Erprobung des Fachchinesisch

Wie wirkt sich der Klimawandel auf Halligen aus und wie kommt eigentlich das Geschlecht ins Gedicht? Die Ergebnispräsentation des FoLL-Projekts aus dem Wintersemester 2017/18 deckte ein breites Spektrum ab und bot dabei nicht nur den Studierenden Einblicke in die Welt der Wissenschaften.

Von Anika Tasche

Bilder: © Mathis Gertz

Seit 2010 bietet die Universität Göttingen (im Rahmen von Campus Q PLUS und gefördert aus BMBF-Mitteln) mit dem Projekt FoLL – Forschungsorientiertes Lehren und Lernen unter dem Motto »Foll beflügelt« in jedem Semester fünf bis sieben (Forschungs-)Teams die Möglichkeit, bereits im Bachelorstudium erste wissenschaftliche Erfahrungen zu sammeln. In teilweise interdisziplinären Gruppen entwickeln die Studierenden gemeinsam mit ihren BetreuerInnen eine eigene Forschungsfrage und überlegen sich eine geeignete methodische Herangehensweise. Dadurch erhalten die TeilnehmerInnen schon früh die Chance, ihren Wissensdurst über die Seminargrenzen hinaus zu befriedigen, wie die Koordinatorin Susanne Wimmelmann in ihrer Einführung zur diesjährigen Präsentation der Projektergebnisse hervorhob. Im Wintersemester 2017/18 durften fünf Teams ihre Projekte umsetzen und stellten den wissenshungrigen BesucherInnen ihre Ergebnisse in (Kurz-)Vorträgen am 16. Mai 2018 im vollbesetzten Emmy-Noether-Saal vor. Im Anschluss daran konnten bei Poster-Präsentationen auch noch die letzten Fragen geklärt werden. Nach den einleitenden Worten der Vizepräsidentin für Studium, Lehre und Chancengleichheit Prof. Dr. Andrea Bührmann und einer Begrüßung durch Susanne Wimmelmann, die die Kohorte als »toll heterogen« bezeichnete, durften die JungforscherInnen endlich loslegen.

Den Anfang machte das Team aus dem Fachbereich Germanistische Linguistik, das der Frage auf den Grund ging, ob das Verb »gehen« das neue Hilfsverb im Deutschen sei. Immer mehr hält »gehen« Einzug in den deutschen Sprachgebrauch und nimmt dadurch eine neue Stellung ein. Ausgangspunkt der Gruppe war das »going-to«-Future im Englischen und die Frage, ob dieses mentale Konzept im Deutschen übernommen wird. Mittels einer Fragebogenstudie konnten die Studierenden feststellen, dass der Lexikoneintrag sich im Laufe der Zeit verändert, es jedoch noch nicht soweit ist, dass »gehen« auch im Deutschen die Rolle von »going to« einnimmt.

Um Sprache ging es auch im entferntesten Sinne beim zweiten Vortrag, der den Titel »C-H-Aktivierung – Green Chemistry durch nachhaltige Magnankatalyse« trug. Wer von Chemie nur wenig Ahnung hat und dem entsprechenden Unterricht in der Schule nur bedingt gefolgt ist, der hatte das Gefühl, die elf jungen ForscherInnen sprechen eine andere Sprache. Dennoch war es beeindruckend, wie eine solch große Gruppe – die die übliche Gruppengröße bei weitem übertraf – zusammenarbeitet, sich aufteilte in eine praktische und eine theoretische und am Ende zu »soliden Ergebnissen«, wie sie es selbst bezeichnete, kam. Gerade diese Zusammenwirkung im Bereich der Chemie zeigt dabei den Erfolg von FoLL: »Die Generationen stecken sich gegenseitig an«, sagt Wimmelmann. So wurde die jetzige Forschungsgruppe von der vorherigen motiviert und inspiriert.

Auch der Sportunterricht ruft nicht in allen SchülerInnen Begeisterung hervor. Dessen sind sich auch die SportwissenschaftlerInnen bewusst. Stellt sich also die Frage, ob und wie der Sportunterricht sich auf die Biografie auswirkt. In qualitativen Interviews versuchte das dritte Team auf diese Frage eine Antwort zu finden und musste dabei feststellen, dass Wissenschaft gar nicht mal so einfach ist. Denn bevor sie brauchbares Material hatten, mussten sie erst einmal lernen, dass Interview nicht gleich Interview ist, und wenn eines auch noch zu kurz ausfällt, eher weniger brauchbar ist. Hinzu kam, dass ihr Sample relativ homogen ausfiel. Dennoch zeigten die NachwuchswissenschaflterInnen Kampfgeist und konnten herausfinden, dass zwar die Biografie Einfluss auf das Erleben des Sportunterrichts, andersherum jedoch der Sportunterricht keinen Einfluss auf die Biografie nimmt. Das Team war nicht zu bremsen, denn einige ihrer Interviews wollen sie für ihre Bachelorarbeiten nutzen. Es zeigt sich, dass FoLL nicht nur ein Semester gestalten, sondern darüber hinaus auch Einfluss auf den weiteren Studienverlauf nehmen kann.

