Zwischen Ehrlichkeit und Moral

In Große Gefallen erzählt Lillian Fishman von Eve, die sich in einer Abhängigkeitsbeziehung mit zwei anderen Figuren befindet. Trotz der akkuraten Darstellung einer ungesunden Beziehung enttäuscht der Roman durch seine einseitigen und klischeehaften Figuren.

Von Miriam Bode

Bild: Via Pixabay, CC0

Lillian Fishmans Debütroman Große Gefallen (deutsche Übersetzung: Eva Bonné) wird als provokant und ehrlich angepriesen. Ein Roman, der die junge Generation beschreiben soll und sich mit Themen wie Queerness, Sexualität und Macht auseinandersetzt.

Entgegen der Norm

Große Gefallen beginnt damit, dass die Protagonistin Eve Nacktfotos von sich schießt und diese ins Internet stellt, während sie im Badezimmer ihrer Freundin Romi ist, mit der sie in einer monogamen Beziehung lebt. Trotzdem lässt sich Eve auf eine Dreiecksbeziehung mit Olivia, die angeblich eigentlich lesbisch ist, und ihrem Partner Nathan ein.

Die Treffen der drei laufen immer ähnlich ab. Nathan übernimmt die Kontrolle, er entscheidet, wer zusieht, wer Sex hat und wer sich wie zu fühlen hat. Die Sexszenen werden im Detail beschrieben, aber da bei den Treffen jedes Mal praktisch dasselbe passiert, wirken sie schnell nicht mehr schonungslos offen, sondern repetitiv und langweilig. Eve stellt Nathan Fragen, kritisiert ihn auch, doch nur um sich ihm danach gleich wieder völlig zu unterwerfen. Olivia übernimmt eine untergeordnete Rolle: Sie redet kaum und tut alles, was Nathan von ihr verlangt. Ihr gefalle das, behauptet Nathan.

In einer erwachsenen einvernehmlichen Beziehung ist es jeder Person selbst überlassen, was sie erregt, und es steht jeder:m frei, diesen Bedürfnissen nachzugehen. Nathans und Olivias Beziehung wird aber überschattet von einem extremem Machtgefälle, das sich auf alle anderen Aspekte von Olivias Leben auswirkt. Nathan ist ihr Chef bei der Arbeit, er sagt ihr, mit wem sie sich treffen soll. Wenn Eve Olivia etwas fragt, antwortet er für sie, sie kommt gar nicht zu Wort, sondern stimmt ihm bloß zu. Für Nathan und Olivia scheint diese Art der Beziehung völlig in Ordnung zu sein und sie lachen über Eves anfängliche Skepsis dem gegenüber. Je mehr Zeit Eve mit Nathan verbringt, desto mehr übernimmt auch sie diese Einstellung und vergisst ihre Zweifel.

Schlechte Menschen, schlechtes Buch?

Moralisch gute Figuren machen keinen guten Roman, genauso wenig wie vermeintlich schlechte Menschen ein schlechtes Buch machen. Eve ist ein ambivalenter Charakter. Eine junge Frau, die auf der Suche nach sich selbst ist und ihre eigene Sexualität erkundet – so kann sie als Stellvertreterin einer neuen sexuellen Revolution gelesen werden. Eve ist allerdings nicht nur sexuell offen, sondern auch egoistisch und nutzt ihre Identitätsfindung als Rechtfertigung, um tun zu können, was sie will, ohne dabei Rücksicht auf andere zu nehmen. Ob einer:m solche Figuren gefallen oder nicht, ist den Lesenden selbst überlassen, für die meisten dürften Eves Verhalten und ihre Persönlichkeit allerdings weder nahbar noch verständlich sein.

Noch schlimmer als Eve ist Nathan. Im Gegensatz zu Eve zeigt er keine Anzeichen eines moralischen Konflikts. Er ist von sich überzeugt, bestimmt über Olivia und Eve und ist sich des Abhängigkeitsverhältnisses dieser Beziehungen auch bewusst. Als eine andere Arbeitskollegin ihn wegen Nötigung anzeigt, zeigt er keine Reue, sondern überredet Eve, ihn als Zeugin vor den gegnerischen Anwälten in ein positives Licht zu rücken. Die Beziehung mit Olivia ihretwegen zu beenden, kommt für ihn auch nicht in Frage. Dass sie größere Schwierigkeiten als er bei der Arbeit bekommen könnte, lässt ihn kalt. Auch behauptet er, die Frauen regelmäßig an ihre Grenzen zu treiben, aber nicht darüber. Er wisse ja, was sie wollen, selbst wenn sie ihn bitten, aufzuhören. Letzten Endes, so steht es im Roman, sind sie ihm dafür dankbar. Der Reiz Nathans, der im Roman beschrieben wird, erschließt sich Lesenden des 21. Jahrhunderts nicht. Nathan ist zu sehr nach dem Muster des arroganten, gutaussehenden Machos geschrieben, der trotz seiner misogynen, egozentrischen Einstellung von Frauen begehrt wird. Er passt so eher in das Genre einer schlechten Romanze als in einen literarisch eigentlich anspruchsvollen Roman wie Große Gefallen.

