Mit Radikalität zur Gleichberechtigung?

In Bayern gibt es bereits ein Genderverbot und in den USA möchte Trump Worte wie »Frauen« und »Identität« aus staatlichen Mitteilungen verbannen: Gesamtgesellschaftlich bietet das Thema des Genderns große Sprengkraft und die Fronten gelten als verhärtet. Wenn es nach Stevie Schmiedel geht, sollten wir genau da ansetzen. Mit ihrem Buch Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne möchte sie einen konstruktiven Diskurs zwischen allen Teilen der Gesellschaft anstoßen.

Von Lea Stockmann

Bild: Via Pixabay, CC0

»Der heutige Feminismus ist ein einziges Gemetzel.« Ein Statement. Ein Satz. Der Anfang von Stevie Schmiedels  Buch Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne (Kösel-Verlag 2023). Die Feministin, Genderforscherin und Gründerin der Initiative Pinkstinks sieht den Feminismus in einer Krise. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut – der Untertitel des Buches – ist der Leitgedanke in Schmiedels Ausführungen zu den Konflikten, die unsere Gesellschaft rund um das Thema Feminismus, »Genderwahn« und vor allem die Anpassung der deutschen Sprache beschäftigen. In sieben Kapiteln schlüsselt Schmiedel die verschiedenen Debatten auf, geht auf die gesellschaftliche Entwicklung ein und spricht über Rechte von trans Personen und Geschlechterrollen.

Sprache ist ein essenzieller Teil gesellschaftlicher Entwicklung und Schmiedel macht deutlich, dass nicht nur Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch die Sprache für eine inklusivere Welt umgedacht werden muss. Menschen haben die Macht, die Sprache zu verändern, denn »nichts auf der Welt existiert für uns Menschen, bis wir es nicht mit Sprache in seine Existenz berufen.«

Zwischen Eltern und Kindern, Männern und Frauen – gesellschaftliche Konflikte begleiten jede Generation. Heute scheinen die Fronten aber verhärteter als je zuvor. Schmiedel verortet sich selbst innerhalb dieses Konfliktfeldes: Während sie als Jugendliche gegen ihre Eltern rebelliert und laut protestiert hat, kann sie heute als 54-Jährige ihre Elterngeneration verstehen und warum ihnen die ganzen Veränderungen und jugendlichen Forderungen mitunter zu viel waren. Für Schmiedel geht es um einen gemeinsamen Dialog und ums Zuhören, dazu fordert sie auch die jüngere Generation zu mehr Verständnis gegenüber den Älteren auf.

Warum wir trotzdem Radikalität brauchen

Auch wenn Schmiedel mit der älteren Generationen sympathisiert, versteht sie trotzdem den Sinn hinter den Debatten und macht klar: Die Gesellschaft braucht diese klaren Forderungen und Positionen, damit jede:r unabhängig vom Geschlecht inkludiert wird. »Wie eng Themen verwoben sind, zeigen uns nur radikale Aktionen«. Mit der von ihr gegründeten Initiative Pinkstinks hat Schmiedel jahrelang für Gleichberechtigung gekämpft und mit Bildung und Politik zusammengearbeitet, um Sprache und Medien inklusiver zu gestalten. Wie erfolgreich dabei radikale Aktionen sein können, zeigen die verschiedenen seit 2015 laufenden Kampagnen und Verbotsforderungen von Pinkstinks, die eine Wende in der Werbeindustrie vorangetrieben haben. Dank ihnen setzen Werbeagenturen heute vermehrt auf inklusive Spots und Plakate, anstatt auf Stereotype.

Die Veränderung der Werbung mit Pinkstinks ist nur ein Beispiel von vielen, denn auch durch die #metoo-Debatte hat sich viel bewegt. Als die ersten Frauen 2017 Vorwürfe gegen große Hollywood-Regisseure und Schauspieler erhoben, war die Branche und die breite Öffentlichkeit geschockt. Heute wissen wir: Es waren diese Frauen, die den Weg dafür geebnet haben, dass nun in dieser Branche ein viel sichereres Arbeitsumfeld besteht, in dem sich FLINTA-Personen wohler fühlen. Es stimmt also: »Damit sich die Menschen überhaupt mit einem Thema beschäftigen, muss eine leider manchmal die Gemüter erregen.« Ergo: Die Öffentlichkeit muss schockiert werden, damit ein so wichtiges Thema wie die Gleichberechtigung genug Aufmerksamkeit erfährt und sich etwas ändert.

