Zigaretten, Hosen, Revolution

Dass Louise Aston 1848 nur am Rande des Mainstreams agierte, bedeutet nicht, dass wir sie heute ad acta legen sollten. Im Gegenteil! Ihre reflektierten, emanzipatorischen, feministischen Überlegungen und literarischen Hinterlassenschaften bieten stets relevanten Lernstoff.

Von Kiara Lohmann und Lorena Boße

Bild: Von Sophie Taeuber-Arp via Wikimedia Commons, gemeinfrei

Unter Literaturwissenschaftler*innen konnte Louise Aston bis heute vermutlich nur wenige Liebhaber*innen gewinnen, dennoch hinterließ die Autorin bereits im 19. Jahrhundert literarische Produkte, die auch in der Gegenwart inhaltlich noch hochaktuell scheinen. Die Gegenstände ihrer umfassenden Kritiken an der Institution Ehe, polizeilicher Willkür, die Forderung der Trennung von Kirche und Staat oder nach Auflösen der Klassengesellschaft haben seit ihren Lebzeiten zwei feministische Revolutionen überlebt. Astons Umgang damit ist nur einer von vielen Gründen, warum ihre Arbeiten keineswegs beinahe unkommentiert archiviert werden sollten, wie es derzeit der Fall ist.

Anzug tragend und Zigarre rauchend wurde Louise Aston nicht nur in der Mitte des 19. Jahrhunderts als kontroverse Persönlichkeit verhandelt. Auch 2019 dürfte sie mit diesem Auftreten und ihren Standpunkten noch einige Zeitgenoss*innen provozieren.

Ihre politischen Haltungen und ihre Erscheinung in der Öffentlichkeit verschafften Aston zu ihren Wirkzeiten mehr Gegner*innen als Freund*innen, nicht nur einmal wurde sie aus Berlin ausgewiesen und in prekäre Lebensumstände gedrückt. Als politische Geflüchtete veröffentlichte sie dennoch vier Romane, den Gedichtband Wilde Rosen und ihre Zeitschrift Der Freischärler, welche jedoch nach vier Ausgaben ebenfalls von der polizeilichen Willkür getroffen wurde und den Zensurrichtlinien unterlag. Trotz Fluchtstatus (sie floh mehrmals innerhalb Deutschlands, Polens, Frankreichs und der Schweiz) kann Aston im Vormärz und während der Revolution zu einer von wenigen Frauen gezählt werden, die ihren Lebensunterhalt durch ihr journalistisches und schriftstellerisches Schaffen sicherten.

Revolution und Contrerevolution

Astons umfangreichster dritter Roman Revolution und Contrerevolution (Bremen 1849) erstreckt sich über drei separate Bücher. Auch wenn die politischen Unruhen im europäischen Raum und die darauffolgende Revolution um 1848 als zentrales Oberthema den Roman kennzeichnen, lassen sich die drei Teile sowohl geographisch als auch thematisch voneinander abgrenzen. Während der erste Part die Vorbereitung von Intrigen behandelt, die sich von den Untertanen gegen die Obrigkeit richten, soll es im zweiten Band, der den Kern der Reihe auszeichnet, konkreter um die Revolutionsvorbereitung und -ereignisse, um den 18. März 1848, gehen. Der abschließende dritte Teil führt dann mit dem Tod des Fürsten Lichnowskis zur Konflikteskalation.

Um die historisch-politischen Ereignisse herum wird mithilfe von einer mehrsträn1gigen ErzählweiseVgl. Sichtermann, Barbara: Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott. Hommage an Louise Aston. Berlin 2014 (= Edition Ebersbach), S. 79. und einer hochgradigen Verstrickung von Einzelhandlungen ein ganzes Netz von unterschiedlichsten Perspektiven, persönlichen Anliegen und Intrigen aufgezogen. Sie beziehen sich auf eine Vielzahl von Figuren (neun), wobei die Protagonistin Alice von Rosen das Zentrum bildet. Aston vereint in dem Roman ihr Nachvollziehen der politischen Ereignisse um die Märzrevolution mit genauer Datierung und ihrer persönlichen Zeit- und Gesellschaftskritik, die sich auf der fiktiven Handlungsebene mit einem Anspruch an Authentizität widerspiegelt: »Wie in keinem der vorherigen Romane ist die Erzählung von direkten Eingriffen in den Geschehnisverlauf geprägt, die zum einen Ereignisse mit Daten und Fakten verifizieren und so dazu dienen, eine Chronologie herzustellen, den Eindruck einer historischen Dokumentation zu erwecken, und zum anderen direkt werten und die eigene Position der Erzählerin manifestieren.«2Ebd., S. 83.

