Ausschließlich »mit’m Mund«: Das deutschsprachige A-capella-Quartett Maybebop macht ›vielleicht Bebop-Musik‹, aber ganz sicher sind sich weder die Bandmitglieder noch ihre Fans und Kritiker. Julian Ingelmann stellt den Authentizitätsgehalt von Musik, Text und Kostüm in unserem siebten Pop-Artikel auf den Prüfstand.
Von Julian Ingelmann
Artikelbild: Collage aus Pop Pop Pop von Julia Benner und Maybebop bei einem Konzert des Programms Weniger sind mehr, v. l.: Lukas Teske, Sebastian Schröder, Jan Malte Bürger, Oliver Gies. von Jasmin Könemann – StageLight Pictures unter CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia.
»In allen Kulturen gilt die menschliche Stimme als das früheste, persönlichste und natürlichste Instrument für unmittelbaren Ausdruck und Kommunikation«, stellt Sylka Uhlig 2008 fest. »Die Stimme ist uns als Instrument am nächsten und gibt uns die Möglichkeit, Verbindung zum Ich und zur Außenwelt herzustellen. […] Die Stimme drückt aus, wer wir sind und was wir empfinden. Unmittelbarer, spontaner stimmlicher Ausdruck, wie etwa spontanes Ausbrechen in Gelächter, Weinen, Schreien oder Rufen, sind authentische, unverstellte und freie Äußerungen der menschlichen Stimme […].«
Maybebop – A-cappella artifiziell
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich die meisten deutschsprachigen A-cappella-Bands optisch möglichst ›authentisch‹ präsentieren. Die Bühnenkleidung von Gruppen wie den Wise Guys, Fünf vor der Ehe, Basta und 6-Zylinder erweckt den Eindruck, als könne sie von den Bandmitgliedern auch privat getragen werden. Dadurch wirkt sie als ›authentische‹ Repräsentationen ihres persönlichen Geschmacks und nicht etwa wie das Werk einer*s Stylistin*en. Das lässt sich von der Berufskleidung des A-cappella-Quartetts Maybebop nicht behaupten. Auf den Pressefotos zum Album Das darf man nicht präsentieren sich die vier Sänger aus Hannover, Berlin und Hamburg in neonfarbenen Glanzsakkos, die sie im Colour-Blocking-Stil mit kurzen Hosen, Kniestrümpfen und Halbschuhen kombinieren. Doch nicht nur die Kleidung der Bandmitglieder fällt ins Auge, sondern auch ihre Position, ihre Körperhaltung und ihre Mimik. Alles auf diesen Bildern ist bis ins kleinste Detail inszeniert. Schon in ihrer äußeren Darstellung widerspricht die Band Maybebop also den Authentizitätsstandards ihres Genres.
Pop! Pop! Pop!
Pop als Feld permanenter Aushandlungsprozesse braucht Authentizität. Der Verweis auf realness und fake, street credibility und wahre Identität dient in der populären Musik dazu, sich nach außen und innen zu vergewissern. Gleichzeitig ist Authentizität immer dann vorbei, wenn man sie als solche begrifflich zu fassen beginnt. Nach der Ringvorlesung des Wintersemesters 2014/15 an der Universität Göttingen hat sich im September 2015 auch ein komparatistischer Workshop in intensiven Diskussionen dem Thema populärer Musik gewidmet und dabei Phänomene der Authentizität und Artifizialität in den Fokus gerückt. In der Reihe Pop! Pop! Pop! präsentieren die VeranstalterInnen Julia Benner, Anna Bers und Niels Penke auf Litlog die einzelnen Beiträge des Workshops.
Der artifizielle optische Ersteindruck lässt sich problemlos auch auf die Musik des A-cappella-Quartetts übertragen. Der Bandname Maybebop, eine Wortneuschöpfung durch Kontamination, ist Programm: Die vier Sänger machen ›vielleicht Bebop-Musik‹, mit Betonung auf dem Vielleicht. Es ist schwierig, einen einheitlichen Stil der Band zu definieren, denn ›typisch Maybebop‹ ist eben die musikalische Bandbreite: Selbstgeschriebene Popsongs in deutscher Sprache wechseln sich mit Coverversionen von Künstlern wie David Guetta, Queen oder John Miles ab; Stilparodien nach Art der Beastie-Boys oder der Berliner Band Knorkator finden sich ebenso im Programm wie Neuinterpretationen deutscher Volkslieder. Das stellt auch die Kulturkritik immer wieder als Besonderheit der Maybebop’schen A-cappella-Musik heraus. »Als Zuhörer«, so Andreas Voigt etwa in der Neuen Presse, »kann man sich nie ganz sicher sein, was einen erwartet. Stilistisch schöpfen Maybebop die gesamte Bandbreite populärer Musik aus. Von sanften Balladen über Hip-Hop bis zum Grunge-Gesang ist alles dabei.«
»Ist das noch A-cappella?«
Unter den Fans herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob die Musik von Maybebop mit dem Label »A-cappella« wirklich richtig bezeichnet ist. Denn das, was die vier Sänger auf ihren CDs präsentieren, empfinden einige Hörer*innen als zu stark verfremdet und zu aufwendig produziert, um es noch als A-cappella-Musik durchgehen zu lassen. Maybebop nutzt, wie die Künstler selbst verkünden, die Möglichkeiten »zeitgemäßer Studiotechnik«.