Eve und die Frauen

Eves Beziehung zu Olivia ist kompliziert. Eve versucht eine gute Beziehung mit der zurückhaltenden und schüchternen Frau aufzubauen, Olivia scheint das nicht zu wollen. Trotzdem widerspricht Eve Nathan nicht, wenn er herablassend von Olivia redet, genauso wenig wie Olivia selbst ihm widerspricht. Olivia wird dadurch zum Klischee der stillen Frau, die nicht für sich selbst einsteht, der es gefällt dominiert zu werden und die sich durch keine weiteren Charaktereigenschaften auszeichnet. Gegen Ende des Romans treffen Olivia und Eve sich und Eve verspricht ihr, bei einem hypothetischen Ende der Dreierbeziehung auf ihrer Seite zu stehen. Aber sobald Nathan zu dem Treffen stößt, zeigt sie Olivia das genaue Gegenteil: »Indem ich mich ihm lächelnd zuwandte, ließ ich Olivia im Stich, das war mir klar, aber ich konnte nichts dagegen tun.« Anzumerken ist hier, dass auch Eve zu diesem Zeitpunkt bereits stark abhängig von Nathan ist.

Eves Name und sein Verweis auf die Bibel sind wohl keineswegs zufällig: Eve lässt sich dann als Vertreterin aller Frauen verstehen, ihre Geschichte nicht als Einzelschicksal, sondern als grundsätzliche weibliche Erfahrung. Auch dass Eva in der Bibel aus Adams Rippe erschaffen wurde und somit in einer gewissen Abhängigkeit zu Adam – dem Mann – steht, lässt sich auf den Roman übertragen. Nathan als Adam, der die Kontrolle besitzt und ein extremes Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihm und den Frauen aufbaut.

Viel Potential, aber letzten Endes voller Klischees und Einseitigkeit

Es scheint, als möchte Fishman anhand von Eve einen Konflikt darstellen. Sie ist lesbisch. Eigentlich. Gleichzeitig kann sie sich Nathan nicht entziehen. Anstatt damit zu zeigen, dass Sexualität nicht in Stein gemeißelt ist, sondern variieren kann, zeigt sie eine weitere Frau, die ihre Ideale für einen Mann verrät. Oder will sie gerade diese toxische Beziehung deutlich machen? Vielleicht möchte sie compulsory heterosexuality zeigen, die sich daran erkennen lässt, dass sich beide Frauen ihrer sexuellen Orientierung eigentlich sicher sind und sie beide trotzdem Nathan verfallen – einem Prototyp toxischer Männlichkeit?  Leider geraten diese Fragen  in den Hintergrund, weil die Figuren vor allem wegen ihrer Eindimensionalität in Erinnerung bleiben, nicht wegen der komplexen patriarchalen Gesellschaftsstruktur, die ihren Beziehungen und ihrem Verhalten zugrunde liegt.

Leider geraten diese Fragen in den Hintergrund, weil die Figuren vor allem wegen ihrer Eindimensionalität in Erinnerung bleiben, nicht wegen der komplexen patriarchalen Gesellschaftsstruktur, die ihren Beziehungen und ihrem Verhalten zugrunde liegt. Lillian Fishmans Schreibstil ist modern: Sie scheut nicht vor detaillierten Beschreibungen von Sexszenen zurück und beschreibt Eves Gelüste und seelische Abgründe, ohne zu versuchen, sie zu beschönigen. Ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber nicht weiter störend sind die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede. Auch die Grundidee des Romans ist nicht schlecht. Fehlerhafte Figuren sind notwendig, um die Charaktere realistisch zu machen. Das gilt genauso für queere Figuren.

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Lillian Fishman
Große Gefallen

Übers. von Eva Bonné
Atlantik: Hamburg 2022
256 Seiten, 22,00€

Leider sind Fishmans Charaktere aber nicht nur fehlerhaft, sondern vor allem langweilig und einseitig. Die Lesenden fiebern nicht mit, sie werden nur genervt. Davon wird leider auch die durchaus gelungene Darstellung des Abhängigkeitsverhältnisses der Frauen zu Nathan überschattet. Damit verschwendet der Roman sein ideelles und stilistisches Potential und versucht unter dem Vorwand der schonungslosen Ehrlichkeit, den Egoismus seiner Figuren zu rechtfertigen. Wenn die Figuren weniger stereotypisch dargestellt wären, wäre es möglich, sie als Antheld:innen zu lesen. Den Lesenden bleiben allerdings nicht die menschlichen Schwächen der Figuren im Kopf, sondern ihre Einseitigkeit und eine klare Distanz, die durch diese Darstellung zwischen Leser:in und Figur entsteht.

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