Emanzipation mit Kokosnuss

AlohaTherese©DorotheaHeise

Von paradiesischen Pazifikinseln zu träumen ist angesagt, als Therese Heyne einen Weltreisenden heiratet. Gefüttert werden ihre Erwartungen vom Südsee-Mythos, der sich als exotisierendes Zerrbild erweist. Aloha Therese! verhandelt weibliche Emanzipation, Rassismus und Kolonialismus.

Von Melina Wießler

Bilder: Dorothea Heise / Junges Theater

Die Uraufführung von Aloha, Therese! am 12. April ist die letzte Premiere in der jetzigen Stätte des Jungen Theaters, dem Otfried-Müller-Haus, bevor es zeitweise in die alte Voigtschule am Wall umzieht. Für die Göttinger Bühne ist es bereits das dritte Stück aus der Feder Peter Schanz’, der sowohl als Autor als auch als Regisseur verantwortlich ist. Die Schauspielerinnen Katharina Brehl, Agnes Giese und Jacqueline Sophie Mendel beleben zu dritt das gesamte Figurenrepertoire. Für die musikalische Begleitung sorgt Ariane Mihm.

Der seicht anmutende Titel täuscht, denn das Stück hat es wahrlich in sich. Therese Heyne (Katharina Brehl), Göttinger Universitätsmamsell und Professorentochter, heiratet einen »Mann von Welt«, einen »Welthelden«, der kürzlich von der Weltumsegelung mit Captain Cook zurückgekehrt ist: Georg Forster (Jacqueline Sophie Mendel). Dass er einen Weltteil durchreist hat, der auch in Niedersachsen als Südsee-Mythos verklärt und umschwärmt wird, macht ihn in ihren Augen attraktiv; ganz nebenbei beabsichtigt Therese mit der Heirat, aus dem engen wie biederen Göttingen auszubrechen. Von Göttingen aus führt das Stück über verschiedene Stationen des gemeinsamen Lebens über Wilna bis zum Schluss nach Mainz und blendet dazwischen pazifische Inseln rückblickend als Teil der Weltreise ein.

Die allgemeine Erwartung einer gedeihenden und blühenden Akademiker*innenfamilie wird rasch enttäuscht, denn beide haben ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Beziehung. Während Georg daran gelegen ist, seine ihm nicht ganz geheuren Triebe in den gesellschaftlich akzeptierten Rahmen der Ehe einzuhegen, ist Therese von diesen Annäherungsversuchen alles andere als begeistert: Immer wieder verschiebt sie die Hochzeitsnacht, bis Georg sich das Gewünschte gegen ihren Willen nimmt. So entwickelt sich die Ehe mit ihrem umschwärmten »Welthelden« weit weniger romantisch und grandios als erträumt: Seine Liebe gilt eigentlich der Erforschung von exotischen Pflanzen, er hängt der Weltreise im Geiste fortwährend nach und plagt sich mit zahlreichen Gebrechlichkeiten sowie der Wilnaer geistigen Enge, die seinen Schreibfluss hemmt. Zusätzlich erschweren ständige finanzielle Probleme die Lage der Forsters. Die Konflikte entzünden sich auch daran, dass Therese die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ebenso einfordert. Im von der französischen Revolution geprägten Mainz zerbricht die Beziehung schließlich; Therese geht eine Affäre mit Huber ein, um Georg schließlich zu verlassen; jener begeistert sich für die revolutionären Umtriebe, deren Wirren ihn nach Paris treiben.

Unten Bastrock, oben Kokosnüsse

Das alles spielt in einer Gesellschaft, die intimere Beziehungen zwischen Unverheirateten mit Argusaugen beobachtet. Diese starren Verhältnisse sind ein fruchtbarer Boden für die Flucht in einen pazifischen Inseltraum, der als Projektionsfläche für allerlei unerfüllte Wünsche dient: ein Paradies der Freizügigkeit, frei von Tabus, Hierarchien und gesellschaftlichen Zwängen. Dass solche verfälschten Vorstellungen keinesfalls passé sind, offenbart sich spätestens mit einem Blick auf regelmäßig unter hiesigen Karnevalskostümen zu findenden Requisiten: Bastrock untenrum, Kokosnussschalen obenrum, Plastik-Blumenkettchen um den Hals als Inszenierung vermeintlicher Ursprünglichkeit. Mit Mihms auf Muscheln gespielten Melodien begegnet dem Publikum hier Exotismus in Reinform.

Die komplizierte Ehe der Forsters dient als Vehikel für eine ganze Reihe heute noch brisanter Themen. Es geht in Aloha, Therese! darum, den Südsee-Mythos als Konstrukt zu enttarnen und die realen Folgen von Missionierung sowie Aufklärung für die dortige Bevölkerung sichtbar zu machen. Es geht darum, postkoloniale Perspektiven zu verhandeln und den meistens leise vor sich hin funktionierenden Rassismus der Gegenwart aufzudecken. Nicht zuletzt geht es auch um Thereses eigene Emanzipation: zu begreifen, dass Forster kaum willens ist, sich von der Weltreise und seiner Begegnung mit einer Einheimischen auf Tahiti zu lösen, und dass seine Vorstellung von freizügigen und willigen ›Wilden‹ hinfällig ist. Es liegt an Therese, sich davon zu befreien, dieser Fantasie gerecht werden zu wollen, und am Ende eine eigene Karriere als hauptberufliche Schriftstellerin zu verfolgen.

