Liebe ohne Grenzen?

Im Rahmen des Seminars »Liebe und Sex mit Robotern« unter der Leitung von Professor Catrin Misselhorn fand am 30. Januar eine Lesung mit der Schriftstellerin Emma Braslavsky statt. Dabei las Braslavsky Teile aus ihrer bewegenden Kurzgeschichte Ich bin dein Mensch, Ein Liebeslied vor und stand nachher für eine anregende Diskussion zur Verfügung.

Von Julia Klumpe

Bild: Catrin Misselhorn (l.) und Emma Braslavsky, von Julia Klumpe

Die berühmte Paartherapeutin Alma Felser ist wohl eine der wenigen, die noch an wahre Liebe zwischen Menschen glaubt. In einer Welt, wo der Markt an humanoiden Robotern immer größer wird und vor allem in Liebesbeziehungen eingesetzt werden, hat Alma es schwer, ihren Standpunkt zu vertreten. Sie versucht, den Menschen zu zeigen, dass echte Liebe ausschließlich zwischen Menschen existieren kann und geht als Paradebeispiel mit ihrer zehnjährigen Beziehung zum Musiker Julian voran. Doch lebt sie wirklich das Leben, worauf sie in all ihren Reden beharrt? Diese Frage stellt die Kurzgeschichte Ich bin dein Mensch, Ein Liebeslied von Emma Braslavsky, die am 30. Januar für eine Lesung an der Uni Göttingen zu Gast war.

Die Wahrheit ist, dass Alma von ihrem Partner verlassen wurde. Von Trauer, Wut und Einsamkeit vereinnahmt, bestellt sie sich einen Beziehungsroboter: Tom. Ihre gesamte Karriere baut jedoch darauf, ohne Roboter zu leben. Deshalb muss sie ihn vor der Welt verstecken. Zu Anfang der Beziehung funktioniert alles gut. Doch mit der Zeit verändert sich Almas Sichtweise auf Tom immer mehr. Während sie zu Beginn noch das beflügelnde Gefühl von Liebe empfindet, drängt sich zunehmend der Wunsch nach etwas Neuem und Aufregendem in den Vordergrund. Das illegale Alpha-Programm ist Almas Lösung. Schnell merkt Alma, dass Tom zu aggressiv wird und immer wieder mit Systemfehlern zu kämpfen hat, die ihn für einige Zeit still stehen lassen.

If you want a lover I’ll be anything you ask me to

Mit diesem Songtext vom Lied I am your man (Leonard Cohen) beginnt Emma Braslavsky ihre Lesung über Roboterliebe. Die meisten der Zuhörer:innen sind Teilnehmer des Seminars »Liebe und Sex mit Robotern«, im Rahmen dessen die Lesung stattfindet. Das Lied war – wie Braslavsky später erwähnt – Inspiration für den Titel ihrer Kurzgeschichte. Ihre Geschichte ist aufgebaut wie ein Tanz und wechselt immer wieder – mal durch Rückblenden, mal durch Sichtwechsel vom Roboter Tom und Alma – die Perspektive. Dadurch wird der Roboter ebenfalls zu einem identifizierbaren Wesen, das Gefühle zu verstehen versucht. Er wird nahbar.

Insgesamt fünf verschiedene Textstellen liest Braslavsky mit bewegender Stimme vor. Sie nimmt jeden einzelnen Menschen mit auf eine Reise in ihre Geschichte. Von den Anfängen der Beziehung, über erste Zweifel und Sorgen bis hin zu Toms Systemfehler – die Schriftstellerin haucht jeder Szene durch passenden Stimmwechsel Leben ein und plötzlich sind es mehr als nur Worte. Es ist, als ob man selbst Teil der Geschichte wird. Braslavsky zitiert insgesamt zwei Stellen aus dem Lied I am your man und mit der zweiten wird sofort die Problematik der Geschichte angedeutet: »And if you want another kind of love I’ll wear a mask for you«.

