Pianist, Aktivist, Mensch

Igor Levits gestreamte Hauskonzerte haben in einer Zeit, in der die Musik an vielen Orten schweigen musste, Hoffnung und Freude in so manche Wohnzimmer gebracht. Florian Zinnecker hat den Pianisten begleitet. Herausgekommen ist Hauskonzert – ein beeindruckendes Buch, das nachdenklich macht.

Von Antonia Luiking

Bild: Via Pixabay, CC0

Igor Levit ist ein weltweit gefeierter Spitzenpianist, seine Konzerte und Einspielungen begeistern hunderttausende Menschen, auf Twitter spricht er sich nachdrücklich gegen Rassismus und Antisemitismus aus, er ist Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover und seit Oktober 2020 Träger des Bundesverdienstkreuzes. Und doch beginnt Hauskonzert, das Buch, in dem der Journalist Florian Zinnecker ihn durch die Konzertsaison 2019/20 begleitet, ganz bodenständig: »Berlin, ein Samstag im Dezember 2019, später Vormittag. Igor Levit ist müde. Sein rechter Arm schmerzt, der linke auch, es ist vielleicht nicht der beste Tag, um anzufangen.« Damit ist klar: Hauskonzert ist kein Buch, das überhöht. Es ist ein Buch, das Einblicke schenkt. Einblicke in das Leben von Igor Levit. In sein Leben als Pianist, als Aktivist und als Mensch.

Es ist keine klassische Biographie, die Levit und Zinnecker hier vorlegen, sondern vielmehr ein Mosaik aus Eindrücken – viele kleine Szenen und Stimmen, die sich zu einem erstaunlich umfassenden Bild der Person Igor Levit zusammenfügen. Mal äußert sich Levit selbst, mal berichtet Zinnecker, der ihn ein Jahr lang eng begleitete, immer wieder kommen auch seine Mutter, seine Kolleg:innen und seine Mitarbeiter:innen zu Wort. Zinnecker führt all diese Stimmen zusammen – zu einem Buch, das zugleich Sachbuch und Roman, Biographie und Autobiographie, Reportage und Tagebuch ist. Die Erzählung springt durch Raum und Zeit, hin und her zwischen Konzertabenden und politischen Talkshows, zwischen Kindheit und Jetzt, zwischen Hochs und Tiefs in Levits Leben. Man verliert sich als Leser:in leicht in diesem Mosaik. Aber das ist gut so. Es passt. Es passt zu Levit und es lässt einen wenigstens ansatzweise das Leben dieses Mannes fassen, dem das Jetzt nie genug ist, obwohl er vollständig in ihm aufgeht – der sich nach jedem Konzert sagt: »Ich will sofort weiter, ich muss sofort weiter.«

Von der Elbphilharmonie ins Wohnzimmer

Es ist eine beeindruckende Zusammenstellung von Eindrücken, die Levit und Zinnecker hier präsentieren, es ist aber nicht die, die sie ursprünglich geplant hatten. Das Jahr 2020 mit dem 250. Jubiläum von Ludwig van Beethoven ist für Levit bereits durchgeplant, als die Idee entsteht, es in Buchform festzuhalten: Konzerte in der Elbphilharmonie stehen auf dem Plan, eine Tour durch die USA, sein Solo-Debüt in der Carnegie Hall in New York, die Salzburger Festspiele. Levit ist ein gefragter Beethoven-Interpret, das Jahr hätte viel für ihn bereitgehalten. Und dann kommt alles anders. Am 10. März spielt Levit Beethovens Klavierkonzerte Nr. 3 und Nr. 5 in der Elbphilharmonie. Danach ist Schluss. Lockdown.

Auch davon erzählt Hauskonzert. Von dem, was die Pandemie mit einem hochbegabten und immer aktiven Künstler, der nicht stillsitzen kann, der nicht gerne mit sich selbst allein bleibt, macht. Und davon, wie es dann doch weitergeht: Am Tag nach dem letzten Konzert verfasst Levit einen Tweet: »Ich werde ab heute Abend, 19:00, wann immer ich kann, für Euch von meinem Zuhause aus, spielen. Per Livestream, hier auf Twitter.« Die Idee des Online-Hauskonzerts findet großen Anklang. Zehntausende sind live dabei, hunderttausende haben die Aufnahme bisher gesehen. In einer Zeit, in der das normale Leben ruht, in der die Musik vielerorts verstummt, schafft Levit Hoffnung und das Gefühl des Zusammenseins.

»A Mensch ist ein guter Mensch. A Mensch ist ein Mensch von Ehre.«

Am 2. April spielt er auf Einladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue. Live auf Twitter. Auch hier: Es passt. Levit ist niemand, der schweigt. Er lässt die Musik sprechen und er spricht selbst. Auf seinem Twitteraccount äußert er sich zu politischen Themen, er kritisiert Trump, die AfD und den Brexit, er spricht sich in aller Deutlichkeit gegen Hass, Rassismus und Antisemitismus, für Toleranz und Vielfalt aus.

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Igor Levit, Florian Zinnecker
Hauskonzert

Hanser: München 2021
304 Seiten, 24,00€

In seinem Aktivismus sticht vor allem eine Begebenheit heraus, die im Buch immer wieder aufgegriffen wird: Levit kommentiert ein Video, in dem ein Abgeordneter der AfD einen Geflüchteten zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt. »Menschen, die ihr Menschsein verwirkt haben«, schreibt er und verlinkt den Twitter-Account der AfD. Der Tweet schlägt hohe Wellen, Levit wird für seine Worte aufs Schärfste kritisiert. Er bekräftigt sie: »Das Wort Mensch ist ein jiddisches Wort. A Mensch ist ein guter Mensch. A Mensch ist ein Mensch von Ehre.« Es ist ein Teil des Hauskonzert-Mosaiks, das nachdenklich macht. Levits klare Haltung, die klaren Worte – unmöglich, sich nicht mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen. Und dabei tut Levit nichts, was nicht auch anderen möglich wäre. Er spielt nur besser Klavier. Zinnecker bringt es auf den Punkt:

»Er sagt Sätze, die jeder andere auch sagen kann. Die Aussagen, die seine Anhänger als politische Statements feiern, sind nicht besonders komplex, eher simpel, sie würden jedem anderen Menschen auch einfallen. Er zeigt, was jedem anderen Menschen auch möglich wäre. Jeder könnte das. Es ist sogar selbstverständlich. Dass Igor damit so auffällt, zeigt nur, dass es so viele andere eben nicht machen.«

Hauskonzert hinterlässt tiefe Eindrücke. Als Leser:in bekommt man große Lust, sich jedes der Klavierstücke, die Levit beschreibt, auch selbst anzuhören. Man möchte selbst erleben, dass sich eine Abfolge von vierzehn gleichen C-Dur-Akkorden anfühlen kann wie »reines Glück«. Wer Beethovens Klaviersonate Nr. 21, die den Namen Waldsteinsonate trägt, oder Frederic Rzewskis Variationssatz The People United will neverbedefeatedbisher noch nicht kannte, wird sie sich spätestens jetzt anhören.  Doch nicht nur die beschriebene Musik bleibt hängen: Ohne es explizit zu fordern, einfach nur dadurch, dass er es selbst in aller Klarheit tut, hält Levit einen dazu an, sich der eigenen Haltung zu politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen und Problemen bewusst zu werden. Stellung zu beziehen. Mensch zu sein.

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