Närrischer Dämon in Menschengestalt

Wer sich vornimmt, die Zuschauer:innen am selben Abend zum Lachen zu bringen, um ihnen anschließend Schauer über die Rücken zu jagen, der oder die stellt sich selbst vor eine große Aufgabe. Diese Inszenierung von Sweeney Todd im ThOP legt viel Wert auf das Lachen und vernachlässigt dabei womöglich das Gruseln ein wenig.

Von Myron Christidis

Bilder: Ulf Janitschke

Ein kleiner Barbierladen liegt düster in der Fleet Street. Ungeduldig wartet sein Besitzer auf Kundschaft, als ein Mann das Geschäft betritt. Er weiß noch nicht, dass er es nicht auf diesem Weg verlassen wird. Der Mann ist ein heimgekehrter Seefahrer und freut sich auf die langersehnte Wiedervereinigung mit seiner Verlobten. Als er dem sonderbaren Barbier von einer wertvollen Perlenkette erzählt, die er für die Geliebte erworben hat, besiegelt er sein Schicksal. Ein Klicken, ein Knarzen und der Todgeweihte verschwindet in der Finsternis – durch den Saal schallt ein schauriges Gelächter.

Am 08. Juni 2022 feierten die Darsteller:innen des ThOP mit Sweeney Todd eine neue Premiere. Die Horrorkomödie wurde inszeniert von René Anders und Andreas Hey und folgt der Vorlage der von Brian J. Burton bearbeiteten Bühnenfassung des Originalstoffes. Der britische Schriftsteller orientierte sich dicht am Original, um trotz der düsteren Thematik dessen skurrilen Humor und unverhofften Charme zu erhalten. Diese Kombination mag bereits äußerst überzeugend klingen – aber kann die studentische Inszenierung der Gruselkomödie den Balanceakt zwischen Gruseln und Grinsen meistern?

Der bitter-bitterböse Barbier von der Fleet Street

Sweeney Todd oder der Barbier als Mörder – der Untertitel des Theaterstücks verrät schon einiges über dessen Inhalt. Sweeney Todd (Tom Röber) ist eben dies: ein geschickter Barbier und hinterlistiger Mörder. Den Grund für seine Untaten erfährt das Publikum bereits sehr früh, als er seinem ersten Opfer eine ebenso kostbare wie bedeutungsvolle Perlenkette abknüpft. Angefangen mit nichts als einem Penny, den er als Kind geschenkt bekam, erzählt Sweeney daraufhin dem Publikum, fasste er den Entschluss, mal ein reicher Mann zu werden – koste es, was es wolle. Und in der Tat kostet dieser Entschluss einer Menge reicher Leute das Leben, die ahnungslos den Laden des Barbiers betreten und ihn nie wieder verlassen sollen. Der betrügerische Bartschneider folgt dabei dem Kredo: »tagtäglich eine böse Tat« und nennt sich selbst einen »überzeugten Bösewicht«.

Als jedoch ein heimkehrender Seemann (Clemens Ibrom) in Todds Laden verschwindet, machen sich dessen Geliebte (Yasemin Dittmann) und sein Kamerad Colonel Jeffrey (Jakob Jockers) auf die Suche. Zur gleichen Zeit kommen auch der pfiffige Gehilfe Tobias Ragg (Anika Bittner) und sein Freund Jarvis (Niklas Theuer) dem Übeltäter auf die Spur. Doch was geschieht mit den Leichen und was haben sie mit der raffgierigen Bäckerin Mrs. Lovett (Myrtha Dorothee Werner) und ihren Fleischpasteten zu tun? Die arglosen Sweeney-Todd-Laien und Laien:innen unter den Zuschauenden erwartet bei der Lösung des Rätsels die ein oder andere köstliche Überraschung.

Zwischen Gruseln und Grinsen

Überraschend mag für diejenigen, die bereits den deutlich bekannteren Film mit Johnny Depp gesehen haben, auch die Atmosphäre der Inszenierung sein. Das Stück ist zwar stimmungsvoll, wer jedoch eine unheimliche Horrorshow zum Augenzuhalten erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein. Atmosphäre entsteht vor allem durch das Pathos, mit welchem beinahe das gesamte Ensemble seine Texte vorträgt. Das ist in diesem Fall nicht abwertend gemeint, stattdessen verleiht diese überdramatische Art dem Stück das gewisse Etwas, das durch den mangelnden Gruselfaktor sonst vielleicht gefehlt hätte. Jede Emotion, ob Freude, Zorn oder Liebeskummer, wird auf der Bühne in ihrem Extrem gelebt und in vollen Zügen ausgekostet. Den Liebhaber:innen des klassischen Theaters mag dabei das Herz aufgehen, den einen oder die andere könnte dieses Ausmaß an Theatralik jedoch auch etwas anstrengen.

