»The disease we have to fight in any creative field: ease of use«. Der Kreativitätsfundus vom The White Stripes-Frontmann gründet auf einer Idee des struggle. Das kann schon mal zu Inszenierungskapriolen führen. In unserer sechsten Pop-Ausgabe beschäftigt sich Julia Benner mit Ideologie & Ästhetik im Werk von Jack White.
Von Julia Benner
Artikelbild: Collage aus Pop Pop Pop von Julia Benner und Jack White (and the number 3) in Icky Thump Video – The White Stripes von Ben via Flickr.
Authentizität & Jack White: »shake this riddle off«
Authentizität und Artifizialität kleben an Jack White wie ein alter Kaugummi. Egal ob sich mit Whites Identität als Künstler, als Produzent oder als Privatmensch, seinen Bands, seinen Songs, seinem Equipment, seinem Gitarrenspiel, seinen Videos oder seinen Performances auseinandergesetzt wird, in nahezu jedem Artikel, Kommentar oder Interview geht es um Authentizität. Dies wird z. B. in der wohl meist rezipierten Komponente seiner Pop-Autobiographie
Spätestens seit dieser ‚Enthüllung‘ sind Fragen nach Authentizität in Interviews, Klatschkolumnen und Rezensionen nicht mehr wegzudenken, wobei sie ganz unterschiedliche Aspekte berühren. So wurde u. a. hinterfragt, ob The White Stripes noch zur Detroiter Szene gehören und ob sie nicht zu sehr im Mainstream verhaftet seien, aber auch, ob der Einsatz digitaler Technik authentisch sein kann bzw. ob bestimmte Medialitäten authentischer seien als andere. In diversen Medien wurde unlängst sogar diskutiert, ob White als Künstler und Person noch authentisch sein kann, wenn er angeblich in einem Auftrittsvertrag eine spezielle Guacamole für die Verpflegung während der Tour fordert.
Authentizität funktioniert also für Jack White und sein Werk als individuell ausgehandelte, emotionalisierte Fremdbeschreibungskategorie. Dabei wird White oftmals zu einem der bedeutendsten Repräsentanten einer ästhetischen Ideologie oder ideologischen Ästhetik erhoben, die liveness und low-fi feiert
Die Idee von Authentizität als (im weiteren Sinne) ideologischem Konzept möchte ich nun weiterverfolgen, jedoch nicht im Kontext von Fremdbeschreibungen oder Rezeption, wie dies üblicherweise der Fall ist; vielmehr möchte ich analysieren, wie Jack White Ideen von Authentizität und Künstlichkeit selbst inszeniert, propagiert und artikuliert. Welche Authentizitäts-Konzepte verwendet er zur Beschreibung von Musik? Welche Musik-Ideologie präsentiert und repräsentiert er? Wie lässt White diese Konzepte in seinen Selbstinszenierungen wirksam werden?
Faking It: »The truth is the blues«
Zunächst gilt es zu ergründen, was White selbst für ein Verständnis von Authentizität hat. Dabei fällt auf, dass bestimmte Begriffe in seinen Selbstäußerungen immer wieder auftauchen: the authentic und the real sowie the truth. So äußert sich White im Interview mit Dan Rather zur letzten Kategorie:
If I was […] proud enough of it to explain it I would feel like what I aiming for is the truth because the blues is the truth to me. […] And the truth doesn’t mean you know that that story happened to me and I’m telling you about it. […] the founding fathers said the pursuit of happiness. They didn’t say life, liberty and happiness, they said life, liberty and the pursuit of happiness and I think that the same thing how I’m thinking about truth in music: the pursuit of the truth. I’m at least trying to get there and maybe you might get something out of it, too, if you’re listing to it and you can relate to it in your own way. But I’m not talking any about myself […] I’m just saying this is a story and this is a character and he’s doing something or she is doing something and we are trying to get to something truthful that makes sense. It’s very hard because: Even as a preacher you would have to sneak the medicine in the mashed potatoes.
The Big Interview with Dan Rather: Jack White. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=o8u6odW8pdQ, min 5-6 (letzter Zugriff: 23.1.2016)
The truth ist demnach das innere Wesen der Musik, die sich für White im Blues am ehesten ausdrückt.
Auf der Suche nach the truth wirken also zwei entgegengesetzte Pole auf einen, wodurch eine dritte Kraft entsteht, auf die ich am Ende zurückkomme. Keightley beschreibt diesen bewussten Leidensweg, das Ringen mit der Musik, als romantisches Image eines Genies, wobei er Romanticism als Gegenstück zu Modernism auffasst.
Pop! Pop! Pop!
Pop als Feld permanenter Aushandlungsprozesse braucht Authentizität. Der Verweis auf realness und fake, street credibility und wahre Identität dient in der populären Musik dazu, sich nach außen und innen zu vergewissern. Gleichzeitig ist Authentizität immer dann vorbei, wenn man sie als solche begrifflich zu fassen beginnt. Nach der Ringvorlesung des Wintersemesters 2014/15 an der Universität Göttingen hat sich im September 2015 auch ein komparatistischer Workshop in intensiven Diskussionen dem Thema populärer Musik gewidmet und dabei Phänomene der Authentizität und Artifizialität in den Fokus gerückt. In der Reihe Pop! Pop! Pop! präsentieren die VeranstalterInnen Julia Benner, Anna Bers und Niels Penke auf Litlog die einzelnen Beiträge des Workshops.
