Tricky Konjunktiv

Dieses Jahr geht der Deutsche Buchpreis an Dorothee Elmiger für ihren Roman Die Holländerinnen. Ihre Lesung bildet den »Auftakt des Auftakts vom Literaturherbst«. So viel gelesen wird aber gar nicht, dafür gibt es ein Gespräch über Musik zum Schreiben, das Finden der Form und den Transport von Mustang-Pferden über den Atlantik.

Von Lisa Marie Müller

Bild: Dietrich Kühne

Am Samstag, den 18. Oktober, ist Dorothee Elmiger in Göttingen zu Gast und liest aus ihrem frisch mit dem Buchpreis ausgezeichneten Roman Die Holländerinnen. Angekommen im ausverkauften Alten Rathaus stellt sich die Frage, warum bei dem großen Andrang nicht wieder, wie letztes Jahr, in die Sheddachhalle ausgewichen wurde. Es sind nicht nur viele Menschen, sondern auch viele erkältete Menschen, sodass immer wieder kleinere Hustenanfälle vom Geschehen ablenken. Das Geschehen ist den Abend über jedoch nicht sonderlich spannend, sodass fast jede Ablenkung besser ist als keine. Vielleicht ist Elmigers Roman großartig, der Abend im Rathaus ist jedenfalls an Mittelmäßigkeit kaum zu überbieten.

Wie schon die letzten beiden Jahre moderiert Joachim Dicks vom NDR Kultur den Abend. Elmiger wirkt professionell, zugewandt und überlegt in ihren Antworten. 2020 war sie mit ihrem Roman Aus der Zuckerfabrik ebenfalls auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Sie erzählt, dass zu dem Zeitpunkt Covid-19 Großveranstaltungen geprägt hat und deshalb nicht ganz so viele Menschen bei der Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römer anwesend waren. Ironisch, dass es das Virus immer noch gibt, immer mehr Menschen an Long Covid leiden und Leute sich trotzdem wieder erkältet auf Großveranstaltungen schleppen. Damals wie auch dieses Jahr habe sie sich enorm unwohl gefühlt, sich selbst auf der großen Leinwand im Video zur Buchvorstellung zu sehen.

True Crime?

Die Rahmenhandlung des Romans ist eine Poetikvorlesung, in der eine Schriftstellerin darüber berichtet, wie sie sich mit einer Theatergruppe im südamerikanischen Urwald auf Spurensuche begibt. Sie folgen den titelgebenden zwei Holländerinnen, die dort auf ungeklärte Weise verschwunden sind.  Doch dann wird es dunkel, ungewiss und gefährlich im Urwald. Die erste Besonderheit: Den Fall der zwei verschwundenen Tourist:innen gab es wirklich – daran grob angelehnt ist die Geschichte, jedoch ist zu viel Fiktionales hinzugekommen, um sie als True Crime zu bezeichnen. Die zweite Besonderheit: Die Erzählform ist größtenteils als Bericht im Konjunktiv I geschrieben. Über das Vorhaben der Schriftstellerin wird beispielsweise gesagt:

»Ihr ursprünglicher Plan sei es gewesen, einiges über die Prämissen und Methoden ihrer Arbeit zu sagen, über die Texte und Positionen, an denen sie sich orientiere, die ihr Denken im Laufe der Jahre begleitet hätten, ergänzt von einigen wenigen biografischen Anmerkungen und zwei, drei Sätzen zu ihrem Verhältnis zu den richtungsweisenden Schulen und Traditionen, um anschließend dann in ihr Werk einzuführen.«

Hooked? So jedenfalls will Elmiger das Erzählen selbst thematisieren – um eine Ecke rum bzw. sehr direkt, nämlich in indirekter Rede. Die erste Person jemals, die so etwas tut, ist sie nicht, wenn man beispielsweise an Andreas Maiers Wäldchestag (2000) denkt, das ebenfalls bis auf wenige Sätze komplett im Konjunktiv verfasst ist. Wofür Elmigers Roman bisher häufig gelobt wurde: Die Dichte, die vielen Ereignisse. Er entwickele einen Sog. Beim Vorlesen gelingt das Thematisieren des Erzählens über indirekte Rede nur bedingt: Als Zuhörerin ist man irritiert, wird nicht richtig abgeholt, es fällt schwer zuzuhören. Vielleicht ist es nicht der ideale Vorleseroman.