Diese positiv einzuordnende Kritik trifft auf allerhand negative Resonanz. Wiederholt wird angebracht, Geschehnisse schienen zu konstruiert, Handlungsstränge nicht logisch nachvollziehbar. Dabei entkräftet Aston die Vorwürfe selbst. Im Vorwort heißt es nämlich, es sei ihr mit ihrem dreiteiligen Roman weniger ein Anliegen, ein literarisches Meisterwerk zu schaffen, sondern vielmehr »einen Beitrag zum Verständnis der revolutionären Zusammenhänge zu leisten«, was ihr mal mehr, mal weniger gelingt. Was ihr aber in jedem Falle glückt, ist diverse gesellschaftlich relevante Themen (soziale Ungerechtigkeit, Klassenkonflikte, Vaterlandsverrat, Religion, politische Passivität) einzubringen und diese im gleichen Zug zu hinterfragen. Einiges wird lediglich angeschnitten, anderes wird dafür umso detaillierter ausgehandelt. Den Knotenpunkt der Geschehnisse um diese Thematiken bildet die emanzipatorische Hauptakteurin Alice. Sie funktioniert nicht nur als »Verbindungsglied, das die zeitkritischen Themen verknüpft«3Ebd., S. 116., sondern gleichzeitig als fiktives politisches Sprachrohr ihrer Kreatorin Aston.

Alice als »Wunschbild ihrer Schöpferin«

Im Gegensatz zur dem Adel entstammenden Alice hatte Aston nicht die Möglichkeit, sich mit demselben Engagement im öffentlichen Raum für die Revolution einzusetzen. Als Bürgerliche blieb ihr auch die Möglichkeit einer Kooperation mit den Adligen verwehrt, genauso wie eine Kooperation mit den Arbeiter*innen4.Vgl. ebd., S. 93. Unter anderem steht Alice dadurch nicht einfach nur im Mittelpunkt des Geschehens, sondern vor allem auch der patriarchalen Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Auch hier liegt eine Gleichsetzung mit der biografischen Schriftstellerin eher fern, vielmehr kann davon gesprochen werden, dass Alice Astons eigenes Ideal als Frau verkörpert, in der Öffentlichkeit politisch progressiv zu agieren.5Vgl. ebd., S. 95. Im Roman selbst heißt es dazu, Alice entspreche einem »Wunschbild ihrer Schöpferin«.

Dem gleicht sich auch die Figurenentwicklung über Astons Romane hinweg an, denn Alice »kämpft nicht mehr wie im vorigen Roman um Gleichberechtigung, sondern hat für sich eine unabhängige, emanzipierte Lebensform gefunden, die es ihr ermöglicht, über den Männern zu stehen.« Sie tritt als mutige, selbstsichere und fokussierte Anführerin auf. So versucht sie beispielsweise mit Nachdruck die männlichen Figuren dazu zu bewegen,ihre ›Kampfkraft‹ in deren eigenem Sinne zu nutzen statt wie zuvor für die Obrigkeit. Damit einher geht auch eine allgemeine Kritik an dem Mann, die sich vor allem durch den Dreiteiler zieht. So werden beispielsweise nahezu alle männlichen Figuren auf ihren Sexualtrieb reduziert. Sobald die Frau zum Zielobjekt des Handlungsgeschehens wird, spielen die Ereignisse auf der politischen Ebene höchstens noch eine Nebenrolle.6Vgl. ebd., S. 103. Auch wenn Alice selbst nicht frei von Gefühlen der Zuneigung ist, dreht sie die beiden Aspekte (Liebe und Politik) in ihrer Wichtigkeit um und kontrastiert demonstrativ ihre Position als kämpfende politisierte Frau im Gegensatz zum emotions- und triebgesteuerten Mann. Alice wird jedoch nicht nur kontrastiv zu den männlichen Rollen des Romans gezeichnet, sondern auch gegenüber anderen weiblichen Figuren hervorgehoben und dadurch in ihrem Emanzipationsstreben gestärkt. Gegenteilig konzipiert ist zum Beispiel Lydia von Dornthal, die als enge Freundin von Alice vorgestellt wird. Sie lässt sich eher dem historisch vorherrschenden und gesellschaftlich akzeptierten Bild der teilnahmslosen, emotional verunsicherten häuslichen Frau zuordnen, ohne dabei jedoch von Aston hierarchisiert zu werden. Alice und Lydia existieren nicht übereinander, »sondern nebeneinander«.7Vgl. ebd., S. 52 f.

