Aktuelles aus dem 17. Jahrhundert

Ein humorvoller bis tragischer Abend im Deutschen Theater Göttingen: Cyrano de Bergerac feiert am 17. Juni Premiere auf dem Parkdeck im Freien mit guter schauspielerischer Leistung, tollen Kostümen und viel Emotion – manchmal vielleicht etwas zu viel.

Von Lena Heykes

Bilder: Isabel Winarsch

Romantisch, ironisch und tragisch, so feiert das Deutsche Theater Göttingen den Spielzeit-Abschluss am 17. Juni mit der Premiere von »Cyrano de Bergerac«. Jedoch nicht wie gewöhnlich im großen Theatersaal, sondern im Freien auf dem Parkdeck hinter dem Gebäude.

Das Originalstück von Edmond Rostand aus dem Jahr 1897 wurde von Martin Crimp modernisiert und von Regisseurin Annette Pullen im DT umgesetzt. Im Vordergrund steht Cyrano (Gabriel von Berlepsch), der Soldat kann meisterhaft mit seinem Degen umgehen, aber beherrscht auch die Kunst des »Spoken Word« wie kein anderer. Doch er hat ein großes Problem, ein sehr großes sogar: seine Nase. Sie symbolisiert seine Imperfektion und ist gleichermaßen Ursache seiner Unsicherheit. Denn wer möchte schon eine hässliche Person zum Ehemann?

Im 17. Jahrhundert, einer Zeit, in der es weder Nasen-OPs noch Instagram-Filter gibt, die seine große Nase kaschieren können, kommt es ganz auf Äußerlichkeiten an. Auch Cyranos Angebetete Roxane (Nathalie Thiede) ist da keine Aufnahme. Sie gilt zwar als klug und gebildet, aber verfällt dem gutaussehenden Christian (Daniel Mühe). Der Neue in Cyranos Regiment ist eine Wohltat für die Augen, sprachlich kommt er allerdings eher unbegabt daher.

Als Roxane einen schriftlichen Liebesbeweis von Christian einfordert, kommt ihm Cyrano zu Hilfe. Sie schließen einen Pakt: Cyrano schreibt die Briefe an Roxane und kann so seine Liebe heimlich zum Ausdruck bringen kann.

Viel Raum, um sich auszubreiten

Beeindruckende Kostüme gibt es bei der Inszenierung von Cyrano de Bergerac im Deutschen Theater Göttingen zu sehen. Bild: Isabel Winarsch

Die Schauspieler:innen laufen schon vor Beginn durch die Publikumsreihen und können dabei ihre schönen Kostüme (Katharina Weissenborn) zur Schau stellen, die farbenfroh mit klassischen bis ausgefallenen Schnitten daherkommen. Männer in Frauenkleidern und umgekehrt haben Tradition im Theater – mit dem Auftritt einer nicht-binären Person gleich zu Beginn knüpft das Stück zudem an Themen der Gegenwart an. Auch Frauenrechte werden als Thema immer wieder aufgegriffen, denn Roxane studiert, wie es nur wenigen Frauen ihrer Zeit gestattet war, und kritisiert immer wieder patriarchalische Gesellschaftsbilder.

Im Vergleich zu den Schauspieler:innen und dem Inhalt wirkt das Bühnenbild von Iris Kraft eher schlicht, doch nicht weniger passend. Die Bühne im Freien ist wie ein Park gehalten, mit großem Heckentor, einer Wiese und Sträuchern. Eine Treppe in der Mitte bietet den Schauspieler:innen etwas festeren Boden. Hinten links befinden sich zudem noch ein paar bunte Leitern, deren Sinn sich nicht ganz erschließt, auch wenn die Darsteller:innen sie immer wieder mal emporklettern.

Doch auch Räume außerhalb der Hauptbühne werden als Schauplatz genutzt. Ob neben, hinter oder zwischen den Zuschauerreihen, das Publikum kann sich viel umsehen und immer wieder Neues entdecken. Auch die Fenster an der Rückseite des Theaters werden mit genutzt. Durch diese beobachtet mal eine rauchende Roxane das Geschehen oder ein verliebter Christian taucht auf und verstreut verträumt Rosenblätter.

Viel Emotion, um sich auszuleben

Die Schauspieler:innen nutzen die gesamte Fläche, die ihnen zur Verfügung steht, um ihr Können in Wort und Tat unter Beweis zu stellen. Die Reime, die dabei immer wieder ausgesprochen werden, wirken teilweise etwas gehemmter als die Bewegungen und Gesichtsausdrücke. Dies könnte daran liegen, dass so viele Verse hintereinander im aktuellen Sprachgebrauch kaum vorkommen und daher ungewohnt sind. Gleichzeitig wird im Stück wohl jedes erdenkliche Nasen-Sprichwort aufgegriffen oder Witze auf Kosten von Cyrano gemacht. Aber auch wenn Cyranos Nase mal nicht das Thema ist, kommen Anspielungen und humorvolle Äußerungen nicht zu kurz.

Gabriel von Berlepsch dichtet als Cyrano in die Luft. Bild: Isabel Winarsch

Gabriel von Berlepsch, dessen vergrößerte Nase hervorsticht, geht in der Rolle des Cyrano auf. Reimen und Fechten gleichzeitig scheint kein Problem für ihn zu sein. Auch Cyranos Liebeskummer stellt er eindringlich dar. Wie im Wahn dichtet er in gekrümmter Haltung mit Haaren vor dem Gesicht oder schreibt mit der Feder die Verse in die Luft. Und auch Nathalie Thiede schafft es, als Roxane ihre Emotionen explosionsartig darzustellen. Aber es gelingt ihr auch die liebevollen Gefühle, in einem ruhigen Duett, gesungen mit Daniel Mühe als Christian, zum Ausdruck zu bringen.

Zeitlos und immer aktuell

Leila (Rebecca Klingenberg), Roxane (Nathalie Thiede), Cyrano (Gabriel von Berlepsch) und Lignière (Roman Majewski). Bild: Isabel Winarsch

Mit der Dämmerung, die auch als Stilmittel genutzt wird, hebt sich die lockere Stimmung auf. Der Krieg raubt den Schauspieler:innen die bunten Kostüme und tauscht sie gegen einfaches Schwarz. Die belustigten Gesichtsausdrücke weichen dem Ernst der Lage und die Charaktere beginnen, die Bedeutung von Worten und inneren Werten zu erkennen und einzusehen, wie unsinnig es ist, sich von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen. So präsentiert das Stück eine Moral, die in die Gegenwart übertragen werden kann: Was nutzen Instagram-Filter und materieller Besitz, wenn man sich selbst nicht akzeptieren kann?

Das Theaterstück aus dem 17. Jahrhundert stößt eine:n wortwörtlich mit der Nase darauf, dass innere Qualitäten in den Vordergrund gestellt werden sollten. Keine:r sollte sich über gesellschaftliche Standards definieren lassen und lieber auf Einzigartigkeit und Individualität setzen, um die wahre Schönheit zu entdecken.

Weitere Vorstellungen von Cyrano de Bergerac gibt es am 23., 24., 25., 27., 29. und 30. Juni sowie am 1., 3., 5., 6. und 7. Juli.

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