Revolution statt Rollator

Er ist wieder da – Laos’ einziger (und ältester) Gerichtsmediziner Dr. Siri Paiboun. In seinem neusten Fall geht es raus in die Provinz. Die Dienstreise, die als Urlaub geplant war, wird zum Abenteuer im Dschungel mit alten Geliebten, neuen Bedrohungen und einer Verschwörung, die ihresgleichen sucht.

Von Joana Kolbach

Bild: Public Domain CC0

Auf charmant-dickköpfige Art und Weise haben sich Dr. Siri und seine Mitstreiter bereits durch acht Fälle in viele Herzen ermittelt. Zusammen mit einer illustren Gruppe, bestehend aus der Krankenschwester Dtui, seinem Assistenten Herrn Geung, Inspektor Phosy, Siris Ehefrau Madame Daeng und natürlich seinem besten Freund Civilai ermittelt der rüstige Rentner im Laos der 1970er Jahre in manchmal nahezu abstrusen Mordfällen. Dabei stehen ihm in dem kommunistischen Land nicht nur bescheidene Mittel zur Verfügung, sondern manchmal auch die Parteigenossen im Weg. Davon lässt sich die abenteuerlustige Gruppe unterschiedlicher Altersstufen – Siri, Madame Daeng und Civilai sind im besten Rentenalter, während Dtui, Herr Geung und Inspektor Phosy noch ein langes Leben vor sich haben – allerdings nicht aufhalten.

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Colin Cotterill
Dr. Siri und die Geisterfrau

Manhattan 2016
320 Seiten, 17,99€

In seinem neuesten Kriminalroman Dr. Siri und die Geisterfrau schickt Colin Cotterill den starrsinnigen Querulanten, der mittlerweile eigentlich in Rente ist, erneut auf eine irrwitzige Reise durch Laos. Siri ist zwar der Meinung, sich seinen Ruhestand wahrhaftig verdient zu haben, aber offensichtlich sieht das sein ehemaliger Vorgesetzter anders und bittet ihn um eine weitere »Dienstreise«. Er soll bei der Bergung einer Leiche im Dschungel anwesend sein, um den Toten mit seiner in Eigenregie erworbenen Expertise zu identifizieren. Ihm selbst ist der Tote völlig unbekannt, es soll sich jedoch um den Bruder des Landwirtschaftsministers handeln und mit hohen Parteifunktionären sollte man selbst als aufmüpfiger Gerichtsmediziner nicht spaßen. Siri macht aus der Not eine Tugend und nutzt die Reise in die Provinz, um mit seiner Frau Madame Daeng und seinem ehemaligen Assistenten Herrn Geung, ein Mann mit Down-Syndrom, Urlaub zu machen. Auf dieser Reise schlittert die muntere Gesellschaft von einer in die nächste Unmöglichkeit und trifft auf so manchen Regierungsvertreter, der ihnen nichts Gutes will. Aber davon lässt sich Siri nicht beeindrucken. Auch nicht, wenn jener Regierungsvertreter zufällig ein Namensvetter ist.

»Manche Menschen brauchen Tage, wenn nicht Wochen, um einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Gouverneur Siri war es in nicht einmal drei Minuten gelungen, alle vor den Kopf zu stoßen. Eine bemerkenswerte Leistung.«

Besonders Interesse erregt indes eine weitere Mitstreiterin, die die illustre Runde komplettiert. Madame Peung ist ein Medium, sieht gut aus und entfacht in Madame Daeng ein brennendes Gefühl der Eifersucht, das nur mit einer Menge Alkohol und dem Wissen um Siris ewige Liebe heruntergespült werden kann. Siri, selbst mit der Gabe gesegnet, Geister sehen zu können, kann mit seinen toten Begleitern keinen Kontakt aufnehmen, was ihn zusehends wurmt. Von Madame Peung erhofft er sich deshalb Hilfe in dieser Misere, da sie – ginge es nach Siri – all ihre Geheimnisse in puncto Geisterkommunikation ohne Umschweife an ihn weitergeben soll. Die Amtshilfe unter Medien lässt jedoch auf sich warten. Genauso wie die Lösung des Falls um den toten Bruder. Dafür gerät die bunte Truppe in eine Verschwörung ungeahnten Ausmaßes, die nur durch geschickte Polizeiarbeit und ein wenig Pragmatismus aufgedeckt werden kann. Hinzu kommt außerdem ein Franzose und ehemaliger Liebhaber von Madame Daeng, dessen Rachegelüste nur mit dem Tod von Siris geliebter Ehefrau gestillt werden können.