Was hier als Analyseergebnis nicht wertend gemeint ist, äußern einige Konzertbesucher*innen und CD-Käufer*innen als Kritikpunkt. Das lässt sich beispielsweise auf der Facebook-Seite der Band nachvollziehen: »Schade«, schreibt etwa ein Nutzer, »Mit a capella hat das nur noch wenig zu tun.«
In diesem Aufsatz wird Maybebops Selbstinszenierung trotzdem vor dem Hintergrund der deutschsprachigen A-cappella-Szene analysiert, weil die Band einerseits von vielen Fans als Teil dieser Szene verstanden wird und sich die vier Musiker andererseits auch gerne selbst als Teil einer solchen Szene präsentiert: Sie geben Doppelkonzerte mit anderen A-cappella-Bands, treten auf A-cappella-Festivals auf und greifen anderen A-cappella-Bands bei Komposition, Textdichtung und CD-Produktion unter die Arme. Für Maybebops Selbstinszenierung ist diese Zugehörigkeit zur A-cappella-Szene vor allem deshalb von Bedeutung, weil Abgrenzung durch Artifizialität nur dann gelingen kann, wenn eine grundsätzliche Ähnlichkeit vorliegt. Die Künstlichkeit, mit der sich die Band in Bild und Ton inszeniert, fungiert als Alleinstellungsmerkmal, als Waffe in den »permanente[n] Positionierungs- und Definitionskämpfe[n]« auf dem künstlerischen Feld.
Endlich authentisch – Erfüllung der Erwartungshaltung oder ironischer Kommentar?
Um diesem Mysterium auf die Spur zu kommen, lohnt sich zunächst ein Blick auf das Cover des Albums. Während der Titel Authentizität suggeriert, tut die optische Gestaltung alles, um dieses Versprechen zu unterlaufen: Die Schrift präsentiert sich in einer Näh-Optik und weist so auf die ›Gemachtheit‹ dieses Covers hin. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass sich die Bandmitglieder einzeln in verschiedenen Bilderrahmen präsentieren, die im Zusammenhang mit Kleidung, Blick und Pose der dargestellten Künstler zur Charakterisierung ihrer Bühnenfiguren dienen. Dadurch macht sich Maybebop selbst zum Kunstobjekt.
Das Lied Endlich authentisch besteht musikalisch aus den Bausteinen ›Intro‹, ›Verse‹, ›Prechorus‹, ›Chorus‹, ›Brigde‹ und ›Outro‹. Textlich präsentiert es sich als Dialog zwischen einem aufdringlichen Zuhörer und den Bandmitgliedern: In den Strophen und den ersten beiden Prechorus-Passagen nehmen die wechselnden Leadsänger die Perspektive eines Maybebop-Fans ein, der*die sich mit der Band unterhält; in den Refrains, der Bridge und dem dritten Prechorus sprechen die Leadsänger als Bandmitglieder von Maybebop über Maybebop. Diese Struktur ermöglicht es dem Quartett, sein Verhältnis zum Publikum zu reflektieren und sich selbst in der Beziehung zu seinen Zuschauern zu positionieren. Wie wichtig bei dieser »Unterhaltung« die Authentizitätserwartung der Fans ist, wird besonders zu Beginn des Liedes deutlich.
Die erste Strophe erzählt die Geschichte eines Zuschauers, der aus seiner passiven Rolle auszubrechen versucht. Er stellt der Band zunehmend persönliche Fragen und wagt den Blick hinter die Fassade. Dazu beginnt er mit einem Lob für die Musik der vier Sänger und kommentiert ungläubig, dass sie ausschließlich »mit’m Mund« gemacht werde. Schon hier spielt der Text auf die szeneninterne Debatte um ›authentische A-cappella-Musik‹ an. Mit der Bitte, die Künstler duzen zu dürfen, möchte der Sprecher anschließend einen freundschaftlicheren Ton in der Unterhaltung etablieren; er sucht die Nähe der Sänger. Im ersten Prechorus fragt der Sprecher dann nach privaten Details – nicht bemerkend, dass er dabei die Grenze zur Beleidigung übertritt: Er bezweifelt die Echtheit der Haarpracht von Sänger Lukas, bohrt nach der »schlimmste[n] Blamage« und bittet um Auskunft über die Bezahlung der Band. Gesellschaftliche Grundsätze, die Unterhaltungen unter Fremden meist anleiten – etwa ›Über Geld spricht man nicht‹ – interessieren ihn nicht mehr. Seine Gier nach intimen Informationen über die Bandmitglieder siegt über das Höflichkeitsgebot.