Reihe

Die ausgetretenen Pfade des literarischen Kanons verlassend setzen die Autor*innen dieser Reihe sich mit Dichterinnen, Denkerinnen, Schriftstellerinnen auseinander, deren Werke oft ganz zu Unrecht im Schatten kanonischer Texte liegen und hier in Teilen neu entdeckt werden können. Weitere Beiträge folgen hier.   

Gleichzeitig agiert Alice, anders als ihre Schöpferin es je vermochte, als Vertreterin der proletarischen Kämpfe. Im Vordergrund des Romans steht nämlich das aktive politische Handeln und in dem Sinne Partei zu ergreifen. Dabei stehen sich vor allem die Aristokratie, die den Absolutismus vertritt, und das Proletariat, das sich für eine Demokratie aufstellt, gegenüber. Gegenüberstehen bedeutet in diesem Kontext keineswegs, dass die Einheiten sich kämpferisch begegnen, denn bei der Revolution ging es vielmehr um den Widerstand gegen das Militär und die Bürokratie. Die Haltung der Bürgerlichen wird den Lesenden des Romans dabei völlig vorenthalten und auch der Adel wird nur kurz am Ende erwähnt.8Vgl. ebd., S. 114. Dass Alice in ihrer Rolle eindeutig die vorbildhafte Heldin des Romans spielt, ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass ihr Handeln, was nicht selten als intrigant und egozentrisch betrachtet werden kann, nicht in Frage gestellt wird. Ihre Authentizität und die Relevanz ihrer Figur müssen darunter jedoch nicht zwingend leiden.

Literatur als Sprachrohr

Aston sah in ihrer Zeit literarisches Schaffen als eben dies – eine Möglichkeit, sich Zugang zu politischen Diskursen zu verschaffen, aus denen sie ansonsten kategorisch ausgeschlossen gewesen wäre. Auch in Zeiten, in denen rassistische Parteien Teil von Regierungen sind, politischer Rechtsruck Alltag ist und Faschistinnen und Faschisten unter Polizeischutz durch Städte laufen dürfen, muss jede Partizipationsmöglichkeit ergriffen werden, um auch Minderheiten Raum in der politischen Öffentlichkeit erlangen zu lassen.

Manch ein Literaturwissenschaftler mag sich von Astons Radikalität und ihrer Art und Weise, Literatur als Sprachrohr zu nutzen, auf den Schlips getreten fühlen. Doch was auch knapp 150 Jahre nach dem Tod von Aston bleibt, ist der Verweis auf die Bedeutung von Aktivismus in Zeiten von politischen Unruhen. Es ist nicht zuletzt die revolutionäre Alice von Rosen selbst, die in einem Streitgespräch mit Emanzipationsgegnern sagt:

[…] zwar hat auch die Emanzipation des Wortes ihr Recht, und man muss dafür kämpfen, ich gebe es zu, aber die wahre Emanzipation ist die Emanzipation der Tat. – Meine Herren und Damen! Wir wollen keine Worthelden werden, hoffe ich; geistreich zu sprechen und frei zu denken, ist ein Kinderspiel gegen geistreiches Handeln und freies Tun. Gibt es manche unter uns, die hinter dem freien Wort die praktische Impotenz verstecken? […] Ich aber erhebe mein Glas und rufe mit gute Gewissen: Die Emanzipation der Tat soll leben!9Zit. nach ebd., S. 72f.

Wenn wir Qualität von Literatur abschließend nicht lediglich über den künstlerischen Wert und die Ästhetik definieren wollen, sondern auch über einen inhaltlichen Wert und dessen akute Relevanz, dann sollte Louise Astons Nichtpräsenz im Kanon in Zukunft nochmal überdacht werden.

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