Der tägliche Wahnsinn

In Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte behandelt Zipfel die Schwierigkeiten, mit denen jede:r junge Erwachsene zu kämpfen hat. So geht es auch der dreizehnjährigen Lucie Schmurrer, die versucht, vor ihnen nach Berlin zu fliehen. Das erweist sich jedoch als schwieriger als gedacht.

Von Irina Schwab

Bild: Via Pixabay, CC0

Der Körper verändert sich, riecht manchmal streng, die Stimmungen schwanken, die Stimmen brechen und alles und alle sind doof – der ganz normale Wahnsinn im Leben eines jungen Erwachsenen. Dita Zipfel greift in ihrem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 ausgezeichneten Roman Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte das Thema des Älterwerdens inklusive all seiner Tücken und Laster auf humorvolle Weise auf. Sie erzählt die Geschichte der dreizehnjährigen Lucie Schmurrer, deren größter Wunsch ist, nach Berlin zu reisen, um der Enge der Wohnung zu entfliehen. In dieser wohnt sie zusammen mit ihrem jüngeren Bruder, ihrer Mutter und dem neuen Freund ihrer Mutter, der Lucie mit seinen Glückskekssprüchen tierisch auf die Nerven geht.

Um sich das Bahnticket kaufen zu können, nimmt Lucie ein ungewöhnliches Jobangebot an: Sie wird Ghostwriterin für ein Kochbuch. Doch ist dies kein Kochbuch mit gewöhnlichen Zutaten und auch der schrullige alte Auftraggeber Herr Klinge ist alles andere als normal. Zusammen mit ihm entdeckt Lucie die streng geheimen Rezepte, deren Bestandteile genauso geheimnisvoll sind wie Herr Klinge selbst. Wer benutzt denn schon Feenzähne oder Einhornknochen? Trotz der anfänglichen Skepsis probiert Lucie, von ihrer Neugierde getrieben, ein paar Rezepte aus und stellt mit Überraschen fest, dass doch etwas Magisches passiert, wenn man strikt den Anweisungen folgt. Aber war es eine gute Idee, dem Mädchenschwarm Marvin einen Liebestrank zu geben?

Zwischen Idiotie und Phantastik

Dita Zipfel erschafft in ihrem Roman eine Welt zwischen dem alltäglichen Wahnsinn während der Pubertät und den phantastischen Einfällen eines alten Mannes. In 47 kurzen Kapiteln schildert die Autorin zum einen die manchmal etwas skurrilen Eigenheiten des Erwachsenendaseins. Auf der anderen Seite zeigt Zipfel eine unerschrockene und mutige Heldin, die durch Witz und Cleverness das Erwachsenwerden meistert.

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Dita Zipfel
Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte

Illustriert von Rán Flygenring
Hanser: München 2020
193 Seiten, 15,00€

Besonders am Roman ist der Wechsel zwischen der kindlichen und der fast erwachsenen Sicht Lucies auf die Welt. Nicht nur, dass die Bisexualität der Mutter selbstverständlich akzeptiert wird, sondern auch, dass sich die Protagonistin für diejenigen einsetzt, die gesellschaftlich ausgegrenzt sind. Demgegenüber steht die kindliche Objektivierung der Menschen um sie herum, die sie als »anthropologische Forschungsobjekte« betrachtet. Dies zeigt sich in kleinen Steckbriefen der wichtigsten Figuren, auf denen Lucie ihren Erkenntnisstand akribisch aus ihrer kindlichen Sichtweise dokumentiert. Dies zaubert beim Lesen ein Schmunzeln ins Gesicht.

Zipfel stellt vor allem das schwierigste Thema eines:r jeden Jugendlichen auf einfache Weise dar: anders zu sein, beziehungsweise sich anders zu fühlen. Der Roman macht deutlich, dass das nichts Schlimmes ist. Es ist sogar gut, wenn man sich nicht als Mitläufer:in zu den »coolen Kids« gesellt und sich über andere lustig macht, sondern wie Lucie den eigenen und auch erwachseneren Weg wählt. Wie das gelingt? Mit viel Humor, einem einfühlsamen Verstand und einer großen Portion Mut. So stellt sich Lucie beispielsweise auf die Seite Herrn Klinges, als dieser in einem Supermarkt durch sein außergewöhnliches Aussehen und auffälliges Benehmen in den Fokus aller Anwesenden und deren Spott gerät, und befreit ihn aus der Situation. Auch unterstützt die Protagonistin die skurrilen Phantasien des alten Mannes, ohne sich Gedanken darum zu machen, was andere von ihr halten könnten.

Bilder, die das Herz erwärmen

Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte ist einfach, aber liebevoll von Rán Flygenring illustriert. Die Bilder untermalen nicht nur Szenen aus dem Roman, sondern geben auch die Notizen und Gedanken Lucies wieder. Teilweise werden ganze Handlungsstränge durch Illustrationen ersetzt. Durch die aktive Einbindung wird der Lesefluss aufgelockert und veranschaulicht beispielsweise das schnelle Wegschnappen eines Smoothie-Bechers besser, als es in Worten gelingen könnte. Die Illustrationen sind so gestaltet, dass man als Leser:in den Eindruck bekommt, sie stammen direkt von der Hauptfigur, die dadurch nur sympathischer erscheint.

Es ist ein Buch für alle, die wie Lucie gerade erwachsen werden und noch nie vom toxischen Schocksyndrom gehört haben. Für alle, die zauberhafte Rezepte ausprobieren wollen. Für alle, die beim Lesen gerne herzlich lachen. Für alle, die sich anders als alle anderen fühlen und sich fragen, ob das okay ist. Für alle, die an Einhörner glauben – oder eben nicht­.

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