Reger Austausch bei der Poster-Präsentation

Biografische Gegebenheiten scheinen auch in der Literaturwissenschaft von Interesse zu sein. Roland Barthes plädierte 1967 zwar für den »Tod des Autors«1Roland Barthes: La mort de l’auteur. In: Roland Barthes: Le bruissement de la langue. Paris 1984., doch kann man die Autorin/den Autor wirklich ganz vernachlässigen? Insbesondere wenn man Publikationen wie Marcel Reich-Ranickis Frauen dichten anders2Marcel Reich-Ranicki (Hg.): Frauen dichten anders. 181 Gedichte mit Interpretationen. Frankfurt am Main 1998. berücksichtigt, kommt zumindest die Frage auf, ob diese es wirklich tun. Den Gedanken hatten auch die jungen LiteraturwissenschaftlerInnen, die sich in ihrem Forschungsprojekt damit auseinandersetzen, wie das Geschlecht ins Gedicht kommt. Dabei untersuchten sie vier Epochen. Und auch sie standen vor wissenschaftlichen Herausforderungen, denn für die erste Epoche (Barock) gab es zu wenig »weibliche« Texte, um stichfeste Ergebnisse zu erhalten. Für die Goethe-Zeit und den Expressionismus wurde hingegen kein Unterschied festgestellt und die Ergebnisse der Gegenwartsliteratur bedürfen einer weiteren Analyse. Letztlich fand die Gruppe heraus, dass Stereotype sowie der Autorenname das Rezeptionsverhalten beeinflusst.

Am ungewöhnlichsten war wohl das interdisziplinäre Projekt »Klimawandel auf den Halligen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer: Wahrnehmungen, Maßnahmen und Konfliktlinien« (Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Theologie und Psychologie). Hier kamen auf das Team ganz andere Herausforderungen zu. Denn um an Ergebnisse zu kommen, hatten sie sich dafür entschieden, Interviews mit der Bevölkerung einer Hallig zu führen. »Wenn wir richtig Pech haben, kommen wir da nicht hin«, wurden Gedanken im Vorfeld der Studie laut. Andererseits bestand die Hoffnung, »dort nicht wieder wegzukommen.« Die Forschungsgruppe hatte jedoch weder Glück noch Pech, sondern konnte mit wissenschaftlicher Neutralität ihre Interviews führen und zurück im heimischen Göttingen auswerten. Ihre Ergebnisse sind umfassend; so zeigte sich, dass das raue Klima für die BewohnerInnen normal ist und die Veränderungen durchaus wahrgenommen werden, jedoch die Bewertung ganz unterschiedlich ausfällt. Schließlich muss bei den Maßnahmen nicht nur die Langfristigkeit, sondern auch die Finanzierung und das herangezogene Wissen (Expertenwissen vs. tradiertes Wissen der HogerInnen) berücksichtigt werden. Der Ansturm bei der Poster-Präsentation zeigte den Erfolg des Forschungsteams, welches seine Ergebnisse zusätzlich in der APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) vorstellen wird.

Was also aus den ersten forschenden Schritten in den diversen Wissenschaftsbereichen bleibt, sind neben vielen neuen Erfahrungen auch die ersten akademischen Publikationen. Ebenso wurde neue Expertise gewonnen – nicht nur hinsichtlich des Fachchinesisch. Und dass Forschung auch die ein oder andere Hürde bereitstellt, das durften die jungen NachwuchswissenschaftlerInnen ebenfalls feststellen. Dabei unterstrichen allerdings alle Teams, dass sie auch viel hinsichtlich ihres Zeitmanagements, der Organisation von Projekten und der Kommunikation untereinander und mit anderen ExpertInnen gelernt hätten. Selbstverständlich blieb Forscher-Frust hier und da nicht aus, doch die Ergebnisse, die die FoLL-Gruppen aus dem Wintersemester 2017/18 vorstellten, ließen sich durchaus sehen und konnten den ein oder anderen Gast sicher beflügeln.

Aktuell läuft die Ausschreibung für FoLL im WiSe 2018/19 und interessierte Teams können sich bis zum 5.9.2018 bewerben.

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