Das Problem Mensch

Zunächst scheinen die Zuhörer:innen das große Problem der Menschheit in den Robotern zu sehen. Einige äußern im anschließenden Publikumsgespräch, dass es Roboter seien, die mit ihrer perfekt abgestimmten Technik den Standard für menschliche Beziehungen zu hoch setzen würden. Ein interessierter Hörer bringt jedoch eine völlig neue Sichtweise mit seiner Frage an, die auch bei Emma Braslavsky Anklang findet: Sind Roboter wirklich das Problem, oder sind es die übersteigerten Vorstellungen der Menschen, die unerreichbare Maßstäbe an die Liebe für andere Menschen setzen? Alma scheint hierbei wohl das beste Beispiel für die utopischen Erwartungen der Menschen an die Liebe zu sein. Als bekannte Paartherapeutin beschäftigt sie sich täglich mit dem Thema Liebe und in den Rückblenden zu Toms Bestellprozess wird deutlich, dass sich ihre Vorstellungen jedoch widersprechen.

Alma äußerst den Wunsch nach romantischer Liebe. Sie selbst betitelt wahre Liebe als gegenseitigen Respekt und sinnlichen Umgang miteinander. Trotzdem beantwortet sie die Fragen, die ihr während des Bestellprozesses gestellt werden, nicht deutlich. Immer wieder löscht sie ihre Antworten und erfindet sie neu. Bei der Frage, wie ihr Partner sein sollte, antwortet sie, dass er »Alpha und soft, stark und einfühlsam, witzig und ernst« sein soll. Zudem will Alma, dass ihr Freund frei von Ängsten oder Komplexen ist. Dadurch hebt sie ihre Ansprüche ins fast schon Unmenschliche an.

Auch Braslavsky spricht diese Problematik an und betitelt Alma als »unreife Person«, die sich »noch nicht ausreichend erforscht« hat. Das Problem liegt also nicht nur bei den Robotern, sondern hauptsächlich bei den Menschen, da viele – so wie Alma – nicht wissen, was sie wirklich wollen bzw. nicht wissen, was Liebe wirklich ausmacht. Braslavsky betont, dass Alma noch lernen muss, eine richtige Beziehung zu führen und bringt eine eigene Anekdote an. Sie selber habe sich für Recherchezwecke auf einer Dating-App angemeldet und gestand offen, dass sie die Fragen ebenfalls nicht ehrlich beantwortet habe. Überzeugungen seien wichtig, so Braslavsky, aber der Mensch müsse sich erstmal mit diesen beschäftigen und sich selber fragen, ob und wie sie zu erreichen sind.

Entfremdung als Lösung?

Einen weiteren Diskussionsansatz bietet der Fakt, dass Alma häufig vergisst, dass Tom ein Roboter ist. Braslavsky beschreibt es als Grenzüberschreitung von Mensch und Maschine. Der Mensch nutze heutzutage viele technische Geräte und werde immer abhängiger davon. Die Maschine hingegen würde zum Menschen zu werden. Tom kann beispielsweise kaum von einem echten Menschen unterschieden werden und versucht unter anderem, Almas Gefühle zu verstehen, um noch menschlicher zu wirken.

Zudem haben Roboter in der Kurzgeschichte Persönlichkeitsrechte, was ein ethisches Dilemma darstellt. Dadurch, dass Robotern Rechte zugeschrieben werden, kommt es zur weiteren Vermenschlichung. Sowohl die Seminarleiterin und Moderatorin Catrin Misselhorn als auch Braslavsky bringen an, dass die Rechte dazu da sind, um zum einen die Roboter und zum anderen die Menschen zu schützen. Beim Sex mit einem humanoiden Roboter könnte es zu Gewalttaten oder Misshandlungen aus beispielsweise rassistischen Gründen oder dergleichen kommen. Durch die Vielfalt der Sexroboter in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild könnten Menschen auf die Idee kommen, eine Art rassistische Machtposition gegenüber bestimmten Robotern ausüben zu wollen, um so ihrem Hass Ausdruck zu verleihen. Dies würde zwar keine Menschen an sich verletzen, kann jedoch rassistische Taten etc. immer mehr legitimieren, wenn nicht dagegen vorgegangen wird.

