Mit ihrem neusten Roman Warte auf mich am Meer beschreibt Amy Neff die innige Liebe zweier Menschen, die sich in jeder Phase ihres Lebens gemeinsam den Herausforderungen stellen und Freuden miteinander teilen. Doch der Roman behandelt auch noch mehr: Neben der Botschaft, jeden Tag voll auszukosten, die Schönheit des gemeinsamen Lebens und der Welt zu genießen, setzt sich Neff mit dem Thema Abschied auseinander.
Von Luca Marie Welsch
Der Roman vermittelt ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit und zeigt, wie nah Trauer und Freude, Wiedersehen und Abschied beieinander liegen. Er verdeutlicht, dass das Leben durch schöne Erinnerungen geprägt ist, die einem an einem gewissen Punkt erlauben, zu gehen, ohne die Erlebnisse hinter sich zu lassen. Denn: Die Erinnerungen an diese Erlebnisse werden von den Hinterbleibenden im Herzen weitergetragen. Sowohl die Protagonist:innen als auch die Lesenden stehen werden von Neff mit der Frage konfrontiert: Wie lässt man einen Menschen los, den man sein Leben lang geliebt hat?
In guten wie in schlechten Zeiten
Evelyn und Joseph sind seit ihrer Jugend unzertrennlich und haben Höhen und Tiefen des Lebens gemeinsam durchlebt. Auch wenn sie zeitweise vom Schicksal getrennt wurden, fanden sie immer wieder zueinander. Sie haben die Pension von Josephs Eltern übernommen, dort ihre Kinder großgezogen und ihren Alltag gemeinsam bestritten, ohne jemals ihre Liebe zu verlieren – selbst in den schwierigsten Momenten wussten sie, dass sie sich gegenseitig haben. Doch als Evelyn eine schicksalhafte Diagnose erhält, wird ihnen bewusst, dass sie nicht ohne einander weiterleben können. Gemeinsam überlegen sie, wie sie den Rest ihres Lebens so gestalten können, dass sie nach wie vor glücklich sind und ihr Alltag von nichts überschattet wird.
Durch die verschiedenen Erzählperspektiven kann man die Protagonisten Evelyn und Joseph in unterschiedlichen Lebenssituationen kennenlernen: Zunächst erzählt Evelyn, die als junge Frau genau weiß, was sie will. Dann der junge Joseph, der verträumt, aber auch zielstrebig ist und beschließt von zuhause wegzugehen, weil er sich freiwillig für den Militärdienst gemeldet hat. Im Jetzt erfahren die Lesenden: Ihre Liebe hat die Zeit, in der sie nicht beieinander waren, überstanden.
»Am Morgen, nachdem Evelyn mich gebeten hatte, nicht mehr auf sie zu warten, hinterließ ich ihr einen letzten Zettel in einem Veilchenstrauß, den ich ihr in einem Glas auf die Stufen stellte. Wenn du gehst, höre ich trotzdem nicht auf, dich zu lieben.«
Evelyn und Joseph wissen, dass sie füreinander da sein können und auch durch einen Schicksalsschlag, der Evelyn trifft, als Joseph von seiner Zeit beim Militär zurückkehrt, geben sie sich doch gegenseitig Halt. Durch den ständigen Wechsel der Erzählperspektive lernt man auch ihre Kinder Thomas, Violet und Jane kennen. Alle drei Kinder sind auch in ihren Persönlichkeiten sehr unterschiedlich. Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass Evelyn und Joseph mit den unterschiedlichen Charakteren und Anforderungen an sie als Eltern so manches Mal zu kämpfen haben. Trotzdem ist für sie klar, dass die Familie zusammenhält.
»Wahre« Liebe?
Evelyn und Joseph geben nie auf. Sie finden in jeder Lebenslage eine Lösung. Ihre gegenseitige Unterstützung zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman, sei es in früheren Zeiten (1940er Jahre), als sie jung waren und als sie ihre Kinder großzogen – oder als sie, die Kinder längst erwachsen und mit eigenen Kindern, gemeinsam durch die schwere Zeit nach der Diagnose von Evelyn gehen mussten.
Während der Zeit, in der Joseph und Evelyn getrennt sind, schreibt Joseph Evelyn Briefe, aus einem stammt dieses Zitat: »Ich weiß, dass du stark bist, vielleicht hattest du Angst, mir zu sagen, was du fühlst. Angst, dass du dadurch als schwach dastehen könntest. Aber du musst wissen, ich wünsche mir, dass meine Liebe dir auch Kraft gibt. Du musst nicht alleine stark sein.« Es ist besonders berührend, da es zeigt, dass trotz der Entfernung zwischen den beiden immer noch eine tiefe Verbundenheit existiert, die durch nichts unterbrochen werden kann. Man merkt, dass die Beziehung zwischen Evelyn und Joseph nicht nur auf der Liebe basiert, sondern auch auf all den positiven und negativen Erfahrungen und Herausforderungen, welche sie in ihrem Leben meistern. Auch wenn es nur eine fiktive Geschichte ist, gibt Neff mit ihren Figuren Hoffnung gibt, dass vielleicht so etwas wie die wahre und bedingungslose Liebe gibt.

Warte auf mich am Meer
Goldmann Verlag: 2024
480 Seiten, 22 €
Die richtigen Worte
Der Schreibstil der Autorin passt perfekt zur Handlung des Buches: Neff nutzt eine fast schon poetische Sprache und findet immer die richtigen Worte. Die Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass man jeden Tag leben muss und das Leben immer genießen sollte, weil es für uns alle irgendwann vorbei sein wird. Die Atmosphäre des Buches ist nicht nur leicht: Es sind auch traurige Momente dabei, die aber in genau der für den Moment passenden Art beschrieben werden. Der Roman wechselt geschickt zwischen melancholischen und hoffnungsvollen Momenten. An wenigen Stellen war die Erzählung zu langwierig und einige Passagen sind sehr ausgeschmückt mit unwichtig erscheinenden Details. Für ein tiefer gehendes Leseerlebnis wären statt dieser Details noch mehr Hintergründe zu den persönlichen Gefühlen und Beweggründen aller Figuren interessant gewesen.
Neff gelingt es, auch Unausgesprochenes zu beschreiben, die Stimmung der Charaktere einzufangen und innere Monologe mit intimen Gedanken in Worte zu fassen. Die Autorin nimmt alle Emotionen mit in ihre Erzählung auf, was diese vielleicht manchmal langsam wirken lässt, aber durch ihre bedachte Wortwahl vermittelt sie doch ein (melancholisches) Gefühl des Wohlbefindens. Dadurch wird Warte auf mich am Meer ein wunderschöner und zugleich trauriger Roman, der nicht nur thematisch tief geht, sondern auch sprachlich gut gemacht ist.