Eine liebevolle Tragödie

Moritz Franz Beichl, Hausregisseur am Deutschen Theater, dessen Inszenierungen mit queer-feministischen Fokus wie aus Szenen einer Ehe bekannt sind, erarbeitet für die Spielzeit 2022/2023 All das Schöne für das Deutsche Theater und gibt somit psychisch erkrankten Menschen eine Stimme.

Von Annalena Urbanczyk

Bild: Thomas Müller

Wenn Menschen an Depressionen erkranken und Suizidgedanken haben, leidet nicht nur der oder die Betroffene, sondern auch die Angehörigen. Duncan Macmillans und Jonny Donahoes Stück erinnert an Regentage, auf die Sonnenschein folgt, und umgekehrt.

All das Schöne feierte seine Premiere am 26. November 2022 und brillierte in vollem Glanz. Es ist ein Stück, das bewegt, das zum Nachdenken und zum Dankbarsein anregt. Es erzählt von dem zweifelhaften Versuch eines Kindes, seine Mutter zu retten, die sich das Leben nehmen will, und seinem Wunsch, ein eigenes Leben zu leben.

»Ein Menschenleben in 78 Minuten«

Das Kind (Rebecca Klingenberg) führt eine Liste mit allem Schönen, wofür es sich zu leben lohnt. Bild: Thomas Müller

Das Stück erstreckt sich auf 78 Minuten, in denen vom Leben erzählt wird: Von einem Leben, das so schön ist, dass das Kind jeden Grund, jeden Moment, in dem es sich lohnt zu leben, von Kindheit an notiert und diese Liste bis in das Erwachsenenalter fortführt. Das Publikum begleitet das Leben eines Menschen, der trotz der Erkrankung seiner Mutter die Hoffnung nicht verliert. Die Tochter wächst zu einer jungen Erwachsenen heran, deren Kindheitssorgen sie einholen.

Bei den Zuschauer:innen sind jene Emotionen, wie Angst, Kummer und Wut, die die Protagonistin erlebt, spürbar. Rebecca Klingenberg schafft es dank ihrer Mimik, Gestik und Blicken, die Gefühle eines Kindes dem Publikum zu vermitteln. Im Laufe des Stücks wird dem Publikum mehr und mehr bewusst, dass sich das einstige Kind, das vorerst versucht seine Mutter zu retten, sich nun im Erwachsenendasein selbst zu retten versucht.

Es geht nicht darum, permanent glücklich zu sein. Es geht nicht darum, im Leben nur all das Schöne zu sehen. Es geht darum, in dieser absurden, angsteinflößenden, düsteren Welt, nicht zu vergessen, dass es manchmal auch glücksstiftende oder einfach schöne Dinge gibt.

Im Kern fragt das Stück, wie man das Leben in all seinen Facetten zu leben und trotz allem die Hoffnung nicht zu verlieren vermag. Die Tochter erlebt über die Jahre sowohl tragische als auch schöne Momente, die sie niederschreibt. Es sind Erinnerungen, an die sie zurückdenkt, Erinnerungen, auf denen sich ihr Leben stützt, Erinnerungen, die sie retten, wie beispielsweise die Nummer Eins auf ihrer Liste: Eiscreme

Ein Lichtblick

Das minimalistische Bühnenbild mit Lichteffekten von Astrid Klein. Bild: Thomas Müller

Das Bühnenbild, kreiert von Astrid Klein, ist minimalistisch gehalten. Es glänzt nicht nur durch seine Lichteffekte, sondern verändert durch diese die Perspektive der Zuschauer:innen, indem sich die Lichter und Farben dem Raum und seiner Zeit anpassen. Ein dunkles Ambiente, gepaart mit Lichteffekten, spiegelt somit den Kontrast zwischen Dunkelheit und Helligkeit gekonnt wider. Ohne Dunkelheit kann es keine Helligkeit geben und umgekehrt. Auf diese Weise werden den Zuschauer:innen schöne und schlechte Lebenslagen aufgezeigt.

Dank des minimalistischen Bühnenbildes liegt der Fokus auf den Gefühlen der Protagonistin. So werden unterschiedlichen Zeiten und Räume durch einfache Bühnenrequisiten wie Stühle, die spontan zu einem Klavier oder Auto werden, gekonnt in Szene gesetzt. Auf diese Weise wird dem Publikum nicht nur verständlich gemacht, um welchen zeitlichen Rahmen es sich handelt, sondern es wird auch ein Gefühl für die Phase evoziert.

Eine Stimme für psychisch Erkrankte

All das Schöne ist ein Stück, das nicht nur fantastisch inszeniert ist. Es ist auch ein Stück, das Menschen auf die häufig noch tabuisierten Themen Depressionen und Suizid aufmerksam macht, das Menschen für diese Themen sensibilisiert. Es erzählt von der Verzweiflung, der Trauer, der Wut und der Hoffnung der Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen.

Die Darstellerin Rebecca Klingenberg hinterlässt durch ihre Schauspielkünste einen tiefen Eindruck bei ihrem Publikum. Durch die Art ihrer Erzählweise und Gestiken schafft sie es gekonnt, die Emotionen der Figur sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter authentisch zu vermitteln. Man glaubt, dass statt der Erwachsenen das Kind aus der Vergangenheit spricht. Das Publikum verfolgt die Geschichte nicht nur, es wird in das Stück miteinbezogen. Das Stück wird damit interaktiv und bezieht die Improvisationskünste der Darstellerin sowie der Zuschauer:innen mit ein.

Info

Weitere Vorstellungen von All das Schöne finden am 2., 6., 17. und 28. Dezember sowie am 19. und 25. Januar statt.

All das Schöne ist eine emotionale Achterbahnfahrt, ein Leben, in das es sich allemal lohnt einzusteigen.

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