Schimpfen über… Das Wetter

Das Wetter ist prinzipiell schon nervig und deshalb eine gern genutzte Ausrede für Unlust und schlechte Laune. Dabei lohnt es sich, einen Blick hinter die Schlechtwetterfronten Sabine und Victoria zu werfen. Denn das führt zu dem Schluss, dass sich dringend was ändern muss.

Von Lisa Marie Müller

Bild: Via Pixabay, Pixabay Lizenz

Jetzt sind auch noch Semesterferien, äh, vorlesungsfreie Zeit. Also stehen Klausuren, Essays und der ganze andere Mist an. Alle hängen am Campus rum, sollen selbstständig ihre Zeit einteilen und mal eben zwei bis vier Hausarbeiten schreiben. Und das Wetter erst! Das ist mindestens genauso nervig wie die Abgaben. Gerade regnet es, Sturmtief Sabine hat sich davongemacht und das neue Tief, Victoria, bringt warme bis stürmische Stimmung mit sich.

Wundert sich eigentlich niemand über die Vergabe weiblicher Vornamen für die Schlechtwetterfronten und Stürme? Auf gute-frage.net (nebenbei bemerkt eine sehr unterhaltsame erste Anlaufstelle für Themen aller Art) stellen sich Menschen ähnliche Fragen wie ich: »Warum haben Stürme eigentlich immer weibliche Namen? Es heißt doch auch – der – Sturm.« Uff, ja. Das grammatische Geschlecht hat nichts damit zu tun. Aber der erste Teil der Frage drängt sich nach den Sabines und Victorias der letzten Wochen auf. Hier also die Antwort: Es gibt Pat*innenschaften für Hoch- und Tiefdruckgebiete. Ein Stern (der deinen Namen trägt) mal anders, für schlappe 199 bis 299 Euro. Wieso sollte man dafür Geld ausgeben? Die Gründe reichen von kreativen Geschenkideen bis Namensfetischismus. Letztlich gilt wie immer in Zeiten des Spätkapitalismus: Weil man es kann. Soweit, so absurd.

Aber es kommt noch besser, denn es ist nicht egal, ob ein Tiefdruckgebiet einen männlich oder weiblich konnotierten Namen bekommt. Eine Studie zu Hurrikans wertete die Daten von 60 Jahren aus und bezeugte eine nachweislich höhere Anzahl von Todesopfern bei weiblich benannten Stürmen. »Wtf?!«, könnte man sich jetzt zurecht fragen. Sozialisation im Patriarchat, würde ich entgegnen. Auch die Studie kommt zu dem Ergebnis: Es handelt sich um anerzogene Erwartungen, die an vermeintliche Geschlechter angelegt werden. Das hat Folgen, in diesem Fall ziemlich verheerende. Denn es wurde empirisch belegt, dass ein Hurrikan mit Frauennamen von den meisten Menschen (unbewusst) als weniger gefährlich eingestuft wird, Warnungen nicht ernst genommen werden, Schutzanweisungen nicht genug Folge geleistet wird. Die Stürme werden unterschätzt. Wegen weiblich klingender Namen. Wie abgefuckt ist das denn.

Aussichten und Ausreden

Das ist jedoch nicht der Grund, warum mir für diese Schimpf-Kolumne als Erstes das Wetter eingefallen ist. Ich hatte schon länger den Verdacht: Es ist völlig egal, welche Form von Wetter gerade hinter dem nächsten Fenster lauert, es kann nur scheiße sein. Deshalb begann ich meine eigene kleine Studie: Ich fing an über das Wetter zu reden, bewusst. Für diese Kolumne. Ich musste ja wissen, worüber ich hier schreibe. Es war ein Fehler. Metaebene in Wettertalk bringen wollen, bringt genau gar nichts. Ich verbringe den Großteil meines Tages zwischen dem Deutschen Seminar, dem KWZ und der Turmmensa. Die Gesprächseinstiege laufen typischerweise übers Wetter und ähneln sich wie Lehramtsstudis untereinander und die Sneaker der Turmmensa-Crowd: Irgendwie denkt man kurz, sie unterscheiden sich, abadanndonnich. Auf ein »Na, wie geht’s?« folgt ebenso so verlässlich wie relatable eine Aussage zur eigenen Demotivation wegen des Wetters.

Kolumne
Schimpfen über…

In der neuen Semesterferienkolumne versucht Litlog eine Rehabilitation des Schimpfens. In unregelmäßigen Abständen erscheinen hier Texte, die über die polemische Auseinandersetzung eine neue Perspektive auf ihren Gegenstand eröffnen. Alle Beiträge im Überblick findet ihr hier.

Ein Beispiel für ein Gespräch, das so vorm KWZ nach tagelangem Grau, Regen und den zwei Sturmtiefs stattfand: Mit Kippe im Mund vorm Gebäude stehend in die fast vergessene Sonne am blauen Himmel blinzelnd sagt eine: »Nervig oder?«, die andere: »Ja, und wie… Da will man echt nicht drinnen arbeiten. Bei dem schlechten Wetter ist das ja ok…« Spoiler: Bei schlechtem Wetter hat man noch weniger Bock, überhaupt erst zum Campus zu gehen, geschweige denn irgendwas zu machen. Aber das wird kollektiv verdrängt. Wir sind extrem gut und gleichzeitig echt nicht besonders einfallsreich im Wettermäkeln. Am meisten stört mich die Zuverlässigkeit, mit der Aussagen zum Wetter in den Campustalk eingebracht werden. Das ist symptomatisch für einen grundlegenden Kommunikationsmangel: Man unterhält sich nicht mehr richtig und sucht einen Sündenbock für die eigene Unlust. Das Wetter kann nicht nur nichts für deine fehlende Motivation, es wird sich durch dein Nörgeln auch einfach nicht ändern. Und wenn es sich dann doch mal ändert, dann bemerkenswerter Weise nie zu einem zufriedenstellenden Zustand.

Es sind immer noch Semesterferien. Lasst uns doch mal aus der Verlegenheitskommunikation ausbrechen und am 8. März zum Feministischen Kampftag für ein besseres Leben für alle auf die Straße gehen. Egal bei welchem Wetter. Damit Sabine in Zukunft nicht mehr unterschätzt wird.

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