Der Mensch müsse die Frage reflektieren, wo man humanoide Roboter überhaupt einsetzen will. Mit Braslavskys Frage »Warum müssen die so aussehen?« wird ein möglicher Lösungsweg gegeben, Roboter so zu verfremden, dass sie nicht mehr aussehen wie Menschen. Misselhorn bringt zusätzlich an, dass diese Möglichkeit eine Chance darstellt, Misshandlungen zu verringern, aber auch genau so gut ins Gegenteil ausarten kann.

Der Film zur Geschichte

Auf Basis der Kurzgeschichte ist 2021 der Film Ich bin dein Mensch erschienen, in dem es – mit einigen Änderungen aus filmästhetischen Gründen – ebenfalls um Alma und ihren Roboter-Freund Tom geht. Braslavsky verfasste die ersten Drehbücher, nachher in Zusammenarbeit mit Maria Schrader und Jan Schomburg. Braslavsky wollte nicht, dass der Film in Richtung Sciene-Fiction geht – das Genre, an das viele Menschen denken, wenn sie das Wort Roboter hören. Es sollte ein Film werden, der an den Alltag gebunden ist und nicht zu weit von der eigenen Realität entfernt ist. Die Zuschauer:innen sollten das Gefühl haben, die erzählte Welt zu verstehen und sie auf die eigene projizieren zu können.

Kritik am Film gab es von Braslavsky aber auch. Ihrer Meinung nach »hätte man Alma härter machen können«. Während sich Alma in der Kurzgeschichte betrinkt, sauer wird und teilweise sogar ausrastet, verhält sich die Alma im Film eher verletzlicher und schwächer.

Ein bewegendes Abschlussplädoyer

Eine Frage zum Ende der Lesung bringt Braslavsky zum Schmunzeln. Auf die Frage hin, ob sie persönlich daran glaube, dass Roboterliebe real werden kann, antwortet sie ausführlich und mit Bedacht. Sie betont den Fakt, dass Algorithmen und Technologien sich immer mehr in das Leben der Menschen drängen. Zudem verweist sie auf gewisse Etablissements, die schon heute Sex mit Robotern oder Puppen anböten. Auf dieser Ebene existiert Roboterliebe also bereits. In Japan gebe es sogar schon Ehen, die mit Robotern geschlossen werden können. Laut Braslavsky wären die Ressourcen für Liebesroboter da. Sie brachte an, dass dies für einige, beispielsweise einsame Menschen, gar nicht so schlecht sei. Sie seien ein guter Gesprächspartner, könnten Einfühlsamkeit zeigen und seien sogar für Beziehungen kompatibel.

Braslavsky erkennt jedoch auch die Gefahren, die hinter der Nutzung von Robotern lauert. Es gebe viele Möglichkeiten der Einsetzbarkeit von Robotern, beispielsweise in der Pflege oder in Fabriken. In solchen Bereichen könnten Roboter gut und sinnvoll sein, doch es könne auch gefährliche Gebiete geben, wie beispielsweise in Beziehungen. Dort bildeten sich, wie schon angesprochen, so hohe Vorstellungen, dass andere Menschen diese nicht mehr erfüllen könnten und »wir aufhören, Mensch zu sein«. Mit der Frage, ob es wirklich eine sinnvolle Idee sei, Roboter in der Ehe einzusetzen, beendet sie diese spannende und intensive Lesung.

Mit ihrer Kurzgeschichte Ich bin dein Mensch, Ein Liebeslied und dem darauf basierenden Film hat Emma Braslavsky eine Thematik aufgedeckt, die schon jetzt eine wichtige Rolle spielt und auch in Zukunft eine große Debatte hinsichtlich ethischer Werte befüttern wird. Sie zeigt, dass nicht nur Roboter das Problem sind, sondern die Menschen und ihre utopischen und weltfremden Wünsche eine Vorstellung der Liebe erschaffen, die zwischen echten Menschen nicht möglich ist und in der sich viele »selbst manchmal vergessen«.

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