Im Eimer durch die Welt

Trotz moralischen Gewichts gelingt dem Stück der Spagat zum gleichzeitig Urkomischen. Ganz anders als das gemeinhin verklärt-romantischen Bild von Entdeckungsreisen spielt sich nämlich die Cook’sche Weltumsegelung auf der Bühne banal-stümperhaft in und über Blecheimern ab. Mit jedem Bein in einem Eimer verkörpern die drei Schauspielerinnen die Schiffsbesatzung, die Tahiti von bläulichen Nebelschwaden umgeben entgegenschaukelt. Dabei intonieren sie das hundertfach beschriebene ewige Lied von der nicht enden wollenden, strapaziösen Seefahrt: Seien es zu Beginn noch »hundertzwanzig Männer monatelang auf See«, reduziere sich die Mannschaft bei Eiseskälte auf 113 Mitglieder. Skorbut bricht aus, gegen den Sauerkraut betontermaßen <em>nicht</em> helfe, und hinterlässt noch 109 Männer – die Schauspielerinnen gehen leidenden Gesichts über den Eimern in die Hocke – »und die Scheißerei«. Noch lächerlicher wird das Ganze mit seiner kläglichen musikalischen Begleitung, die Mihm auf einem Gartenschlauch beisteuert. Auch das ist ein Statement, handelt es sich hierbei doch um ein durchaus primitiv anmutendes Musikinstrument.

Bild: Dorothea Heise

Das Lachen bleibt auf beunruhigende Weise im Halse stecken. Schanz kehrt die Blickrichtung auf die Entdeckung Tahitis um und lässt Forster fragen: »Was bringen wir den Menschen in der Südsee?« Hier glänzt als Antwort darauf Katharina Brehl mit ihrer satirischen und gleichzeitig furchterregenden Darstellung des weißen Kolonialherren mit Schnauzer und Tropenhelm, den Allerwertesten auf einen Blecheimer gepflanzt und offenkundig mit massiveren Geschäften zugange, dabei gepresst so etwas wie »Kultur!« und »Kultivieren!« grunzend. Daneben schaukelt Mendel als puppenhaft bastberockte und blümchenumkränzte vermeintlich Unzivilisierte mit den Hüften. Bis dahin bleibt es einigermaßen amüsant. Während sich die koloniale Narration zugespitzt wiederholt – »ich weiß, Christ, Herr des Lichts; du schwarz, Heide, Kanacke, Weib der Finsternis« – drapiert der Kolonialist die so attribuierte Frau auf der Bühne, um sich an ihr zu vergehen.

Es ist nicht bloß das vom ebenfalls Weltreisenden Louis Antoine de Bougainville beschworene idyllische Bild des »Garten[s] Eden«, in dem Forster eben noch auf seiner Weltreise verzaubert umherstolpert, das einer grausamen Wirklichkeit für die Kolonisierten weicht. Brehl tritt hier unvermittelt aus der Rolle des satirisch überzogenen Kolonialherren heraus und fragt: Sei es nicht rassistisch, wenn sie allein deswegen die Rolle des weißen Eroberers spiele, weilsie selbst nicht weiß sei? Aber sei es nicht im umgekehrten Falle – die weiße Mendel als weißen Kolonialherren, die nicht weiße Brehl als zu Missionierende – noch rassistischer? Gilt es für die »frisch gewhitefacte blacke Schauspielerin« auch, dass sie sich des Blackfacings schuldig machen kann? Diese Szene ist intensiv, stark und erfreulich provokativ. Sie fügt sich ein in die Diskurse der heutigen Gegenwart. Längst überfällig rückt allmählich ins Bewusstsein von immer mehr Menschen, die von Rassismus nicht betroffen sind, wie sehr eben jener verbreitet ist und dennoch unterschätzt wird. Die Gesellschaft ist in ihrem Denken rassistisch geprägt. Und Rassismus ist nicht ausschließlich bei jenen zu finden, die fremdenfeindliche Positionen explizit und bewusst vertreten.

Klischees, gescripted und auf Metaebene serviert

Schanz konstruiert ein verwirrend vielschichtiges Stück, in dem Zeitebenen, Kommentare zum Geschehen, Zitate aus historischen Quellen und selbstreferentielle Passagen einander überlagern. Schon der Einstieg, von dem aus sich Thereses und Georgs Lebensgeschichten entspannen, führt das Publikum rasch aufs Glatteis. Fliegen eben zwischen Therese und ihre Zeitgenossinnen Caroline Michaelis und Meta Wedekind die Fetzen, bisweilen mit gemeinen Seitenhieben, hält Therese – an dieser Stelle verkörpert von Giese – inne und raunt gönnerhaft ins Publikum: »Eine Zickerei unter Frauen – oh, wie unterhaltsam…« Ihre Kollegin hält dagegen, dass genau das aber so »gescripted« sei. Von wem bloß? Schanz kommentiert damit selbstironisch die eigene Rolle des wohlgemerkt männlichen Autors, der hier das Klischee des ständig zwischen Frauen geführten Kampfes auf die Bühne zitiert.

