Feel Good for Future

Feel-Good-Serien sind im Streaming-Zeitalter willkommener Eskapismus und Guilty Pleasure für viele – doch sind sie keineswegs so seicht, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Über das subversive Potenzial eines unterschätzten Genres.

Von Hanna Sellheim

Bild: Via Pixabay, CC0, Bearbeitung: Hanna Sellheim

Ich beginne mit einem Geständnis: Die meisten Serien, die mir empfohlen werden, werde ich nie anschauen. Das hat weder mit Boshaftigkeit gegenüber den empfehlenden Menschen zu tun noch damit, dass ich glaube, die empfohlenen Objekte seien keine interessanten fiktionalen Werke, die meine Aufmerksamkeit verdient hätten. Es ist nur halt so, dass ich sie nie sehen werde. Der Grund dafür ist ein Prinzip, das meinen Serienkonsum von Beginn an bestimmt: Ich schaue nur solche Serien, bei denen ich mir sicher sein kann, dass sie angenehm anzuschauen sind. Mit dem Netflix-Zeitalter ist dafür auch gleich eine Genre-Bezeichnung entstanden: Feel-Good- oder Wohlfühlserien.

So leid es mir also tut, werde ich nie einen Blick in Narcos, House of Cards oder The Sopranos werfen. Klassiker wie Breaking Bad oder Game of Thrones habe ich nach wenigen Folgen abgebrochen, weil sie mir zu brutal waren; nur heimwehartige Sehnsucht nach dem Drehort Fayetteville, AR, hat mich dazu gebracht, mehr als eine Folge der dritten True-DetectiveStaffel anzugucken; und auch nach mehreren Anläufen kann ich mich nicht dazu bringen, Dark zu Ende zu bringen. Ich schaue aus Prinzip nichts, dessen Kinematographie blau-gräuliche Filter involviert, die andeuten, dass hier ~schwierige Probleme~ verhandelt werden und worin größtenteils rauschende Stille herrscht (looking at you, ARD). Ich schaue stattdessen gerne Dinge, die bunt und gut ausgeleuchtet sind, mit Musik und viel Dialog. Ich möchte Wholesomeness, keine Tristesse.

Das liegt zum einen daran, dass Serien für mich der letzte fiktionale Bereich sind, der allein der Freizeit vorbehalten ist. Bücher lese ich stets mit der Brille der Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin, selbst Filme sind inzwischen vor diesem Analyse-Zwang nicht mehr gewahrt. Serien hingegen rezipiere ich als Eskapismus, als nette Freizeitbeschäftigung, die gerne auch ein bisschen unterfordernd sein darf. Mal abgesehen davon, dass es durchaus legitim sein sollte, Fiktion einfach aus Unterhaltungsgründen zu rezipieren, bin ich zum anderen überzeugt, dass Wohlfühlserien keineswegs so unterkomplex sind, wie einem:r häufig suggeriert wird.

Eskapismus? Gerne, aber nicht nur!

Serie

Ob Essen oder Popkultur: Der Begriff »Guilty Pleasure« beschreibt alles, für das wir uns schämen, wenn wir es mögen. Doch warum glauben wir überhaupt, dass mancher Genuss schamvoll ist? In unserer Reihe »Unguilty Pleasures« wollen wir dem Begriff auf den Grund gehen und ihn dabei hinterfragen. Dafür erzählen Litlog-Autor:innen, welche Unterhaltungs-Genres und Trash-Formate sie am liebsten konsumieren – und fordern: Vergnügen ohne Scham! Weitere Beiträge findet ihr hier.

Die Forschung hat – natürlich – das Genre der Feel-Good-Serie noch nicht entdeckt, weshalb es bisher keine einheitliche Definition gibt. Die Praxis ist dem wie immer weit voraus und so ist die Kategorie der Wohlfühlserie im alltäglichen Sprachgebrauch und Medien wie »Frauenzeitschriften« längst gang und gäbe. Kriterien, die erfüllt sein müssen, um in meinen seichten Serien-Kanon aufgenommen zu werden, sind (vorläufig und unvollständig) die folgenden: Es sollte sich um Familien- oder Liebesgeschichten handeln, die ohne Gewalt oder allzu große Brüche mit den Erzählerwartungen auskommen, gerne mit überwiegend weiblichen und/oder queeren Personen in tragenden Rollen und die Probleme sollten in weniger als drei Episoden gelöst sein. Ich schaue also Serien wie: Gilmore Girls, The L Word oder Grace und Frankie. 

Dennoch finde ich, dass meine Vorliebe für Wohlfühlserien keineswegs ein Guilty Pleasure ist, für das ich mich rechtfertigen muss. Denn nur weil sie seicht sind, bedeutet das nicht, dass diese Serien nicht ebenso kritisch, subversiv und wertvoll für die Umgestaltung der Fiktionslandschaft sein können. Denn natürlich spielt bei der Missachtung des Genres, wie auch in vielen anderen Fällen, (internalisierte) Misogynie eine zentrale Rolle. Es ist kein Zufall, dass insbesondere Serien mit weiblichen Protagonistinnen, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, als Wohlfühl-Fiktion abgetan werden. Doch unterschätzt man sie damit.

Grace und Frankie ist dafür ein wunderbares Beispiel. Die Serie erzählt die Geschichte von, nun ja, Grace und Frankie, zwei Frauen in ihren 70ern, deren Männer sich von ihnen trennen, um fortan als schwules Paar zusammenzuleben, und die daraufhin eine Art Zweck-WG gründen, aus der bald trotz aller Gegensätze eine enge Freundschaft wächst. Die Serie bedient also einige klischeereiche Topoi, und doch ist sie besser gemacht und wirkmächtiger, als man ihrer quietschfidelen Verpackung vielleicht zunächst zutraut. So ist sie sorgfältig strukturiert, mit einer Mischung an ausgefeilten Charakteren, deren bedachte Konstellation auch den Ausgangspunkt für ein kammerspielartiges Drama bilden könnte.

