Der Wunsch nach Freiheit

Ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Mafia-Handlanger will aussteigen und ein vermeintlich Unschuldiger wird des brutalen Vierfachmordes angeklagt. Ray Celestin verbindet in seinem dritten Band Gangsterswing in New York erneut die Welt des Jazz mit der Welt der Mafia.

Von Katharina Schröder

Bild: Via Pixabay, CC0

»Wenn Sie eine Million Dollar stehlen […] sind die für den Rest Ihres Lebens hinter Ihnen her. Aber wenn Sie eine Million Mal einen Dollar stehlen, kräht kein Hahn nach Ihnen.« Ray Celestin entführt uns in seinem neuen Kriminalroman erneut in die Welt der Mafia. Gewalt, Bestechung und Rassismus sind dort an der Tagesordnung.

Gangsterswing in New York (eng. The Mobster’s Lament) ist der dritte Teil der City-Blues-Reihe des Schriftstellers Ray Celestin. Der Brite ist Drehbuchautor und Verfasser mehrerer Kurzgeschichten. Nach dem Debütroman Höllenjazz in New Orleans und seinem zweiten Werk Todesblues in Chicago befinden wir uns nun in New York im Winter 1947.

Sechs Jahre Planung, zehn Tage, um das Ganze zu retten.

Der Protagonist Gabriel Leveson will aussteigen. Als bester Mann des Mafiabosses Frank Costello gefährdet er zunehmend nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben seiner 13-jährigen Nichte Sarah. Als der Plan steht, die falschen Pässe besorgt sind und die Flucht nach Mexiko in zehn Tagen losgehen soll, hat Costello noch einen Auftrag für ihn. Geborgte zwei Millionen Dollar wurden gestohlen, und der Empfänger des Geldes ist tot. Gabriel hat keine Wahl, das Geld befindet sich irgendwo in New York. Wenn er verschwindet, bevor er das Geld gefunden hat, wird er sein Leben lang von der Mafia verfolgt werden.

Eine Angst baute sich in ihm auf, eine von Unruhe geschüttelte Erkenntnis, dass er, wenn er es nicht nach Mexiko schaffte, in die Hölle geraten würde.

Gleichzeitig hat der ehemalige Detektiv Michael Talbot seinen Schützling Ida nach New York gebeten. Sie hat inzwischen eine eigene Agentur als Privatdetektivin gegründet. Zusammen wollen sie seinen Sohn aus dem Gefängnis zu holen. Er wird verdächtigt, vier Menschen in einem Hotel ermordet zu haben; ihn erwartet der elektrische Stuhl. Doch wie passt das alles zusammen? Ein junger Mann, weder gläubig noch abergläubig, mit einem medizinischen Abschluss, der als Arzt arbeitete, bevor er in den Krieg gegangen ist, ein Hotel in einem heruntergekommenen Viertel und zahlreiche Voodoo-Utensilien in seinem Zimmer. Seine Aussagen sind merkwürdig und wirken verdächtig, dennoch beteuert er seine Unschuld.

Mit stolzen 639 Seiten ist dies der umfangreichste Band der Reihe. Der Einstieg der Geschichte beginnt mit einem Zeitungsartikel über die brutalen Morde. Im Verlaufe des Buches wird die Prosa immer wieder durch Zitate von Zeitgenossen und von Zeitungsartikeln der »Sunday News«, die über Straftaten oder andere Geschehnisse berichten, aufgelockert. Der Plot wird durch verschiedene Handlungsstränge mit Michael, Ida, Louis, Gabriel oder Costello als jeweilige Hauptfigur erzählt. So bekommt man einen guten Einblick in das Leben und die Gedanken des jeweiligen Charakters.

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Ray Celestin 
Gangsterswing in New York

Übers. von Elvira Willems
Piper: München 2020
640 Seiten, 18,00€

Michael, der Ida als Protegé in die Detektivarbeit eingearbeitet hat, wird aus seinem Ruhestand heraus wieder zum Detektiv, um seinem Sohn das Leben zu retten. Obwohl sie selbst noch mit dem Tod ihres Mannes zu kämpfen hat, unterstützt Ida Michael dabei. Sie kennt seinen Sohn Tom, seit er ein Kind ist und ist von seiner Unschuld überzeugt. Der schwarze Jazzmusiker Louis Armstrong ist ein Freund von Ida und vermittelt ihr Insiderwissen aus der Jazzszene, die in Verbindung zu ihren Ermittlungen steht. Gabriel ist ein Mafia-Handlanger mit Köpfchen und Kontakten. Er möchte seine Nichte vor dem Mörder seiner Schwester schützen, muss aber gleichzeitig seine Verpflichtungen gegenüber seinem Boss Costello erfüllen.

Dieser ist ein Mafiaboss, der nie einer sein wollte; ohne Leibwächter, ohne Chauffeur und unbewaffnet gehörte er zum Viertel und wird von den anderen Menschen in seinen kriminellen Machenschaften unterschätzt. Als Leser:in kann man gute Verbindungen, vor allem zu Ida, Michael und Louis aufbauen, da man sie und ihr Leben bereits in Band eins und zwei kennengelernt hat. So kann man ihre Gefühlslagen und Handlungen sehr gut nachvollziehen.