Mit von der Partie sind zudem altbekannte, liebgewonnene Figuren wie Siris bester Freund Civilai, der ihm weder in Alter noch Dickköpfigkeit nachsteht, die Krankenschwester Dtui, ihr Ehemann Inspektor Phosy und ihre kleine Tochter Malee, die ebenfalls tatkräftig an der Lösung des Falls mitarbeiten. Sollte dies der erste Roman über den unternehmungslustigen Gerichtsmediziner und seine Freunde sein, den man in die Hand nimmt, ist das kein Manko. Cotterills Romane bauen zwar aufeinander auf, aber er versäumt nicht, hinreichende Hinweise zu verteilen, sodass man der Handlung auch folgen kann, wenn man die Vorgängerbände nicht gelesen hat. Und die charmanten Figuren werden mit der Zeit sowieso nur noch liebenswerter.

»Genau wie der nordöstliche Monsun oder ein Staubwedelvertreter war Inspektor Phosy nicht zu bremsen. Wenn ihm etwas den Weg versperrte, setzte er den Meißel an und schwang so lange den Hammer, bis ihm der Durchbruch gelungen war.«

Colin Cotterill lässt seine Figuren wieder einmal das Beste aus der denkbar ungünstigsten Situation machen und seine augenzwinkernde Sprache würzt das Ganze – eigentlich eine eher traurige Angelegenheit, handelt es sich doch bei Laos um ein Land, in dem die meisten Menschen nichts zu lachen haben – mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.
Die bunt zusammengewürfelte Gruppe stolpert auch dieses Mal von einer in die nächste Unmöglichkeit. Das ein oder andere Mal ist nicht nur ein wohlwollendes Schmunzeln, sondern gar ein Lacher drin. Aber man muss auch eingestehen, dass Cotterill ein wenig Biss verloren hat. Die Leichtigkeit, die die Vorgängerromane zu echten Zeitdieben machte, ist oft auf der Strecke geblieben. Wenn man denn von »Zeitdieben« üverhaupt sprechen möchte, ist doch die Zeit, die man in seine bisherigen Romane investiert hat, nicht verloren, sondern mit unterhaltsamer Lektüre gefüllt. Eine Zeitverschwendung ist Dr. Siri und die Geisterfrau denn auch keinesfalls. Doch der Ton ist ernster geworden, vor allem durch Madame Daengs Vergangenheit im Widerstand gegen die französische Kolonialmacht, die eine wichtige Rolle spielt und in aller Ausführlichkeit dargelegt wird.

»‘Ich wurde im Dezember 1911 geboren, in den Wirren der Xin-hai-Revolution. Aus diesem Anlass gab mir mein Großvater den Namen Daeng. Normalerweise ist Daeng ein Spitzname, doch er wollte, dass sein Kindeskind der Revolution von allen Rot gerufen wurde.‘«

Daengs Vergangenheit nimmt dem Roman viel von der humoristischen Leichtigkeit, mit der seine Vorgänger glänzten. Lachen ist erlaubt – sogar erwünscht, aber manchmal bleibt es dann doch im Halse stecken. Oder verebbt zumindest auf dem Weg dahin. Dennoch steht Cotterill nicht mit erhobenem Zeigefinger vor dem Leser und rügt ihn, sondern reicht ihm gerade durch die Beschreibung von Daengs revolutionärer Vergangenheit die Hand, um in ein Land einzutauchen, deren Bewohner mit ihren ganz eigenen Mitteln das Beste aus der Situation machen. Vor diesem Hintergrund wirken die Figuren umso authentischer.
Trotzdem ist Siris neuester Fall lesenswert. Die schrulligen Figuren lassen darüber hinwegsehen, dass die Handlung an manchen Stellen nur seicht vor sich hinplätschert oder ernster wird als man es von den Vorgängerbänden gewohnt ist. Cotterrills Romane zeichnen sich durch eine ganze Menge handfesten Pragmatismus, Alkohol und liebevoll ausgestaltete Charaktere aus, die ein lebendiges Bild vom Laos der 1970er Jahre zeichnen. Das ist auch bei seinem neuesten Werk Dr. Siri und die Geisterfrau der Fall. Dennoch wartet Cotterill hier mit einer leiseren Fortsetzung seiner Reihe auf, die zwar in vielerlei Hinsicht anders als die Vorgängerbände ist, aber deshalb nicht schlechter. Eher eine Erweiterung.

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