Ein Krimi mit Modifikation

Im Literarischen Zentrum Göttingen warf die Lesung mit der schwedischen Autorin Sara Lövestam, die ihren Roman Die Wahrheit hinter der Lüge vorstellte, Fragen nach der Typologie literarischer Gattungen auf und stellte gleichzeitg Diskurse um Sprache und Migration in den Raum.

Von Daniel Nagelstutz

Bild: Wikimedia / CCO

Die schwedische Schriftstellerin Sara Lövestam las am 23. Januar 2017 auf Einladung des Skandinavischen Seminars der Georg-August-Universität im Literarischen Zentrum Göttingen aus ihrem preisgekrönten Krimi Sanning med modifikation (Deutsch: Die Wahrheit hinter der Lüge). Die Moderatorinnen Yaska Hering und Stella Lammers, Studentinnen der Skandinavistik, sprachen mit Lövestam und ihrer deutschen Übersetzerin Stephanie Elisabeth Baur über den Schwedenkrimi, die schwedische Einwanderungspolitik und die Tücken des Übersetzens von leichter Sprache. Unterstützt wurde die Lesung vom Svenska Institutet und dem Gleichstellungsbüro der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.

Mit der Einladung von Sara Lövestam ist den KursteilnehmerInnen des Seminars »Praktische Kulturvermittlung« des Skandinavischen Seminars ein ganz besonderer Coup gelungen. Lövestams Kriminalroman Sanning med modifikation wurde 2015 mit dem Schwedischen Krimipreis der Schwedischen Krimiakademie für das beste Debüt gekürt, und das in einem Land, in dem jährlich circa 200 Kriminalromane auf dem Buchmarkt erscheinen. Im Verhältnis zu 8,9 Millionen EinwohnerInnen ein Weltrekord. Den Studentinnen Hering und Lammers, die ihre Fragen an Lövestam souverän auf Schwedisch stellten, konnte man ihre erste zaghafte Erfahrung in Sachen Moderation nicht anmerken. Sie waren bravourös vorbereitet und zeigten vor vollem Publikum keine falsche Schüchternheit.

»Und plötzlich wurde es ein Krimi«

Ursprünglich wollte Lövestam einen konventionellen Kriminalroman über einen Helden schreiben, der ein Verbrechen aufklärt. So weit, so gut. Doch ihre Verlegerin vom Piratförlaget war der Auffassung, dass ihr Manuskript nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Roman sei. Schließlich gab es drei Verlegertreffen, in denen geklärt werden sollte, ob man ihrem Buch nun den Stempel Krimi oder Roman aufdrücken würde. Ergebnis: Sie solle an einer Romantrilogie arbeiten. »Dann kam die Nachricht von der Schwedischen Krimiakademie, dass ich für Sanning med modifikation den Krimipreis für das beste Debüt erhalten soll«, stößt Lövestam in süffisantem Lachen hervor. »Danach hat auch der Verlag eingesehen, dass ich einen Krimi geschrieben habe. Von Genregrenzen wollte ich mich nie einschränken lassen.«

Sara Lövestam und Übersetzerin Stephanie Elisabeth Baur. Bild: Christian Röther

Baur, die als Übersetzerin die Trends auf dem schwedischen Buchmarkt beobachtet, konnte nachvollziehen, weshalb Lövestams Verlag mit sich gerungen hat, das Buch einen Krimi zu nennen. Sanning med modifikation ist definitiv kein klassischer Schwedenkrimi, in dem Mord und Totschlag herrschen. Die Gattung erlebt derzeit eine Aufwärtsspirale der Brutalität. Da ist Lövestam eine Ausnahmeerscheinung. Sie bricht mit den Konventionen des Schwedenkrimis. Ihr Roman ist zwar enigmatisch wie ein Krimi, lässt sich aber nicht in die vorherrschende Kategorie einordnen. Eben das war auch das Bedenken des Verlags. Was Lövestam mit Sanning med modifikation gelungen ist, entspricht am ehesten einem »Krimi mit Modifikation« – ein Krimi, der eben keiner ist. Ebenso wenig wird Lövestams Roman, wie vom Verlag vorgesehen, als Trilogie erscheinen. »Alle schreiben Trilogien«, lächelt Lövestam ins Publikum. »Also schreibe ich vier Bücher.«