Tom Röber als Sweeney Todd und Myrtha Dorothee Werner als Mrs. Lovett. Bild: Ulf Janitschke

Das Bühnenstück erscheint im Ganzen eher wie die Parodie einer tatsächlichen Gruselgeschichte. Immer wieder werden durch die übertriebene Art, den gekonnten Wortwitz oder die schiere Skurrilität der Geschichte Situationen provoziert, die dem Publikum nicht immer, aber oftmals zumindest ein Grinsen entlocken. Dieser äußerliche Humor und die geradezu aufdringliche Theatralik sorgen in Verbindung mit dem der Geschichte innewohnenden Schrecken für eine absurde, aber amüsante Kombination – eben wie das Original. Die gewohnt sympathischen ThOP-Darsteller:innen geben sich dabei keine Blöße und wissen mit authentischen darstellerischen Leistungen zu überzeugen.

Die Darbietung bringt allerdings auch glaubhaft schaurige Momente mit. So zum Beispiel, wenn der hervorragende Tom Röber sich als Sweeney Todd an das Publikum wendet und in der gewohnt hinterlistig-überheblichen Art seine bösartigen Absichten offenbart. Generell wird während der Aufführung wiederholt gekonnt die vierte Wand durchbrochen. Dabei bleiben auch die anderen Darsteller:innen des Ensembles in ihren Rollen äußerst glaubhaft, wenn sie sich an das Publikum wenden. Dieses wird belehrt, beschimpft und um Hilfe angefleht und darf sich somit auch ein wenig als Teil des Stücks begreifen. Ein kleiner Hinweis sei an dieser Stelle gegeben: Man achte auf die Farbe des Bühnenlichts, wann immer Sweeney sich einem seiner Monologe widmet, denn diese gibt eine interessante Einsicht in die Stimmung, in welcher sich der böse Barbier befindet.

Atmosphärisches Ambiente

Das gesamte Bühnenbild ist von vorne bis hinten herausragend. Die Bühne ist unterteilt in den Barbierladen des Bösewichts, die Bäckerei seiner Komplizin und einen Bereich dazwischen, in dem sich alle weiteren Szenen abspielen. Der Stuhl, auf dem die zahlreichen Opfer des Barbiers verschwinden, ist tatsächlich mechanisch und befördert die mutmaßlichen Leichen hinter die Bühne, von wo aus die Darsteller:innen ihren Weg in den Keller der Bäckerei finden. Die Dekoration ist authentisch und liebevoll gestaltet.

Passend zum dunklen Thema wird die Darbietung von akustischen Versionen bekannter schauriger Songs der Popkultur abgerundet. Die aufmerksame Zuhörer:innenschaft wird sowohl die für ihre düsteren Lieder bekannte Billie Eilish mit bad guy als auch den zwar kontroversen, aber dennoch wohlbekannten Michael Jackson, mit seinem Song Thriller erkennen können. Diese und andere Stücke begleiten das Publikum stimmungsvoll durch die kurzen Umbauphasen und halten die Atmosphäre am Leben.

Der Barbier und sein Stuhl

Sweeney Todd im ThOP ist ein unterhaltsames Stück. Wer darüber hinwegsehen kann, dass er oder sie sich bei dieser mutmaßlichen Gruselkomödie nicht in besonderem Maße gruseln wird, kann sich auf einen äußerst amüsanten Abend im Theater einstellen und sich von den wahrlich dramatischen und unüberhörbaren Empfindungen der Darsteller:innen mitreißen lassen. Allein um dem heimtückischen Gezische des mörderischen Barbiers zu lauschen und dessen mechanischen Stuhl als Teil des Bühnenbilds zu bestaunen, lohnt sich ein Besuch im Theater im OP. Wer sich dies nicht entgehen lassen möchte, kann sich Sweeney Todd oder der Barbier als Mörder noch bis zum 25. Juni ansehen.

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