Die Auferstehung

Sie sind uns ans Herz gewachsen, irgendwie: Die Protagonisten Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist. Mit ihren eigenwilligen Charakterzügen begleiteten sie uns als Roman- und Filmfiguren in den Teilen der Millennium-Trilogie von Autor Stieg Larsson. Nun kehren sie in der Fortsetzung Verschwörung zurück.

Von Verena Stanusch

Bild: 3dman_eu via Pixabay / CC0 Public Domain

Es gibt LeserInnen, für die die Handlung eines Romans noch zugänglicher, authentischer und aufreibender wird, wenn sich biographische Verschränkungen zwischen ProtagonistIn und AutorIn darin finden. Der verstorbene Stieg Larsson hat genau das zum Programm gemacht und feierte mit den ersten drei Teilen seiner Bücher-Serie Millennium große internationale Erfolge. Wie sein Protagonist Mikael Blomkvist arbeitete Larsson als Journalist und gab zudem die antifaschistische Zeitschrift Expo heraus, was mehrere Angriffe durch rechte Aktivisten zur Folge hatte.
Da ursprünglich mehr als drei Teile vorgesehen waren, war lange nicht klar, von wem und ob überhaupt die Serie nach dem Tod Larssons im Jahre 2004 fortgesetzt werden würde. Larsson hatte bereits an einem vierten Teil gearbeitet. Acht Jahre, nachdem der letzte Teil der Millennium-Reihe erschienen war, wurde der ebenfalls schwedische Autor David Lagercrantz von Larssons Verlag mit der Fortsetzung der Serie betraut. Lagercrantz übernimmt also ein großes Erbe. Verschwörung ist nun eben diese lang erwartete Fortsetzung – und man fragt sich: Kann die was?

Auch im vierten Band verfolgen wir wieder einen nervenzerreißenden Fall des Journalisten Mikael Blomkvist und seiner alten Bekannten Lisbeth Salander. Blomkvist, der schon seit einiger Zeit keine großen Stories mehr aufgedeckt hat und zudem von einigen Kollegen öffentlich scharf kritisiert wird, fürchtet um das Ende seiner Karriere. Auch das Aus seiner politischen Zeitschrift Millennium scheint kurz bevor zu stehen. Bis ihn plötzlich ein junger Mann ausfindig macht, angeblich, um ihm die Geschichte zu liefern, welche er für ein Comeback nur zu dringend benötigt.
Zunächst hält Blomkvist das Ganze für wenig glaubhaft. Doch als der Mann Lisbeth Salander erwähnt, die in die Sache verwickelt zu sein scheint, wird Blomkvist hellhörig. Er nimmt Kontakt zu dem Professor Frans Balder auf, einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Dieser soll angeblich über brisante Informationen über einen amerikanischen Softwarekonzern und die NSA verfügen. Doch als Blomkvist den Professor aufsucht, läuft er geradewegs in dessen Mörder hinein.

Das Motiv des Täters musste nicht unbedingt darin gelegen haben, Balder zum Schweigen zu bringen. Es konnte genauso gut ein Raubüberfall gewesen sein – mitnichten der Raub von etwas so Banalem wie Geld, sondern von Forschungsergebnissen.

Entgegengesetzt dem schwedischen Originaltitel Det som inte dödar oss (zu Deutsch: Was uns nicht umbringt) muss der involvierte Balder aufgrund der sich auf seinem PC befindlichen Informationen sterben. Es stellt sich heraus, dass Balders Forschungsarbeiten zur künstlichen Intelligenz angeblich gestohlen und weiterverkauft worden sind. Der einzige Zeuge, der den Mörder beschreiben kann, ist Balders autistischer Sohn, der zwar nicht sprechen kann, dafür aber die Gabe besitzt, Dinge bis ins kleinste Detail zu zeichnen.

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David Lagercrantz
Verschwörung

HEYNE Verlag 2015
608 Seiten, 22,99€

Lisbeth Salander, die wie immer ganz eigene Ziele verfolgt, kann den Sohn in letzter Sekunde vor einem Anschlag retten und flieht mit ihm. Für Salander und Blomkvist beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Sie müssen herausfinden, aus welchem Grund Balder den Tod fand. Während Blomkvist nach und nach die Puzzleteile einer bahnbrechenden Verschwörung zusammensetzt, trifft Salander auf eine alte Bekannte mit bösen Absichten.
Das Ende lässt bereits weitere Teile der Serie vermuten. Lisbeths perfide Schwester Camilla wird von Lagercrantz in einer Art Hauptrolle besetzt. Von ihr wird man in den nächsten Millennium-Teilen sicher noch mehr erfahren.

»Wir leben in einer Welt, in der der Paranoide der Gesunde ist.«

Überwachung durch den Staat ist heutzutage ein zentrales Thema. Es ist fast schon erschreckend, wie einfach es für die Regierung, aber auch für große Konzerne ist, Informationen über uns zu sammeln. Wie im deutschen Titel angedeutet, bedient sich Lagercrantz diverser Verschwörungstheorien, die sich unter anderem um die Zusammenarbeit der NSA mit kriminellen russischen Hackergruppen ranken. Die Handlung des Romans beinhaltet sowohl die versteckten Tätigkeiten korrupter, hochrangiger Regierungsmitarbeiter, als auch die Entwendung hochentwickelter Software durch große IT-Unternehmen. Gearbeitet wird mit der »großen Angst«. Lagercrantz schreibt somit am Puls der Zeit, und die LeserInnen fragen sich ein ums andere Mal, wie viel Fiktion oder beängstigende Realität hinter seiner Erzählung steckt: »Wer das Volk überwacht, wird eines Tages selbst vom Volk überwacht. Darin liegt eine fundamentale demokratische Logik.«

Und das soll ich lesen?

Die Informationen, die es für den Lesefluss braucht und die dazu führen, dass der Fall schlussendlich eine Lösung aufweist, werden den Lesenden puzzleartig geliefert. Auch durch die wechselnde Erzählperspektive, die Überraschungen in der Handlung und den generell wenig vorhersehbaren Plot präsentiert sich das Buch als ein Pageturner. Die Fortsetzung durch Lagercrantz ist, vor allem in Schweden, nicht sofort und überall auf Begeisterung gestoßen. »Und das soll ich lesen?«, fragt Spiegel Online in seiner gleichnamigen Rubrik für Buchrezensionen. Ja, das sollte man auf jeden Fall lesen! Denn insgesamt kann das Buch mit seinen Vorreitern definitiv mithalten und macht Lust auf den nächsten Teil der Millennium-Reihe. Im Nachhinein bekam das Buch viel Zuspruch, und durch die Weiterführung der Reihe durch Lagercrantz, der im Stile Larssons auch weiterhin einem gesellschaftspolitischen Diskurs treu bleibt, hat sie nicht an Qualität verloren. Auch LeserInnen, die mit den ersten drei Teilen noch nicht in Berührung gekommen sind, kommen hier auf ihre Kosten. Natürlich kann man sich dem »neuen Mann« hinter den Blomkvist-Salander-Fällen verwehren – eine Chance aber sollte man dem neuen Teil auf alle Fälle geben. Lässt man die Debatte um einen Autor, der das Werk eines anderen weiterführt, außen vor, ist Verschwörung nämlich ein wirklich gut geschriebener, bis zum Schluss spannender Roman. Lagercranz hat nach dem Erfolg des vierten Bandes Nachfolger angekündigt – Teil 5 schon für dieses Jahr.

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