Mit Brehl, Giese und Mendel ist Aloha, Therese! rein weiblich besetzt und sie decken Protagonist*innen wie eine Reihe von Nebenfiguren überzeugend ab: Vor allem Giese verkörpert die beiden Väter Forster und Heyne hervorragend, während Brehl zum großen Teil die junge Therese Heyne stemmt und in der extremen Parodie des Kolonialherren brilliert. Es mag an der ohnehin farblosen und willensschwachen, von Selbstzweifeln geplagten Figur Georg Forsters liegen, dass Mendel in dieser Rolle daneben etwas verblasst; deren Stärken treten eher in der Rolle der Meta Wedekind zutage. Nicht unbedeutend ist die Begleitung von Musikerin Mihm, die etwa, um den pazifischen Raum der Weltreise zu markieren, gekonnt Töne auf Muscheln erzeugt, und das zentraleuropäische Jahrhundert der Aufklärung mit Fanfarenstößen auf der Trompete ankündigt. Nicht allein im Zusammenhang mit der Weltreise spricht die Wahl der Instrumente für sich. Besonders im ersten Fall gibt sie sich im Zusammenhang mit den übrigen Stilmitteln, etwa oben genannten Requisiten – Bastrock, Kokosnüssen, Blumenkette – als fragwürdigen Versuch zu erkennen, aus zentraleuropäischer Perspektive vermeintliche Authentizität zu erzeugen, die tatsächlich aber einseitige Zuschreibung bleibt.

Das Bühnenbild selbst transportiert vieles auch über Details: Die Handlung in Göttingen, Wilna und Mainz spielt sich bei geschlossenem Vorhang auf der Vorderbühne und einem vorgelagerten Podest ab. Wenn der Vorhang sich hingegen öffnet und der dahinter liegende Bühnenteil als Schauplatz des Geschehens dient, sind die Inseln des pazifischen Raums gemeint. Sitzt Georg Forster in häuslichem Familienkreis am Tisch, befindet er sich im Vorhangspalt genau auf der so markierten Grenze zwischen diesen beiden geografisch weit auseinanderliegenden Orten. Das ist deswegen bemerkenswert, weil Therese versucht, ihn emotional zu erreichen, während er sich aber lieber mit seinen auf der Weltreise entdeckten Pflanzen befasst. Das Licht tut dazu das Übrige. Im ›Hier‹ dominieren kaltes Licht und harte Farbkontraste, über der Ferne liegt ein beständiger Weichzeichner: Nebel, warmes Licht und Projektionen – in doppeltem Sinne –, die mit einem Overheadprojektor auf den Hintergrund der Szenerie geworfen werden. Zwischen der Bühne und dem ihr vorgelagerten Podest bleibt ein Spalt frei, der selbst mitunter zur bedeutsamen Spielfläche wird. Bezeichnend ist Thereses Stolpern über eben diesen Abgrund auf dem Weg zum Altar, um Forster zu heiraten: Noch als Verlobte lässt sie sich auf eine Affäre mit Meyer ein.

Provokative Sackgassen

Aloha Therese! ist ein komplexes, rasantes und heftiges Stück. Schanz macht es sich selbst nicht einfach mit den Themen, die er hier behandelt – das ist gut so: Das Stück will keine simplen Antworten liefern und erst recht nicht auf alle Fragen eine. Es legt keine universal geltende Handlungsanleitung dafür vor, wie mit rassistischen und kolonialistischen Denkmustern umzugehen ist. Vielmehr führt es provokativ in Sackgassen, über die es das Publikum nachzudenken auffordert. Es rückt den Umstand in den Vordergrund, dass es anders perspektivierte Geschichtserzählungen über die Kolonialisierung gibt – ohne sich anzumaßen, ernsthaft so etwas wie Authentizität herstellen zu wollen.

Es ist zu bezweifeln, ob diese Gemengelage an Themen zu einer kohärenten Erzählung beiträgt. Ohne Frage sind die einzelnen Komponenten für sich genommen überzeugend, tiefsinnig, kritisch, witzig und regen zum nachträglichen Grübeln an. Für jene, die Gefallen an Schanz’ Detailverliebtheit finden, mag es sich auch lohnen, eine weitere Aufführung zu besuchen; allein schon, weil es tatsächlich einen Unterschied macht, ob sich der Sitzplatz weiter vorn oder hinten befindet. Alles gleichzeitig mitzubekommen, ist kaum möglich und offenbar auch nicht intendiert.

Der Anspruch ist hoch komplexe Themen anhand der zeitgenössischen Gesellschaft Thereses und Georgs zu vermitteln und auf die heutige Zeit zu übertragen. Das gelingt an vielen Stellen. Der Eindruck eines schlüssigen Ganzen will sich dabei aber nicht so recht einstellen – Schanz zielt mit Aloha, Therese!am Ende vielmehr ins Offene.

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