Neuauflage der Nibelungen

Felicitas Hoppe hat eine sehr intelligente, wenn auch manchmal etwas schwer verständliche Neuauflage der mittelalterlichen Nibelungensage geschrieben. Sprachlich und stilistisch ein Genuss, jedoch lässt sich ein roter Faden nur mit Vorwissen zum Ursprungstext finden.

Von Daniel Steinborn

Bild: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons, cropped

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstand die Sage um Siegfried und Hagen, um Brünhild und Kriemhild, um Schätze und Drachen, um Lindenblätter und Blut. 2021 lässt Felicitas Hoppe, deutsche Schriftstellerin mit akademischem Hintergrund, diese alte Märe in Form eines ebenso intelligenten wie teils verworrenen Textes wieder aufleben. Die Nibelungen heißt das Werk, das mit Ein deutscher Stummfilm untertitelt ist.

Siegfried der Drachentöter, der unüberwindbare Krieger, im Drachenblut gebadet und damit vermeintlich unverwundbar. Fast jede:r kennt die Legende um den deutschen Helden, dessen Schicksal letztendlich von einem Lindenblatt und dem Verrat seiner Getreuen besiegelt wird. Felicitas Hoppe folgt der Erzählung, die sie als fiktives Theaterstück umsetzt. Die Handlung der Nibelungensage wird in ihrem Roman von fiktiven Schauspieler:innen auf einer fiktiven Bühne bei Worms inszeniert. Immer wieder wird zwischen Erzähl- und Theaterebene hin- und hergewechselt, das ebenfalls fiktive Publikum greift häufiger auch aktiv in die Nacherzählung des Nibelungenlieds ein. So schwenken sie beispielsweise Fahnen in den Farben ihrer bevorzugten Königin (Brunhild vs. Kriemhild).

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Felicitas Hoppe
Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm

Fischer: Frankfurt 2021
256 Seiten, 22,00€

Viele Änderungen

Eine Zusammenfassung des Inhalts ist dabei nicht einfach. Zwischen das Bekannte aus dem originalen Nibelungenlied mischt sich immer wieder Neues. Siegfried wird nicht von seinem Widersacher Hagen ermordet, sondern er verdurstet, zur Überraschung des Publikums, einfach an der Quelle. Die beiden Königinnen tanzen auf Schlittschuhen über die Bühne und leisten sich einen stummen Kampf darum, welche der beiden zuerst einknickt. Kurzum, vieles wird stark abstrahiert, eine zusammenhängende Erzählung ist nur mit erheblichen Vorkenntnissen des Originals erkennbar.

Und leise Enttäuschung auf sämtlichen Rängen, denn die Abonnenten halten Vater Rhein bis heute die Treue, selbst die Presse- und Freikarten sind sitzen geblieben, obwohl man sich Siegfrieds Tod anders gewünscht hätte: mehr Treue zum Stoff, also weniger Eis, und etwas mehr Handlung und Blut.

Dieses Zitat aus dem Buch beschreibt gut, was die Lesenden erwartet. Felicitas Hoppe schreibt zweifellos in einem hochintelligenten Stil, der zuweilen sogar sehr melodisch daherkommt und die Lesenden immer wieder in einen fast lyrischen Lesefluss verfallen lässt, doch verrennt man sich viel zu oft in den verschachtelten Sätzen:

Was ist das: Ist nicht am Leben und ist noch nicht tot, ist verdurstet und hat keine Not, ist ein König und hat kein Land, ist ein Schwert, aber hat keine Hand, ist ein Jäger und hat keine Meute, ist ein Krieger und hat keine Beute, ist ein Bräutigam ohne Braut, ist ein Mensch ohne Haut, ist ein König und hat keine Krone, […]. Wer will darauf die Antwort wagen?

Beim aufmerksamen Lesen wird klar, worum es hier geht, in diesem Beispiel um eine abstrakte Zusammenfassung des gesamten Inhalts, und trotzdem hat man nach der Hälfte des Satzes bereits vergessen, wie er angefangen hat. Dies ist nicht nur dem Lesefluss äußerst abträglich, es führt auch dazu, dass man am Ende eines Kapitels meistens nicht genau weiß, was einem der Text überhaupt erzählen möchte.

Noch verwirrender wird es, wenn in den Pausen zwischen den drei Hauptteilen der Erzählung Interviews mit den fiktiven Schauspieler:innen eingebaut werden. Diese unterbrechen den Lesefluss erheblich. Auch, dass Felicitas Hoppe immer wieder die Erzählperspektive wechselt, verwirrt mehr, als dass es unterhält. Mal ist »Ich« Siegfried, ein anderes Mal ist »Ich« stummer Zeuge im Beiboot, der die Handlung von außen beobachtet.

Mehr als nur eine Nacherzählung

Betrachtet man jedoch, wie sich Realität und Fiktion abwechseln und wie zwischen dem Theaterstück auf der Bühne und dem Publikum hin- und hergewechselt wird, wird deutlich, dass es um mehr geht, als einfach nur die Nibelungensage neu zu erzählen. Immer wieder wird die vierte Wand durchbrochen und die einzelnen Figuren werden nicht mehr als Figuren, sondern als ihre Schauspieler:innen angesprochen, es wird implizit – vor allem in den Zwischeninterviews – Kritik an der Schauspielbranche geübt. Die Schauspieler:innen werden durch die Interviews in den Pausen so charakterisiert, dass sie sich nicht so sehr für das gerade dargebotene Stück und ihre Rollen darin interessieren, sondern vielmehr für ihre eigenen Karrieren. Deutlich wird diese Kritik, weil sie wenig mit dem eigentlichen Inhalt der Nibelungensage zu tun hat und somit aus der Erzählebene heraussticht.

Bei einer Lesung beim Pierre-Werner-Institut in Luxembourg im November 2021 verwies Felicitas Hoppe darauf, dass sie den Zugang zu dem Text gesucht und ihn schließlich in dem sagenumwobenen Nibelungenschatz gefunden habe, der ihrer Ansicht nach das Zentrum der gesamten Handlung darstelle. Anhand dieser Aussage lässt sich erklären, warum sie den Text umgeschrieben hat: Nicht die Figuren sind die wichtigen Handlungstragenden, sondern der Schatz, dem sie alle nachjagen. Ihr Interesse an der Sage an sich, so erklärte die heute 61-Jährige, habe sich daraus entwickelt, dass es nicht den einen wahren Nibelungentext gebe, sondern er sich über die Jahrhunderte immer wieder mit neuen Erzählungen überlagere und Neuinterpretationen gegenüber offen wäre. Und so habe auch sie sich an einer Auslegung der deutschen Sage versuchen wollen.

Ein guter, aber kein einfacher Text

Felicitas Hoppe hat mit viel Intelligenz und Geschick einen sehr schönen, aber auch sehr schwierig zugänglichen Text verfasst. Sie interpretiert den Originaltext sehr frei, teils zur Unkenntlichkeit, um. Wer sich jedoch mit der Hintergrundmaterie bestens auskennt – auch wenn die Autorin behauptet, die Vorkenntnis sei keine notwendige Bedingung – und eine mentale Herausforderung beim Lesen sucht, der:dem ist Die Nibelungen durchaus zu empfehlen.

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