spur fehlte. In einer Abkehr von seiner satirischen Grundhaltung zeigt der Roman nun auf einmal fachmenschlichen Pragmatismus und rationale Entscheidungsfindung. In diesem Abschnitt entwirft die Autorin über die Figur der Sonderbeauftragten die Utopie einer ganzheitlichen Ökologie auf dem durch die zugezogene Spezies unverhofft bereicherten europäischen Kontinent. Ohne zu viel zu verraten: Es geht in beachtlicher Detailliebe um Dung, Saatgut und die europäische Wirtschaft. Auch wenn der biodiverse Masterplan letztlich keinen Bestand hat – und der »Elefantenministerin« gemäß ihrer ursprünglichen Bestimmung vom Kanzler die Schuld dafür aufgeladen wird – liegt der eigenwillige Charme des Romans in dem Optimismus, der sich entgegen allen Widrigkeiten entfaltet.

Ein Hoffnungsschimmer für zwischendurch

Mit eher flüchtig literarisierten Charakteren, einem grob-schematischen Handlungsrahmen und aufs Nötigste begrenzten Szenenbeschreibungen unterscheidet sich Das Geschenk vom Vorgängerroman Trophäe, der in seiner Psychoanalyse westlicher Selbstverständnisse deutlich tiefschürfender daherkam. In Das Geschenk verschwinden Protagonist:innen gänzlich eindimensional hinter ihren klischeebeladenen Funktionen: der Bundeskanzler als biederer Boomer mit stoisch-genügsamer Ehegattin, die »Elefantenministerin« als tragische Idealistin, ein Berater als gewitzter PR-Fachmann und so weiter. Mehrfach »gleiten« obligatorische Limousinen durch die Story, ab und zu entwerfen wirkungsarme Details lustlose Persönlichkeiten (»um in Form zu bleiben«, heißt es nichtssagend über Hans Christian Winkler, nehme er »nie den Fahrstuhl«).

Vielleicht verlässt die Erzählerin sich zu sehr darauf, dass eine spektakuläre Grundidee die Handlung bis ans Ende trägt – oder sie möchte den politisch Handelnden und ihren Lebenswelten schlicht keinen idiosynkratischen Charme zugestehen. Das kann auch ein Pluspunkt sein: Je schablonenhafter die menschliche Welt sich gebart, desto nahbarer erscheinen die sanften Vierbeiner, die ja selbst eine ›Krise‹ erleben, eine ›Menschenkrise‹ eben. Ihr Gemeinsinn hält das offenbar aus, sie schützen einander und betrauern solidarisch ihre Verluste, von denen es in dieser neuen Heimat, wo sie vielen als Bedrohung gelten, einige gibt.

Im Vergleich zu seinem Vorgänger lässt Das Geschenk also an tiefenscharfer Figurenzeichnung etwas zu wünschen übrig. Nicht zuletzt dürfte das aber einer Abwägung von Prioritäten geschuldet sein. Die kurzweilige Ausschmückung einer, wie eingangs erwähnt, an und für sich schon skurril-unterhaltsamen Prämisse erhält den Vorzug vor einer komplexeren Handlung. Dabei kann die schmerzliche Lebensechtheit von ritualisierten Schadensbegrenzungs- und Schuldabwälzungsreflexen in ihrer grotesken Profanität auch als selbstständige Aussage gelesen werden. Umso leuchtender sticht die hauchzart optimistische Zukunftsvision hervor, die für einige wohltuende Seiten greifbar scheint. Und die – wenn mensch die ein oder anderen Expert:innen fragt – ein paar Tausend einfühlsame Großsäuger in der Lüneburger Heide grasen lassen könnte.

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