Mercedes Lauensteins Roman Zuschauen und Winken handelt von einer Krankheit, die das ganze Leben in Ungewissheit taucht. Doch die eigentliche Geschichte findet zwischen den Zeilen statt: In den unaufdringlichen Momenten einer zärtlichen Liebesgeschichte und in den kleinen Momenten, die in lyrisch-verspielter Nahaufnahme ihre ganz eigene Magie entfalten.
Von Paula Schwarz
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Zuschauen und Winken ist ein Roman, der beobachtet und innehält, der sanft, humorvoll und immer ehrlich seine Geschichte offenlegt. Fragmente und Momentaufnahmen leiten die Leser:innen in knapp 200 Seiten durch die Gedanken und Gefühle einer namenlosen Erzählerin, deren Leben, so vermutet man instinktiv, regiert wird von den Strapazen der nicht diagnostizierbaren Krankheit ihres Partners Miro, die jegliche Hoffnungen auf eine gesunde Zukunft schadenfreudig von sich schlägt. Planung ist unmöglich und Gewissheit gibt der Protagonistin nur das, was da ist: ihre schleppende Forschungsarbeit über das Moor, ihre langjährige Beziehung mit Miro und die unscheinbaren, alltäglichen Momente, die nur ihr selbst gehören und die mit fantasievoller Neugierde und poetischer Präzision zur Essenz der gesamten Geschichte werden. Während auf den ersten Blick die fragmentarisch-lückenhafte Gestaltung keine formale Struktur vorgibt und verunsichert, verwandelt Lauenstein ihre Worte in eine Art poetisches Puzzle, das der vermeintlichen Strukturlosigkeit eine ästhetische Kohärenz verleiht, die sich in Form einer klugen und einprägsamen Ansammlung von Eindrücken und Momenten in ihrem Roman widerspiegelt.
Lauenstein macht in diesem Roman alles richtig, insbesondere, wenn sie die Erwartungen der Leser:innen an eine Krankheit, die alles überschattet, umkehrt. Schließlich könnte ihr Roman in seinem eigenen Frust untergehen, könnte Ärzte, die zahllose Symptome als fehlende Lebensfreude abstempeln, und Freunde, die nichts als Verständnislosigkeit zeigen, verteufeln und könnte selbst die Liebesbeziehung an ihr zerbrechen lassen. Lauenstein stellt jedoch realistisch und unvoreingenommen dar, inwiefern die Krankheit in das eigene Leben eingreift, Freundschaften verändert und Vertrauen zu Methoden der Schulmedizin sowie heilpraktischen Verfahren in Frage stellt. Sie bedeutet Rückzug ebenso wie jeden Moment ohne Symptome wertzuschätzen. Mit einer Spur feinen Sarkasmus und einer beobachtenden Haltung zeigt sie differenziert die realen Folgen der Krankheit auf, ohne dabei generalisierend zu werden. Spannend ist darüber hinaus, wie sie die Krankheit mit Analogien zum Moor verknüpft, das als Ort der Mystik, der bedrohlichen Unwissenheit dargestellt wird, als unerklärliche Existenz. Auf diese Weise wird die Moorthematik adäquat, originell und aufschlussreich aufbereitet, sodass man unwillkürlich selbst in die Rolle des Forschenden schlüpft, bereit, alle Wissensfragmente zu vereinen.

Zuschauen und Winken
Blumenbar: 2025
192 Seiten, 22 €
»Das Schöne ist, dass wir beide Invalide sind. Bei dir spielt das Gehirn verrückt und bei mir der Körper.«
Das Gehirn der Erzählerin ist, wenn man das so sagen möchte, der ganze Charme des Romans oder wenigstens ein großer Teil davon. Sie betrachtet ihre Umwelt bis in jedes kleinste Detail, genießt, personifiziert, fantasiert. Mal sind es die Regentropfen als melancholisch lächelnde Musikanten: Sie spielen das Lied der Besänftigung. Mal ist es eine ausgeprägte Zerstörungswut, die sowohl störende, vogelzeigende Besitzer in hupenden Autos treffen kann, als auch den niemals funktionierenden Drucker. Der Roman lebt von dieser liebevollen und ungeschönten Charakterisierung der Erzählerin, in deren introvertierter Hülle großer Einfallsreichtum und Witz stecken. Lauenstein lässt sie so über die Krankheit hinauswachsen, lässt die Krankheit Krankheit sein: wiederkehrend, manchmal übermächtig, doch nie der endgültige Schlusspunkt. Denn ihr feines Gespür für aufrichtige zwischenmenschliche Interaktionen und Emotionen verankern den Roman nicht in der Krankheit selbst, sondern höchstens in dem, was sie auslöst. Ganz besonders dort, wo sie nicht hinreicht, findet der Roman Halt: bei dem wärmenden Automatenkaffee, den munteren Insekten, den musikalischen Regentropfen – und bei der Liebesbeziehung, die glücklicherweise nie in Frage gestellt wird.
»Warum musst du immer so durchdrehen?
Weil alles so zum Durchdrehen ist, sage ich.
Stimmt, sagt er. Das stimmt. Das war alles überhaupt nicht so vorgesehen.
Nichts ist vorgesehen, sage ich.«
Zuschauen und Winken steckt voller Leichtigkeit, während es von einem Thema erzählt, das schwerer eigentlich nicht sein könnte. Durch ein bemerkenswert einfühlsames und stimmiges Gesamtgefüge der einzelnen Puzzleteile schafft Lauenstein eine Erfahrung, die auch bei der zweiten oder dritten Lektüre nichts von ihrem Zauber verliert, weil jeder Moment in sich eine ganz eigene, kleine Geschichte erzählt.

