Tanzende Buchstaben

Im Günter-Grass-Archiv läuft im Rahmen der Göttinger Literaturherbstes die Ausstellung »Grimms Wörter: Wie die Buchstaben tanzen lernen« an. Zu sehen gibt es Grass’ Spätwerk Grimms Wörter als Buchkunst sowie Buntes und Politisches.

Von Hanna Sellheim

Bild: Hanna Sellheim

Im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes ist im Günter-Grass-Archiv die Ausstellung »Grimms Wörter: Wie die Buchstaben tanzen lernen« zu sehen, bei der es um Grass‘ letztes großes Prosawerk Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung geht. Die Ausstellung zeigt handschriftliche Notizen, Auszüge aus Manuskripten und Interviews von Grass. Handschriften erscheinen neben gedruckten Texten, die Typographien kontrastieren und ergänzen sich, Listen werden zu Gedichten, Bücher zu Kunst.

Bei der gut gefüllten Eröffnung geben die Kurator:innen Heinrich Detering und Lisa Kunze eine gewohnt eloquente und inhaltlich ebenso überraschende wie überzeugende Einführung in ihre Ausstellungskonzeption. Als »Göttingen-Buch« bezeichnen sie Grimms Wörter, das sich zwischen Autobiografie und historischem Roman bewege. Grass habe sich damit aber auch künstlerisch verwirklichen, seine »Liebe zum Buch als dreidimensionalem Objekt« umsetzen wollen. So ließ er es von Gerhard Steidl verlegen, der damals schon als »leidenschaftlicher Büchermacher« bekannt war.

Grimms Wörter als Wörter-Buch

Das Alphabet strukturiert Grimms Wörter als ›Wörter-Buch‹ im wörtlichen Sinn, erläutert Kunze. Die Buchstaben erscheinen dabei auch als bunte Zeichnungen auf den Bücherseiten, bilden ein »Tanztheater«. Doch es gebe auch eine Gegenbewegung: die der Zahlen, die an die Weltgeschichte erinnern. Eben diese Kombination zeige sich auch im »Denkmal der Göttinger Sieben« auf dem Zentralcampus: Die Zahl schneidet den Buchstanden, die »Geschichte schneidet tief ein in die romantische Sprachwelt der Dichter und Gelehrten«. »Oft verspottet weil unverstanden« sei die Skulptur, sagt Detering. Der Tanz der Buchstaben lasse sich aber nicht aufhalten – das solle die Ausstellung zeigen, schließt Kunze.

Göttinger Literaturherbst 2022

Vom 22. Oktober bis 6. November findet der 31. Göttinger Literaturherbst statt. Litlog ist wieder mit dabei und veröffentlicht jeden Tag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms. Hier findet ihr unsere Berichterstattung im Überblick.

Seit vier Jahren arbeitet das Team um Kunze und Detering an der Erarbeitung von Grass‘ Nachlass aus dem Steidl-Verlag. Ein »etwas holpriges, aber im Nachhinein ergiebiges« Unterfangen, wie Detering es beschreibt. »Grimms Wörter« ist bereits die zweite Ausstellung, die aus dem Projekt hervorgegangen ist, eine dritte wird es auch noch geben. Finanziert werden sie durch die VW-Stiftung, berichtet Christian Fieseler vom Steidl Verlag. Die letzte Ausstellung, »Totes Holz«, habe 1500 Besucher:innen gezählt – und das ohne jegliche Werbung, so Fieseler. Sie befasste sich mit der Klimakrise in Grass‘ Werk, sei düster gewesen, erläutert Detering, daher solle die jetzige bunt und lustig sein, Freude machen: »Wir sind heute ausschließlich zum Vergnügen hier.«

Günter Grass als »public intellectual«

Politisches gibt es bei der Ausstellung »Grimms Wörter« trotzdem zu sehen, das von Grass‘ Aktivismus als »public intellectual« erzählt. Grass‘ Verbindung zu Göttingen steht immer wieder im Mittelpunkt. Hinter den Ausstellungsstücken läuft ein Video, produziert vom Videoteam der SUB, in dem aquarellfarbig bunte Buchstaben durchs Bild fliegen, miteinander tanzen. Der »erste Zeichentrickfilm von und mit Günter Grass«, wie Detering scherzt. Ausschnitte aus Grass‘ Lesungen lassen sich an der Hörstation in der Ausstellung hören, um einen Eindruck von seinen Klangspielen zu bekommen. Die Multimedialität passt ins Programm: »Wir stellen hier Texte zum Anfassen, zum Riechen aus«, sagt Detering. »Eigentlich müssten wir hier Bücher haben, die man mit verbundenen Augen abtasten kann.«

Die Ausstellung »Grimms Wörter: Wie die Buchstaben tanzen lernen« läuft bis zum 8. Januar 2023 im Günter-Grass-Archiv in der Düsteren Straße 6. Die Öffnungszeiten sind donnerstags von 15 bis 18 Uhr sowie freitags bis sonntags jeweils von 11 bis 18 Uhr. Am ersten Donnerstag im Monat ist die Ausstellung bis 20 Uhr geöffnet.

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