Schimpfen über… Fälschliches Flektieren

Was soll der Terz? Eine Kolumne, die ganz auf’s Schimpfen ausgerichtet ist? – Ganz richtig! Denn freundliche Affirmation hat selten progressives Potenzial, während selbst wacklige polemische Thesen das Denken anszutoßen vermögen. Über die falsche starke Flexion des falschen Verbs.

Von Tanita Kraaz

Bild: Via Pixabay, Pixybay Licence

Winken wird »winkte«, »gewinkt« konjugiert und nicht »wank«, »gewunken.« Winken ist ein schwaches Verb. Diese Regel wurde mir mit unschuldigen 13 Jahren eingebläut. Damals war Bastian Sick, Ehrenmitglied des sprachpuristischen Vereins Deutscher Sprache, sowas wie ein grammatischer Rockstar und das Winken-Beispiel war ein Staple-Piece für seine Bühnenshows. Meine Generation wurde nicht bloß durch seine bemerkenswerte Publikationsfrequenz von einem Buch pro Jahr über die 2000er hinweg bis in die 10er Jahre hinein beglückt, Sicks Kolumnen waren 2011 Abiturstoff in Niedersachsen – obwohl Kritik an Sick und seinen »unverantwortlichen Deutschtipps« schon immer Ehrensache für Sprachwissenschaftler(*innen) gewesen ist.

So kam’s, dass der Herr einen ebenso unfreiwilligen wie einnehmenden Einfluss auf mich hat. Wider besseren Wissens finde ich zum Beispiel Sicks Erklärung für die Abweichung der schwachen Flexion bei Winken (bzw. richtiger: den dargestellten morphologischen Wandel) unglaublich plausibel: »gewunken« klingt schöner als »gewinkt«. Sie erlaubt mir diese ermächtigende Fiktion: Ich als Deutschsprecherin gönne mir die subjektiv ästhetischere starke Flexion.

Dass es gerade das Winken ist, dem ich diese bestreitbare Ehre zuteil werden lasse, irritiert mich dennoch. Es beschreibt ganz unbestritten eine wahnsinnig banale Tätigkeit: Die alberne Geste, die Hand in der Luft hin- und herzuwerfen, um Menschen freundlich zu grüßen; dafür wird ein Verb aufgemotzt. – Vielleicht ist diese Wahl ein Indikator für die allgemeine Freundlichkeit von Deutschsprachigen!? Ich erlaube mir jedenfalls, diese aberwitzige These zu stützen mit einem gleichermaßen fernliegenden Gegenbeispiel: Das negativ konnotierte »Schimpfen« nämlich sei laut Deutschem Wörterbuch (»vielleicht«) »in alter Zeit ein starkes Verb« gewesen. Wo es heute heißt: »Papa schimpfte mit mir.« Hätte es (»vielleicht«) auch heißen können: »Papa schampf mit mir.« Klingt schon schön! Außerdem hätte ich im Präteritum sogar eine Silbe gespart, die ich neu investieren könnte, zum Beispiel um den Grund des Schimpfens zu erläutern: »Papa schampf mit mir, weil.« – Die Beweggründe von Eltern bleiben ja oft irgendwie enigmatisch.

Doch Schimpfen ist nicht nur ein schwaches Verb, es hat auch eine Bedeutungsverarmung erlitten: Belegt ist das Schimpfen als Spielen, das Schimpfen als Scherzen und das Schimpfen beim »liebesgetändel«, Flirten also. Die Vereindeutigung hat große Vorteile. Peinliche Missverständnisse werden vermieden: Wenn ich davon berichte, dass mein Papa mit mir geschimpft hat, kann ich heute auf die Erklärung verzichten, dass wir nicht in Adalbert Stifters Hochwald leben. (Zum »radikal endogame[n], ödipale[n] und inzestuöse[n] System« in der Erzählung empfehle ich Marianne Wünschs Artikel »Normenkonflikt zwischen ›Natur‹ und ›Kultur‹ Zur Interpretation von Stifters Erzählung ›Der Hochwald‹«)

In dem Fall ist die semantische Verengung also extrem praktisch. Um andere verlorene Lemmata ist’s durchaus schade! Damit ist natürlich das Scherzen gemeint. Denn Schimpfen kann großen Spaß machen: Wenn man etwa an einem Dienstagabend im Medienraum des Instituts zusammensitzt, um zu überlegen, worum es in der neuen Semesterferienkolumne auf Litlog gehen könnte – und die Litlounge zum Oberseminar in praktisch angewandter Polemik wird. Hier eine leicht verkürzte Mitschrift:

Schimpfen über…

In der neuen Semesterferienkolumne versucht Litlog eine Rehabilitation des Schimpfens. In unregelmäßigen Abständen erscheinen hier Texte, die über die polemische Auseinandersetzung eine neue Perspektive auf ihren Gegenstand eröffnen. Alle Beiträge im Überblick findet ihr hier.

»Kennt ihr das Ruheabteil im Metronom!? Mit Garantie das Lauteste im Zug!«
»Und das Wetter!«
»Und die Menschen, die nur für die Party auf Demos gehen!«
»Und Sturmtief Sabine!«
»Und die grässliche Musik auf den Demos!«
»Und Sturmtief Victoria!«
»Und alle meine Peers chillen immer noch in der Wizarding World. – Es ist nicht mehr 2005!«
»Und im Sommer ist’s wieder trocken!«
»Und wo kann man Harry Potter überhaupt noch illegal streamen!?«
»Oder halt total schwül!«
»Und meine Schuhe müffeln trotz Backpulver-Life-Hack.«
»Und dann wieder so neblig und grau!«
»Und diese Leute, die einem ständig überall zuwinken. Göttingen ist so ein Dorf!«

Sicher kann dieses Schimpfen auch mal ermüden oder unangenehm werden, aber so ist das eben mit der Katharsis. Der reinigende Effekt geht einher mit der schmerzlichen Überwindung – und am Ende steht eine neue, frische Perspektive auf den Gegenstand. In diesem Sinne wird bei uns fortan nicht mehr gewunken, sondern gewinkt. Wir gönnen die schöne starke Flexion einem anderen Wort und benutzen unsere Hände für was Sinnvolles: die Tiraden zu Dokument bringen. Diese Wintersemesterferien wird in unregelmäßigen Abständen exklusiv auf Litlog geschumpfen.

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