Wohlfühlserien als alternative Erzählräume

Feel-Good-Serien öffnen häufig alternative Erzählräume, für alte Menschen, für Frauen, für queere Menschen. So werden in Grace und Frankie immer wieder Tabus gebrochen, etwa wenn die ältere Generation an Charakteren sich mit Problemen wie zu schnell umschaltenden Ampeln und zu tiefen Toilettensitzen herumschlagen muss, wenn Grace und Frankie einen Vibrator entwickeln, der speziell für die arthritischen Finger älterer Damen designt ist, wenn es um künstliche Befruchtung und Adoption, um männliche Sexarbeiter und unglückliche, überforderte Mütter, um Alkoholismus, Demenz und die unerbittlichen Mühlen des bürokratischen Apparats geht. Natürlich ist es nicht überraschend, dass die Serie ausgerechnet ein Projekt der großartigen Lily Tomlin und Jane Fonda ist. Die beiden Feministinnen und Aktivistinnen setzen hier fiktional die Arbeit fort, die sie sonst leisten.

Feel Good at its best: Grance und Frankie. Bild: Ali Goldstein / Netflix

Auch ist es eine irrige Annahme, Wohlfühlserien seien reiner »Flausch«, der einem:r »zuverlässig ein gutes Gefühl« gibt. Denn viele der genannten Serien verhandeln Themen, die durchaus ernst, gesellschaftlich relevant oder unangenehm sind. Dabei bedienen sie ein Publikum, das sich ihren Botschaften vielleicht sonst entziehen könnte und jubeln ihnen behutsam neue Perspektiven unter. Feel-Good-Serien, das trojanische Pferd für alternative Denkmodelle. Das familiäre Setting ist dabei so etwas wie die Voraussetzung dafür, dass sich die Zuschauer:innen in einer angenehmen Atmosphäre mit Themen auseinandersetzen, vor denen sie vielleicht zurückschrecken würden, wenn sie ihnen mit erhobenem Zeigefinger oder mahnender Alarmiertheit vermittelt würden. Die Feel-Good-Serie ist so etwas wie eine coole Tante, von der man Ratschläge zu den Schwierigkeiten des Lebens eher annimmt als von den eigenen, übermäßig besorgten Eltern.

The L Word ist ein weiteres Beispiel dafür, dass solche Serien durchaus Bildungsarbeit leisten und wichtig für das kollektive Bewusstsein gegenüber bestimmten Themen sein können, wobei sie ihrer Zeit und dem öffentlichen Diskurs häufig weit voraus sind. Nicht nur war sie – offensichtlich – die erste Serie, die einen diversen Cast an lesbischen Frauen in den Mittelpunkt stellte und schon in den 2000ern trans und nichtbinäre Charaktere zeigte (wenn auch das, zugegeben, vielleicht nicht immer mit der aus heutiger Sicht angemessenen Sensibilität). Auch ging es darin immer wieder um Themen wie Brustkrebs oder um gesellschaftliche Debatten wie die um den Irakkrieg. Das Revival von 2019 verhandelt die Opioid-Krise in den USA. Von politischem Desinteresse also keine Spur.

Massenwirksame Machtkritik

Schließlich üben Wohlfühlserien auch ganz explizit Kritik an Politik, Machtstrukturen oder systemischen Problemen. In Grace und Frankie wird Altersdiskriminierung ausführlich verhandelt und The L Word thematisiert Queerfeindlichkeit in all ihren Dimensionen. Auch der Feel-Good-Klassiker Gilmore Girls (ja, ich bin mir bewusst, dass die Serie in vielerlei Hinsicht nicht so gut gealtert ist) brachte gerne Seitenhiebe auf die Bush-Administration unter. Es ist eine ausgesprochen deutsche Sichtweise zu glauben, Kritik könne nur mit gerunzelter Stirn geübt werden und Veränderungen kämen nur durch Barrikadenstürme und humorfreie Plädoyers zustande. Widerstand gegen patriarchale, heteronormative, rassistische Strukturen ist mannigfaltig und kann manchmal auch einfach funktionieren, indem man ein angenehmes Gegenbild zeichnet – und warum nicht in Form einer Wohlfühlserie, die von vielen Menschen rezipiert wird und so eine enorme gesellschaftliche Wirkkraft entwickelt? 

Dass das Genre inzwischen als solches ernstgenommen werden kann, merkt man auch daran, dass es meta geworden ist. Die Netflix-Serie Feel Good des:r kanadischen Comedian Mae Martin spielt mit eben dieser Zuschreibung, indem sie zahlreiche Elemente der Wohlfühlserie (quirky Charaktere, die ihre Beziehungen untereinander austarieren, bunte Ausstaffierung und temporeicher Wortwitz) nutzt, um einen durchaus düsteren Plot, in dem es um Sucht und Missbrauch geht, an das Publikum zu verkaufen. Die Gleichzeitigkeit von angenehmer Erzählstruktur und herausfordernden Themen, die der Wohlfühlserie schon immer inhärent war, wird hier explizit.

Man könnte sogar so weit gehen anzunehmen, dass die Feel-Good-Serie das Genre der Zukunft ist: Denn vielleicht sind in einer Zeit, in der die nächste Apokalypse immer nur eine Virus-Mutation oder ein brennendes Pipeline-Leck im Ozean weit entfernt scheint, Utopien wichtiger geworden als Dystopien. In diesem Sinne: The revolution will be televised.

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