Schreibprozesswissen

Moderator Dicks fragt, wie der Erzählmodus im Konjunktiv zu Elmiger gekommen sei. Bei der Verleihung des Preises dankte sie Kerstin Thorwart, weil sie sich mit Konjunktiv auskenne und das Korrektorat des Buches gemacht habe. Der Impuls zum Modus kam, als sie die Szene schrieb, in der eine Frau ans Mikrofon tritt. Bei diesem Auftritt und der Art, wie die Figur spricht, hatte Elmiger das starke Gefühl, sie solle nicht »Ich« sagen. So würde das Erzählen, die Erzählsituation sichtbarer: In quasi jedem Satz werde darauf hingewiesen. So hätte der Text eine Vorwärtsbewegung, »etwas Galoppierendes« – warum, das wurde nicht unbedingt deutlich. Die Sätze sind recht lang und nicht super leicht verständlich durch den in dieser Häufigkeit ungewohnten Modus.

Es wäre ein noch schönerer Abend gewesen, wenn es mehr um den Text selbst gegangen wäre. Stattdessen weiß das Publikum nun, dass es für jedes Buch Elmigers eine Playlist mit 30-50 Songs gibt, die sie beim Schreiben begleitet haben. Dicks hakt immer weiter nach und bekommt trotzdem keine Antwort auf die Frage, was genau sie gehört habe. Es war weird. Das wiederholte Bohren nach einem konkreten Titel, der sie im Schreibprozess begleitet hat – ebenso wie ihr Ausweichen, die Vermeidung einer Antwort. Das sind Minuten, die spannend sein könnten, sich aber ziehen, sodass sogar vereinzelt jemand den Saal verlässt (ob zum Nase schnäuzen oder rauchen bleibt unklar). Generell weiß das Publikum nun über ihren Schreibprozess genau das, was man auch vermuten würde: Sie liest viel, recherchiert im Internet, notiert Beobachtungen aus dem Alltag. Alles sei Material – sie finde auch alles interessant, wolle über alles mehr wissen. Erstmal gibt es eine große Materialsammlung. Irgendwann geht es plötzlich um Pferde und Elmiger erzählt vom Rabbit Hole Pferdetransport: Sehr viel häufiger als man denkt, werden Pferde über den Atlantik transportiert. Irgendwie nischiges, unterhaltsames Wissen, aber es bleibt alles ein wenig nebulös. Aus einer längeren Recherche zum Mustang-Pferde-Transport in Flugzeugen sind letztlich zwei oder drei Sätze geworden. So ist das also. Es ist ein nettes, aber auch belangloses Gespräch.

Fünf Jahre Arbeit stehen hinter diesem Text – er habe sich im Laufe der Zeit sehr stark verändert und es brauchte lange, bis Elmiger einen »richtigen« Zugang finden konnte. Was sie verständlicherweise ärgert: Sie hätte eigentlich gern ein Wimmelbild-Buch geschrieben, in dem die Gleichzeitigkeit der Ereignisse deutlich wird. Die Linearität des Lesens eines Buches mache sie fertig. Aber Hoffnung gebe ihr die Einschätzung einer Freundin: Dass im Kopf der Lesenden viel gleichzeitig passieren kann – trotz linearer Erzählung.

Der Abend endet auf die Minute, um 22:30 Uhr gibt es den Abschlussapplaus. Insgesamt wurden nur zwei Stellen aus dem Roman gelesen. Wer dem Konjunktiv eine Chance geben möchte: Der Roman sollte wieder lieferbar sein. Und es gibt tatsächlich noch eine Veranstaltung im Rahmen des Literaturherbsts mit Elmiger: Beim langen Abend der jungen Literatur am 29. Oktober wird sie neben den Autorinnen Nora Osagiobare und Anne Sauer erneut in Göttingen lesen. Vorschlag: Bis dahin könnten mal alle ihre Erkältungen auskurieren oder zumindest eine Maske aufsetzen, wenn sie schon unbedingt krank zu einer Lesung gehen wollen.

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Überzeugend bis überzogen
Sieht man von einigen sprachlichen Unstimmigkeiten ab, ist Eurotrash ein erneuter Beweis...
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