Den Refrain nutzt Maybebop, um auf den dargestellten Fan zu reagieren und sich selbst im Authentizitätsdiskurs zu verorten. Dafür ist besonders die zweite Zeile aufschlussreich: »Wir bezieh’n heut endlich Position«. Hier kündigt die Band an, eine bestimmte Identität anzunehmen, also ein festes Image aufzubauen, das sich vom typisch maybebop’schen Variantenreichtum verabschiedet. Doch Zeile vier löst auf, dass diese »Position« darin besteht, »niemals identisch« zu sein. Maybebop weigert sich, einen festen Platz im künstlerischen Feld anzunehmen – und sperrt sich damit gegen das Authentizitätsgebot der Popmusik.
Im direkten Gegensatz dazu steht das Versprechen, nun »endlich authentisch« zu sein, also die »weit verbreitete, sozial und kulturell erzeugte Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, nach Echtheit und Wahrhaftigkeit« endlich zu erfüllen.
Objektartifizialität und Subjektauthentizität
Es wäre zu einfach, das Lied und das dazugehörige Album als reine Ironie abzustempeln und als zynischen Kommentar auf das Authentizitätsgebot des A-cappella-Genres zu lesen. Denn wer sich mit Maybebops Bandgeschichte auseinandersetzt, dem*der offenbart sich noch eine andere Lesart des Textes. Das Album Endlich authentisch ist nämlich das vierte große Studioalbum der Band in dieser Besetzung – Spezialeditionen, Liveaufnahmen und Weihnachts-CDs ausgenommen. Zwei Jahre vor Endlich authentisch (2009) erschien das Album Superheld, das vor allem aus Coverversionen besteht: Neun von 14 Tracks sind ausgefallene, aus Sicht vieler Fans jedoch nicht besonders gelungene Varianten deutscher Schlagertitel – also einer Musikrichtung, der sich Maybebop sonst eher parodistisch nähert. Tatsächlich erschien Superheld den vier Bandmitgliedern so andersartig, dass sie kurzzeitig in Erwägung zogen, es »unter einem anderen Bandnamen zu veröffentlichen.«
Endlich authentisch nimmt damit einen besonderen Stellenwert in der Bandgeschichte ein. 19 der 20 Stücke wurden selbst geschrieben, die Lieder wurden selbst produziert und die CD selbst verlegt. Nach dem Umweg über eine große Plattenfirma ging das Quartett damit zurück zu seinen Wurzeln – und gleichzeitig einen deutlichen Schritt in Richtung Zukunft: Endlich authentisch erscheint als Album und als Bühnenprogramm reifer. Es entfernt sich von Superheld und nähert sich den heutigen Programmen von Maybebop. Betrachtet man das Album Endlich authentisch vor diesem Hintergrund, muss man feststellen, dass es tatsächlich ein »authentisches« Album ist, weil es die Ideen der Künstler unmittelbar und unverstellt präsentiert. Auf Endlich authentisch zeigen sich die vier Sänger als autonome Künstler, die sich nicht sklavisch an die Regeln ihres eigenen Genres halten oder den Gesetzen der ökonomischen Musikindustrie folgen. Sie entsprechen der gesellschaftlichen Norm der Selbstverwirklichung und werden dadurch als ›authentische‹ Künstler wahrgenommen. Doch drückt sich diese Form der ›Authentizität‹ in einer Musik aus, die im Vergleich zu anderen deutschsprachigen A-cappella-Bands sehr artifiziell wirkt, weil sie die technischen und stilistischen Grenzen des Genres auslotet, anstatt die Natürlichkeit und Unvermitteltheit der menschlichen Stimme in den Mittelpunkt zu stellen.
Maybebop lässt sich also nicht einfach einem festen Platz in der Skala zwischen Authentizität und Artifizialität zuordnen – falls es eine solche Skala überhaupt gibt. Die Band muss differenzierter betrachtet werden, um verstehen zu können, wie sie auf ihre Zuhörer wirkt: Denn Maybebops’ Selbstinszenierung findet auf zwei Ebenen statt, die hier heuristisch als ›Künstler-‹ und ›Werkebene‹ bezeichnet werden sollen. Auf Werkebene – also auf Alben, Pressefotos und in Bühnenshows – wirken Maybebop artifiziell, weil sie sich den Regeln ihres ›Genres‹ widersetzen. Die Erwartungen der Fans, welche die Konventionen der A-cappella-Musik bewusst kennen oder zumindest unbewusst verinnerlicht haben, werden durch eine Form der Inszenierung gebrochen, die im Rahmen dieser Konventionen außergewöhnlich ist. Davon unterscheidet sich die Inszenierung Maybebops auf Künstlerebene, also die Selbstdarstellung in Video-Podcasts, auf Facebook oder in Interviews. Denn dort zeigen sich die Bandmitglieder dann doch ganz ungekünstelt beim Proben oder bei der Auswahl der Kostüme für ein neues Bühnenprogramm. Sie wirken wie vier Jungs von nebenan, wie Stars zum Anfassen – ganz ›authentisch‹ also. Auf Künstlerebene können die Fans – so wird es jedenfalls suggeriert – den Blick hinter die Kulissen werfen, der ihnen im Lied Endlich authentisch – auf Werkebene – noch rigoros verweigert wird.