Ein Souffleur auf Abwegen

Für den Auftakt seiner neuen Roman-Trilogie greift Gerhard Roth auf eine im Grunde unfehlbare Mischung für eine anspruchsvolle und gleichzeitig fesselnde Lektüre zurück: eine weltbekannte Kulturmetropole, ein feinsinniger Protagonist und ein düsteres Verbrechen.

Von Marei Barth

Bild: skeeze via pixabay / CCO

Der hoch begabte sowie überaus erfolgreiche Souffleur Michael Aldrian verliert nach einem Hörsturz seine Anstellung an der Wiener Oper. Da er jedoch nicht nur klassische Musik liebt, sondern sich auch sehr für Kunst und Kultur im Allgemeinen interessiert, beschließt er, eine Weile zu seinem Bruder nach Venedig zu ziehen und dort an einem alternativen Reiseführer der Lagunenstadt zu arbeiten. In Venedig angekommen, muss Aldrian jedoch feststellen, dass sein Bruder und dessen Ehefrau spurlos verschwunden sind. In der winterlich nebligen, von Hochwasser bedrohten und von KarnevalstouristInnen überfüllten Stadt begibt er sich auf die Suche nach ihnen. Nebenbei recherchiert er für seinen Reiseführer und klappert so zahlreiche kulturell bedeutsame aber auch touristisch eher unbekannte Orte ab. Doch jemandem scheinen seine Ermittlungen nicht zu gefallen. Aldrian wird niedergeschlagen, erhält Morddrohungen sowie ein Paket mit Falschgeld und wird von finsteren Gestalten verfolgt. Doch der ehemalige Souffleur lässt sich nicht von seinen Nachforschungen abbringen und wird somit unfreiwillig immer tiefer in einen Strudel aus Lügen, Geheimnissen und Gewalttaten gezogen. Im Verlauf dessen muss Aldrian schließlich erkennen: Sein Bruder ist nicht nur unschuldiges Opfer eines Verbrechens. Und auch er selbst hat längst keine weiße Weste mehr.

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Gerhard Roth
Die Irrfahrt des Michael Aldrian

S. Fischer Verlag 2017
496 Seiten, 25€

Der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth, der bereits zahlreiche Romane, Essays, Erzählungen und Theaterstücke veröffentlichte und hierfür mit diversen Preisen ausgezeichnet wurde, beschäftigt sich schon länger mit den Grenzen der Normalität. Die Fragen, was genau Opfer von Tätern unterscheidet und wozu ein Mensch in bestimmten Situationen fähig ist, bildeten daher schon in früheren Werken seine Leitthemen. Auch in seinem neuen Roman Die Irrfahrt des Michael Aldrian greift er diese Thematik auf. Der Hauptcharakter Michael Aldrian wandelt sich im Laufe des Geschehens zusehends vom feinsinnigen Kunstliebhaber zum brutalen Rächer, vom Jäger zum Gejagten. Gleichzeitig ist er sich jedoch selbst alles andere als sicher, ob seine Sicht der Geschehnisse auch tatsächlich der Realität entspricht, er wird zusehends paranoider und beginnt sich immer mehr in Lügen zu verstricken.

Diesen psychischen Niedergang verknüpft der Autor mit einem kulturellen Streifzug durch Venedig und einer Kriminalgeschichte. Dass eine derartige Verflechtung durchaus reizvoll sein kann, haben andere Größen der Literatur bereits bewiesen. Man denke nur an Carlos Ruiz Zafón und seine Romanreihe Friedhof der vergessenen Bücher, in denen er Elemente der Schauerromantik und des Thrillers mit dem kulturellen Schauplatz Barcelona verknüpft und somit eine einzigartige, spannende Atmosphäre schafft. Dies gelingt Roth leider nicht. Zwar ist sein Schreibstil durchaus bemerkenswert. Akribisch und genau beschreibt er Orte und Charaktere und versucht den LeserInnen den Schauplatz Venedig somit äußerst lebendig vor Augen zu führen. Doch genau hier liegt auch gleichzeitig das große Problem des Romans: Die detailreichen, ausschweifenden, fast schon lexikonartig anmutenden Beschreibungen der Stadt und ihrer Geschichte nehmen überhand und wirken innerhalb der Handlung oft eher fehl am Platz. So wird selbst jedes ›Alltagsabenteuer‹ des Protagonisten – sei es nun ein Spaziergang, der Einkauf auf dem Fischmarkt, die Fahrten mit dem Vaporetto über die Kanäle oder die unzähligen Restaurant- und Cafébesuche – lang und breit mit allen dazugehörigen kulturellen und historischen Hintergrundinformationen wiedergegeben.

Diese reiseführerhaften Ausschweifungen gipfeln z.B. in Aldrians Besuchen der »Biblioteca Marciana« und des »Archivio di Stato di Venezia«, welchen Roth jeweils ein ganzes Kapitel widmet und in denen nichts weiter passiert. Obwohl sehr informativ, reißt es den/die LeserIn jedoch immer wieder aus der eigentlichen Handlung heraus. Dies liegt allerdings auch daran, dass diese weder besonders originell erdacht noch besonders spannend konstruiert ist. Da auch der Hauptcharakter Michael Aldrian trotz aufwühlender Ereignisse recht hölzern und eindimensional bleibt, will ein fesselndes Lesevergnügen einfach nicht so recht aufkommen.
Die Ansätze dieses Romans sind durchaus vielversprechend. Es scheint jedoch, als habe Gerhard Roth dieses Mal schlicht und ergreifend zu viel unter einen Hut zu bringen versucht. Hätte er – wie sein Protagonist – schlicht und ergreifend einen alternativen literarischen Reiseführer über Venedig schreiben wollen, es wäre ihm wahrscheinlich besser gelungen.

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