Die Geschichte des dritten Bands ist in sich abgeschlossen, es ist aber hilfreich, wenn man die Vorgänger kennt, da der Rahmenplot um die beiden Detektive Michael und Ida eine sich weiterentwickelnde Geschichte ist. In kurzen Rückblicken werden Leser*innen noch einmal an die gemeinsame Detektivarbeit von Ida und Michael erinnert.

Rassistische Diskriminierung, Drogen, Bestechung, Mord

Der Roman schildert die rassistische Diskriminierung aus der Sicht der afroamerikanischen Diaspora. Sie haben eigene Stadtviertel und fallen im falschen Viertel sofort auf, werden diskriminiert und mit dem N-Wort degradiert, von der Polizei benachteiligt und als Sündenböcke dargestellt. Die Erzählstränge über Louis Armstrong, den schwarzen Jazz-Musiker zeigen, wie stark er Diskriminierung ausgesetzt war. Auf seiner Tournee wird er von Hotels abgewiesen, aus Städten verjagt und bekommt zu später Stunde kein Taxi mehr: »Die Angst schwarzer Künstler in einer Industrie, die von weißen Gangstern kontrolliert wurde.« Auch Ida, als Schwarze mit einem hellen Hautteint, hat mit Rassismus zu kämpfen und fühlt sich von schwarzen und weißen Gesellschaften ausgeschlossen.

Jazz als Verbindung zwischen Realität und Fiktion

Durch die Fiktionalisierung der historischen Figur Louis Armstrong wird eine Verbindung zum Jazz hergestellt, der bereits in den beiden Vorgängerbänden der Reihe eine zentrale Rolle spielt. Die Bücher orientieren sich an der Ausbreitung des Jazz und thematisieren die verschiedenen Stilrichtungen der Jazzmusik. Dennoch spielt das Thema Jazz bei den beiden Vorgängern eine größere Rolle als in diesem dritten Band. Höllenjazz in New Orleans als erster Band lehnt sich an die Entstehung des Jazz in New Orleans um 1900 an. Um die Zeit wurde Louis Armstrong geboren, dessen Stil auch »New Orleans Jazz« genannt wird. Von dort aus verbreitet sich der Musikstil über Chicago (zweiter Band) nach New York (dritter Band). Hier nun befindet sich der Jazz auf dem absteigenden Ast. Das Publikum bleibt aus und der Musikstil verändert sich in Richtung des Bebops, die alteingesessenen Künstler tun sich schwer, ihren Stil zu ändern oder anzupassen, und versuchen alles, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Die hektische Geschäftigkeit von New York und seinen unzähligen Clubs beschleunigt diese Entwicklung weiter. »Ein weltberühmter Jazzmusiker in einem zerknitterten Smoking, der sein Gepäck durch Queens schleift.« Die Verbindung von Fiktion und Historischem ist dieser Buch-Reihe gut gelungen. Louis Armstrong repräsentiert die Entwicklung des Jazz. Dieser ist zwar für den Hauptplot wenig relevant, dennoch bereichert die Figur Armstrongs die Handlung zusätzlich um notwendige Details, die zu den Ermittlungen beitragen. 

Die Hintergründe der Mafiafamilie

Die Lektüre des Romans fasziniert insbesondere vor dem Hintergrund des Nachworts: Der Plot ist reine Fiktion verbunden mit historischen Persönlichkeiten (u.a. Louis Armstrong, Al Capone, Billie Holiday), historischen Ereignissen und Hintergründen (u.a. der Aufbau des Flamingo Hotels und der Casinos in Las Vegas, Ronald Reagans Verbindung zu der Mafia, Treffen der »Hollywood Ten«-Filmproduzenten im Waldorf-Astoria, der starke Schneesturm 1947). Der Perspektivwechsel zwischen den Charakteren vermittelt den Leser*innen eine besondere Nähe, die zum Mitfiebern und Hoffen anhält. An einigen Stellen ist es schwierig, den Überblick über die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander zu behalten. Der Gesamtzusammenhang ist dennoch verständlich und das Personenverzeichnis erleichtert das kleine Durcheinander ein wenig. In seinem Nachwort, wie auch auf seiner Homepage kündigt der Autor den vierten und letzten Band des City Blues Quartetts an, der sich 1967 in Los Angeles abspielen soll.

Ray Celestins neuer, packender und historischer Kriminalroman ist sehr lesenswert. Er verbindet glaubhafte Charaktere mit fiktiven und historisch-verbürgten Verbrechen. Nebenbei vermittelt der Roman Wissen über die Geschichte der Mafia in Nordamerika und die Entwicklung des Jazz. Somit sind alle der bereits erschienenen Bände der City-Blues-Reihe sehr gut gelungen und lassen auf einen gelungenen Abschluss der Romane über die Detektive Ida und Michael hoffen.

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