Spreading It: »sneak the medicine in the mashed potatoes«
Im Gegensatz zu the truth ist the real im Rock bzw. Pop für White eine Verpackung, eine Attitüde. Authentizität wird bestenfalls fingiert:
»When you go on stage in just a jeans and t-shirt you are making a choice. You’ re choosing to sort of be what I think a lot of the punkrockers and rock ’n rollers thought was real […] But to me The Ramones, a punk band, they all wore leather jackets and keds. It was a uniform they wore. […] they were really completely dressed to impress and dressed to exemplify that.«
The real ist also eine vom Publikum angenommene Kongruenz von Künstler-Identität und persönlicher Identität, die sich wie eine Folie über die offensichtliche Künstlichkeit der Kunst legt und oftmals als ‚authentisch‘ rezipiert wird. Anders gesagt bezeichnet the real den Versuch, eine größtmögliche Übereinstimmung von Popmusik-Erzählung und Nicht-Bühnenautobiographie zu inszenieren, die mit einer bestimmten Gruppe bzw. einem Genre abgeglichen wird. Folglich sind für White the authentic und the real eigentlich artifiziell.
Wichtig ist außerdem, dass White im Kontext seines truth-Konzeptes darauf verweist, dass er etwas propagieren will: »Even as a preacher you would have to sneak the medicine in the mashed potatoes.« Er möchte also seine RezipientInnen dazu animieren, sich mit ihm auf die Suche nach der truth zu begeben. In einem Interview führt White aus, dass die Künstlichkeit, die Inszenierung, gebraucht werde, um viele Menschen anzusprechen und mit der Bedeutung von Musik, also mit the truth, vertraut machen zu können. Gerechtfertigt sei daher: »Anything that draws you in and has meaning behind it […] it has to have a deeper story«
White gebraucht Inszenierungsstrategien, um die Musik und die Musik-Ideologie, die er vermitteln möchte, zu camouflieren. Künstlichkeit ist dementsprechend die List, »die Wahrheit unter vielen zu verbreiten«, wie es Brecht sagen würde – oder eben die White’sche Kartoffel, mithilfe derer die bittere truth verdeckt wird.
Wie propagiert White nun aber in seinem eigenen Werk the truth? Essentiell hierfür ist die intermediale Erzählung, in der mit (rockistischer) authenticity und (Meta-)Fiktionalität gespielt wird: Wo hört John Anthony Gillies (so der bürgerliche Name) auf, wo fängt Jack White an?
Zentral für die Erzählung »Jack White« ist seine Stilisierung als Workaholic, der versucht, alles ästhetisch aufeinander abzustimmen.
Zwar behauptet White, dass die sorgfältig gewählten Äußerlichkeiten, wie Plattencover, Kleidung etc., die als Paratexte oder Quartärkomponenten
Making it: Kunsthandwerk
Vor seiner Musikkarriere arbeitete White als Polsterer, was er wiederholt als prägende Erfahrung beschreibt. Er stilisiert sich dadurch – erneut in rockistischer Manier – zum einen als ‚all American everyday working man‘, der sich gewissermaßen mit harter Arbeit vom Tellerwäscher zum Millionär hinaufgearbeitet hat und nun den ‚American Dream‘ lebt. Zudem vergleicht er das Produzieren von Musik mit dem Aufpolstern von Möbeln und umgekehrt. Dies wird bereits deutlich, wenn man sich die Werbeslogans seiner jeweiligen Unternehmen vor Augen führt: »Your furniture is not dead« (Third Man Upholstery) und »Your turntable is not dead« (Third Man Records).
Das Aufpolstern ist auch als Denkfigur bedeutsam für Whites Umgang mit Musik und ihrer Inszenierung. So erinnern seine Lieder in gewisser Weise an diesen handwerklichen Vorgang, unterliegt ihnen doch im Kern meist ein historischer Stil oder Code. White verwendet altes, teilweise umgearbeitetes Equipment, was zu Sounds mit hohem Wiedererkennungswert führt. Auch seine Coverpraxis, das Einkleiden eines alten Liedes in ein neues Gewand, sowie die Wiederherausgabe historischer Bluesmusik, die Inszenierung des historischen recording booth oder der Film American Epic (USA, Bernard Macmahon, 2016) können analog gelesen werden. In diesem Sinne ist Whites Musik eine Hommage an frühere KünstlerInnen.