»Ich kenne Ingenieure, die jetzt als Busfahrer arbeiten.«

In der Diskussion, ob Lövestam einen Kriminal- oder konventionellen Roman geschrieben habe, kam die Frage nach einem weiteren Genre, dem Migrationsroman, hinzu. Schließlich ist Kouplan, der Held des Romans, ein Flüchtling aus dem Iran, der in Schweden nicht registriert ist. Ohne Personennummer und in der Illegalität lebend fürchtet er täglich, von der Polizei aufgegriffen und abgeschoben zu werden. Die Moderatorinnen fragten Lövestam, weshalb sie politische Themen wie Flucht und Migration in ihren Roman eingebunden habe. Darauf antwortete sie, dass sie gar nicht gezielt nach politischen Themen gesucht habe. Die politischen Themen fänden hingegen die Autorin, welche elf Jahre lang Schwedisch für Einwanderer unterrichtet hat. Ihre Schüler seien ihre Inspiration für Sanning med modifikation gewesen, meinte sie. Der Held der Romans repräsentiere sie alle und immer wieder habe sie im Unterricht von Schülern erfahren, die in Schweden einem völlig anderen Beruf nachgehen, als zuvor in ihren Herkunftsländern. »Ich kenne Ingenieure, die jetzt als Busfahrer arbeiten. Der Roman beruht auf den Erfahrungen meiner Schüler, ansonsten wäre er kein politischer geworden.« »Wie reisen, ohne auf Reise zu gehen?«

Sprache und Spracherwerb sind zentrale Motive ihres Krimis. Lövestam gewährt den LeserInnen aus der Sicht Kouplans einen Blick auf die schwedische Sprache und veranschaulicht, wie der Held die fremde Sprache durch Lesen und Radiohören erwirbt. In ihrem Beruf als Schwedischlehrerin, in dem sie derzeit pausiert, sieht sie sich als Integrationshelferin für EinwanderInnen: »Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und diesen Schlüssel lege ich in die Hände meiner Schüler. Ich helfe Menschen aus der ganzen Welt, jedem Alter und jeder Biografie. Das ist wie reisen, ohne auf Reise zu gehen.« Darüber hinaus weiß sie zu schätzen, dass sie als Sprachlehrerin jeden Tag über ihre heimliche Liebe, die Grammatik, sprechen darf. Ein Blick in ihre Bibliografie verrät, dass sie neben Belletristik auch Grammatikbücher wie beispielsweise Grammatikundervisning för sfi och sva (Deutsch: Grammatikunterricht Schwedisch für Einwanderer und Schwedisch als Fremdsprache) oder Grejen med verb (Deutsch: Die Sache mit Verben) verfasst.

Lövestam schreibt auch in einfacher Sprache für Einwanderer. Bild: Christian Röther

Ihren Roman hat Lövestam unter dem Titel Flicka försvunnen (Deutsch: Das verschwundene Mädchen) auch ins lätt svenska, ein einfach verständliches Schwedisch für EinwanderInnen, übersetzt. Der Schriftstellerin sei die Arbeit jedoch nicht leicht gefallen: »Als Autorin mache ich mir über jedes einzelne Wort Gedanken. Bei der Übertragung des Originals ins einfache Schwedisch ändert man die Kunstform. Man muss darauf achten, dass einfache Sätze die Tiefe der Originalausgabe konservieren. Das ist so, als würde man einen Roman in Poesie umschreiben.« Daraufhin wurde Stephanie Elisabeth Baur von den Moderatorinnen gefragt, ob sie sich vorstellen könne, einen Roman wie den von Lövestam ebenfalls in eine leicht verständliche Variante der deutschen Sprache zu übersetzen. Es sei, so Baur, eine größere Herausforderung, einen solchen Text zu übertragen. Ihrer Meinung nach wäre es schwieriger, die Verlage dafür zu interessieren, da diese vor allem marktwirtschaftlich dächten und Deutschland in Hinblick auf leichte Texte im literarischen Bereich noch nicht so weit ist wie Skandinavien.

Fortsetzung folgt

In ihrer Romanfortsetzung wird Lövestam die Geschichte des Helden Kouplan nachverfolgen. Die Diskussion, ob es sich bei ihrer Fortsetzungsreihe weiterhin um einen Kriminalroman handele, dürfte dabei nicht abebben. Schließlich solle ihr Held keine Reihe verschiedener Fälle lösen, wie sie durchblicken ließ. Stattdessen wird sie den Fokus auf Kouplans Privatleben legen. Also doch ein reiner Migrationsroman?

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