Zeit für einen Imagewandel

Franziska Tanneberger eröffnet die diesjährige Wissenschaftsreihe des 32. Göttinger Literaturherbstes mit ihrem Fachvortrag über ein Ökosystem, das in den Köpfen der meisten wohl nur als Ort modrigen, geheimnisumwobenen Grusels präsent ist: das Moor. In der Paulinerkirche lädt sie das Publikum ein, mehr über die »faszinierende Welt zwischen Wasser und Land« zu erfahren und plädiert dafür, das Moor mit anderen Augen zu sehen.

Von Aaron Kilian Mayer

Bilder: Aaron Kilian Mayer

Der Knabe im Moor von Annette von Droste-Hülshoff, die Totensümpfe in J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe oder die Sümpfe der Traurigkeit in Michael Endes Die unendliche Geschichte – das sind nur einige der vorstellungsprägenden Texte, die es über das Moor gibt und die Franziska Tanneberger über den Abend verteilt anspricht. Nach einer kurzen Vorstellung der Landschaftsökologin, Moorforscherin und Leiterin des Greifswald Moor Centrums durch Walter Stühmer (Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen) beginnt diese mit einer kurzen Lesung aus dem ersten Kapitel ihres Buches Das Moor (dtv 2023). Auf sehr persönliche Weise erzählt sie, wie sie als Kind mit dem Moor in Berührung gekommen ist: Das Buch Käuzchenkuhle von Horst Beseler, das Lesen von Büchern am Entwässerungsgraben und Spaziergänge am Maibruch auf Usedom prägten ihre ersten Begegnungen mit dem Moor und belegten es auch für sie vorerst mit einem gewissen Grusel.

Biodiversität und Klimawandel

Der anschließende Fachvortrag nimmt das Moor unter einem anderen Gesichtspunkt in den Blick: Moorflächen sind artenreiche Ökosysteme, wichtige Reservate für gefährdete Tier- und Pflanzenarten und für die Bindung sowie Speicherung von Kohlenstoff unverzichtbar. Diese Punkte machen für die Forscherin deutlich, dass das Moor einen Imagewandel nötig hat, weg von der populären Vorstellung von düster-gefährlichen, nebelverhangenen Ödflächen. Und diesen Imagewandel wünscht sich Tanneberger mit Nachdruck.

Am Abend in der Paulinerkirche liegt der Fokus auf der Rolle, die Moore in Bezug auf den Klimawandel spielen. Moore sind Flächen, die einen ständigen Wasserüberschuss aufweisen. Dadurch binden und speichern sie Kohlenstoff. Infolge der Trockenlegung von Mooren mit dem Ziel der Landnutzung wird der im Boden gespeicherte Kohlenstoff jedoch durch eindringenden Luftsauerstoff zu CO2 umgewandelt. Dieses trägt zu einem erheblichen Teil zum anthropogenen Klimawandel durch Treibhausgase bei. In Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern macht dieses aus trockengelegten Moorflächen emittierende Kohlenstoffdioxid ca. 30 % des gesamten Kohlenstoffausstoßes des Bundeslandes aus.1Greifswald Moor Centrum (2023) Informationspapier: Treibhausgas-Emissionen der moorreichen Bundesländer und die Rolle der organischen Böden.

»Nasse Moore braucht das Land«

Deshalb sei auch eine Wiedervernässung von Mooren so wichtig. Obwohl: laut Tanneberger transportiert das Wort ›Wiedervernässung‹ eine falsche Bedeutung. Es impliziere, unter großer Anstrengung künstlich Wasser aufzustauen. Eine Renaturierung von trockengelegten Moorflächen verlange vereinfacht gesprochen jedoch ›nur‹ einen Rückbau der Entwässerungsinfrastruktur.

Umso erschreckender ist es, dass die Renaturierung von Moorflächen zurzeit zu langsam voranschreitet und Deutschland der größte europäische Verursacher von Kohlenstoff-Emissionen aufgrund von trockengelegten Moorflächen ist. Nur noch etwa zwei Prozent der Moorflächen in Deutschland liegen naturnah vor, 94 % der Moorflächen in Deutschland sind entwässert – und lediglich vier Prozent wurden bereits renaturiert, wie Tanneberger zeigt. Um die Klima-Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, muss die Renaturierung von Moorflächen vorangetrieben werden. Aktuelle Kalkulationen gehen davon aus, dass in den letzten Jahren in Deutschland ungefähr 2.000 Hektar Moorfläche pro Jahr renaturiert wurden, wohingegen ca. 50.000 Hektar pro Jahr nötig wären. Die vielen Zahlen und Grafiken in Tannebergers Vortrag wirken durch die verständlichen Formulierungen der Forscherin nicht überfordernd, sondern untermauern eindrücklich die Präsentation.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Engagiert spricht sich Tanneberger dafür aus, dass die Renaturierung von Mooren als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden müsse, so wie es früher die Trockenlegung eben jener Gebiete war. Insbesondere in Niedersachen wurde diese vormals großflächig vorangetrieben, um die Moorflächen als Bau-, Weide- oder Ackerland nutzbar zu machen. Und auch diese wirtschaftlichen Nutzflächen braucht es. Deshalb zeigt Tanneberger verschiedene Wege auf, wie auch intakte Moorflächen noch wirtschaftlich nutzbar wären, denn eine Renaturierung von Mooren bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese nicht mehr bewirtschaftet werden können.

So kann eine Nutzung als Weideflächen für Wasserbüffel oder als Farm von Torfmoosen und Schilfgräsern für Landwirte attraktiv sein. Auch in der Industrie gibt es Bestrebungen neue Wertschöpfungsketten zu finden. So sollen torfhaltige Erden im (Hobby-)Gartenbaubereich durch Ersatzstoffe wie z. B. Torfmoose kompensiert werden und auch die stoffliche Nutzung von Rohrkolben wird wieder verstärkt in Betracht gezogen.

Viele Fragen, keine Musterlösung

Franziska Tanneberger im Gespräch mit Walter Stühmer. Bild: Aaron Kilian Mayer

In der nachfolgenden Diskussion, moderiert von Walter Stühmer, werden einige Aspekte aus dem Vortrag durch Fragen aus dem Publikum nochmals vertieft. Schnell machen die differenzierten Antworten von Tannenberger klar, dass es keine Musterlösung für die Wiedervernässung von trockengelegten Mooren gibt und fallweise Lösungen gefunden werden müssen. Betroffenen Landwirten müsse eine Chance gegeben werden ihre Betriebe umzustellen, anstatt ihnen durch Nutzungsverbote wirtschaftliches Handeln unmöglich zu machen.

Die vielzähligen und vielfältigen Fragen sowie die nahezu komplett ausgebuchte Veranstaltung machen das große Interesse an Tannebergers Vortrag deutlich. Dieser wiederum zeigt, wie wichtig das Ökosystem Moor für unsere Zukunft ist. Tanneberger überzeugt dabei nicht nur mit ihrer fachlichen Expertise. Ihr gelingt es, die Relevanz ihrer Forschung präzise und verständlich vorzustellen, wobei immer wieder auch ihre persönliche Verbundenheit mit und Faszination für das Moor spürbar wird. Ein bisschen wird es so möglich, das Moor mit den Augen Tannebergers zu sehen. Ein überzeugender Eröffnungsabend, der auf spannende Fortsetzungen innerhalb der Wissenschaftsreihe hoffen lässt.

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