Der handwerkliche Aspekt zieht sich nicht nur durch das gesamte Werk und seine Inszenierung, sondern wird zu einer allumfassenden Weltdeutung, was der Film Coffee and Cigarettes (2003) verdeutlicht. Hier wird White ebenfalls als Tüftler dargestellt, der Bandkollegin Meg seine Tesla-Spule präsentiert und sie dabei über Teslas und seine eigene Weltsicht informiert: »he [Tesla] percieved the earth to be a conductor of accoustical resonance«
Digitale Technologie steht dieser ästhetischen Ideologie im Sinne Walter Benjamins teilweise entgegen. Da für White billige Reproduzierbarkeit und Wiederholbarkeit dem Erleben entgegenwirkten, führten sie seiner Meinung nach zum Verlust einer gefühlten Aura. So stellt er z. B. nicht ohne Frustration fest: »One of the problems is people are happy with the replica«
So wird Whites Werk als eine Art Kunsthandwerk beschreibbar. Es ist eine handgemachte Kunst, die nicht einfach reproduziert werden soll, sondern den Anspruch erhebt, individuell und zugleich für die Masse tauglich zu sein. Sie stellt eine Verbindung zu Traditionen her, schreibt sich in diese ein, lässt sie fortleben, ist aber bestrebt, dabei einzigartig und anders zu sein. Whites Werk lässt sich daher auch mit dem Motto bzw. der Forderung der Arts-and-Crafts-Bewegung beschreiben: der »Vereinigung von Kunst und Arbeit«. Mit Arbeit sollte wiederum (ideelle und ökonomische) Wertschätzung verbunden sein. Whites Werk unterscheidet sich vom Kunsthandwerk aber durch den kulthaften Fokus auf die Person sowie die Überhöhung der Kunst.
Worshipping it: Die heilige Musik
Nach einer häufig wiederholten Anekdote war White zu Beginn seiner Karriere kurz davor, Priester zu werden, hatte auch schon einen Platz im Seminar, entschied sich dann aber doch für die Musik. So verwundert es nicht, dass er seine Anstrengungen, den Menschen etwas über Musik vermitteln, mit denen eines Priesters vergleicht. Besonders den sakralen Charakter von Musik hebt White immer wieder hervor. Dies wird sehr deutlich in seinem 2015 veröffentlichten Gedicht mit dem programmatischen Titel Music is Sacred, in dem es unter anderem heißt:
tell the living and the dead
what you know in your heart to be true
and what you know your ears
will forever hear
that the melody of the human race
is a song that never ends.
music is sacred.Jack white iii: music is sacred 2014: Verfügbar unter: http://thirdmanbooks.com/newsitem/music-is-sacred (Letzter Zugriff:14.03.2015).
Musik wird hier mit Menschlichkeit an sich gleichgesetzt und damit die Forderung nach ihrer Wertschätzung weiter untermauert. Insgesamt scheint »music is sacred« seit 2014 zur Kernagitationsphrase Whites geworden zu sein: Auf einem Festival animierte er die Menge bspw. dazu, in Call and Response-Manier auf seine Frage »say what?« mit »music is sacred« zu antworten
Jack White stilisiert sich somit zu einem Verkünder einer Musik-Religion, einem Jesus als Zimmermann und Prediger. Jemand, der sich für die Musik aufopfert, sich totarbeitet, dabei aber von den ZuhörerInnen missverstanden und von der Presse gehetzt und an den Pranger gestellt wird.
Der dritte Mann: »[…] been Jack White«
Jack White nutzt also verschiedene Inszenierungsstrategien und die Diskussionen um seine Authentizität bzw. Künstlichkeit, um das zu erzählen, was er the truth nennt. Dabei versucht er nicht nur, in seiner Musik the truth zu erzählen, sondern er erzählt auch immer wieder von the truth. Dazu bedient er sich elementarer Überzeugungsstrategien und verknüpft sie mit bzw. in seiner Musik. Er appelliert an die ZuhörerInnenschaft mit ‚glittering generalities‘, schreibt sich in die amerikanische Geschichte samt American Dream, ‚founding fathers‘ und ‚frontier spirit‘ ein, und propagiert eine geradezu spirituelle Anbetung von Musik. Die Arbeit hinter dem Produkt wird ästhetisiert und ideologisiert, um den Wert des Werks zu untermauern. Ästhetik wird so zur Ideologie und Ideologie zu Ästhetik.
Jack White, dem eine Obsession für die Zahl Drei nachgesagt wird, überzeichnet sich als das hybride Dritte, das sich aus dem »struggle« zwischen dem Ersten und dem Zweiten ergibt, zwischen dem Blues und dem Pop/Rock, the truth and the authentic. White will den Massen the truth erzählen und das geht am besten mit Künstlichkeit. Konsequenterweise bezeichnet White sich selbst daher als Jack White III, das Label als Third Man. The Third Man spielt wiederum auf den gleichnamigen Film (1949) von Carol Reed an
Darum geht es auch in der Inszenierung von Jack White, die mit fluiden Identitäten und Zuschreibungen spielt. Wieviel John Anthony Gillis in Jack White III steckt, bleibt dabei bewusst immer offen. Genau das nennt Diederichsen als »konstitutiv für alle Pop Musik […] in keinem performativen Moment [darf] klar sein […], ob eine Rolle oder eine reale Person spricht.«