Sprache aufbrechen

Die Gemüter erregt auch die Debatte rund um die Veränderung und Anpassung der deutschen Sprache. Egal ob Pronomen, das Gendersternchen oder das Anhängen des Suffixes ›innen‹ – wie wenige andere Themen sonst, vermag dieses die Gemüter zu erregen. Anhänger eines konservativen Sprachverständnisses mögen von einer »Beschmutzung der deutschen Sprache« sprechen, dabei spiegelt die Veränderung der Sprache die Progressivität der Gesellschaft wider, die alle Menschen sprachlich gleichberechtigen sollte. Schmiedel zeigt überzeugend auf, wie inklusive Sprache aussehen kann: Den Begriff »Frau« differenziert sie in »weiblich gelesene«, Menschen die sich als weiblich identifizieren und auch so wahrgenommen werden, und »weiblich sozialisierte« Menschen, die in ihrer Sozialisierung die gesellschaftlichen Geschlechtererwartungen an Frauen erlebt haben. Sie bringt auch teilweise schon heute genutzte neutrale – das meint weder männlich noch weibliche – Pronomen ins Spiel, um die deutsche Sprache noch inklusiver zu gestalten.

Schmiedel plädiert dafür, über verschiedene Meinungen und Optionen zu sprechen, ohne diese kategorisch auszuschließen. So große gesellschaftliche Veränderungen wie der Umgang mit der Geschlechtervielfalt sind nämlich kein Phänomen aus dem 21. Jahrhundert. Schmiedel erinnert immer wieder daran, dass im Zuge der Veränderungen der Frauenrechtsbewegung des 20. Jahrhundert, die zu der Zeit für viele unvorstellbar schienen, wie das Frauenwahlrecht, heute nicht mehr wegdenkbar sind. Sie stellt also zurecht die Frage, ob das nicht auch bedeutet, dass weitere Veränderungen in unserem Zeitalter möglich seien.

Pluralismus, statt Ausschluss

Einen zentralen Reibepunkt sieht Schmiedel in der innerhalb von einigen feministischen Kreisen implizit herrschenden Vorstellung, dass jede feministische Person perfekt sein müsse: Feministisch ist nur, wer jede einzelne marginalisierte Gesellschaftsgruppe miteinbezieht, eine perfekte inklusive Sprache spricht und überhaupt: Darf man sich feministisch nennen, wenn man als weiße, Cis-Frau doch auf mehreren Ebenen Privilegien erfährt? Auch Schmiedel kennt durch ihre Öffentlichkeitsarbeit bei Pinkstinks das Gefühl, dass man es nie allen zu 100 Prozent recht machen kann. Aufgabe des Feminismus sei es, die Strukturen verschiedener Diskriminierungsformen zu erkennen, deswegen wirbt Schmiedel für einen intersektionalen Feminismus. Es geht darum, dass feministische Menschen sich gemeinsam für inklusive Rechte aller Menschen einsetzen und gemeinsam lernen, auch wenn es dabei anfänglich noch etwas holpert.

Stevie Schmiedel
Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne
Kösel-Verlag: 2023
256 Seiten, 22 €

Schmiedel bringt in ihrem Buch auf den Punkt, was die Gesellschaft bei all ihren Debatten viel mehr bräuchte: Dialog und Offenheit. Auch wenn sie zwischen den Themen auf knapp 250 Seiten hin und her springt, zieht sich ihr Wunsch nach einem zusammenhängenden, konstruktiven Diskurs durch das gesamte Buch und sie verdeutlicht mit ihren Beispielen, wie Sprache und radikale Aktionen zusammen gesellschaftliche Umbrüche besonders beim Thema Gleichberechtigung einleiten können.

Selbstkritisch und selbstreflektiert bezieht sie sich und ihre eigenen Erfahrungen in den Konflikt rund um den »Genderwahn« mit ein und versucht sowohl die jüngeren als auch die älteren Generationen in ihren Bedürfnissen und Forderungen zu verstehen. Auch wenn besonders die Frage rund um diese Fronten zum Anfang des Buches etwas zu viel Platz einnimmt und Schmiedel als 54-Jährige deutlich mit den älteren Generationen sympathisiert, schafft sie es, ihre Gedanken nachvollziehbar zu formulieren. Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne ist aber kein Handbuch für den Gebrauch von gendergerechter Sprache. Es regt viel mehr zum Nachdenken an und ist ein Buch für alle, die die Genderdebatte und ihre gesellschaftliche Rolle besser verstehen wollen.

Am Ende ist Schmiedels Message klar: Jede gesellschaftliche Gruppe, unabhängig welcher Generation angehörig, sollte offen für Veränderungen sein, miteinander kommunizieren und dabei nicht vor radikal erscheinenden Gesellschaftsentwürfen Angst haben, denn jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne

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