Besessen von ihr

Chloé Caldwells Roman Women aus dem Jahr 2014 wird in den USA längst als queerer Kultklassiker gefeiert. 2025 erscheint die Erzählung über eine intensive Liebesaffäre zwischen zwei Frauen und ihr schmerzliches Ende nun in deutscher Übersetzung.

Von Lea Taube

Bild: via Pixabay, CC0

Im Vorwort zu Caldwells Roman heißt es: »Die eigene Ausgabe von Women an eine Partnerin zu verleihen, ist inzwischen zu einem Insider für queere Frauen geworden, die in den sozialen Medien sowohl den Verlust des zerlesenen Buchs inklusive diverser Unterstreichungen und Notizen als auch den der Ex-Freundin beklagen, die es einfach behalten hat. Eine Zeit lang war es nicht einfach, Women draußen in freier Wildbahn zu bekommen. Exemplare wurden wie Geheimnisse weitergegeben – du musstest dich verlieben, um es in die Finger zu kriegen.«

Auch mir wird die deutsche Neuerscheinung von Women lustigerweise zuerst von meiner Freundin in die Hand gedrückt. Doch der Roman (der ursprünglich Dyke Aching heißen sollte) ist längst kein Geheimtipp mehr, an den man nur über Ecken gelangt. Mittlerweile wird er von berühmten Personen wie Lena Dunham und Kristen Stewart empfohlen und ist in den USA zum Bestseller-Roman geworden.

»Ever fallen in love with someone you shouldn’t‘ve fallen in love with?«

Zu Beginn von Women zieht die namenlose Protagonistin in eine fremde Stadt. Sie ist Mitte Zwanzig, Schriftstellerin, hat Drogenprobleme und braucht dringend einen Tapetenwechsel. Dort trifft sie auf Finn. Die ist »Butch und sanft zugleich. Genau zwischen weiblich und männlich.«, 19 Jahre älter und in einer lesbischen Langzeitbeziehung mit einer anderen Frau. Die Protagonistin fühlt sich sofort zu Finn hingezogen. Nach einigen impliziten und expliziten Flirts beginnen die beiden eine heimliche Affäre miteinander. Sie knutschen nachts in schummrigen Bars, lesen sich gegenseitig Gedichte vor und schicken sich unaufhörlich E-Mails hin und her (Es sind die 2010er Jahre). Im »ozeanblauen« WG-Zimmer der Protagonistin, das die beiden fortan nur noch »das Aquarium« nennen, schlafen sie regelmäßig miteinander. Beiden ist klar, dass das mit ihnen vermutlich kein gutes Ende nehmen wird.

Im Rausch

Doch das spielt erstmal keine Rolle, denn die beiden sind zunehmend berauscht von ihren Begegnungen. Die Gefühle der Protagonistin für Finn sind gewaltig und entwickeln sich schnell zur Besessenheit:

»In Finn habe ich eine neue Droge gefunden. Einen Grund, morgens aufzustehen. Sie ist die Quelle meines Selbstvertrauens; wenn ich mit Finn zusammen bin, komme ich mir genauso attraktiv, klug und geliebt vor, wie wenn ich mir Opiate durch die Nase ziehe.«

Die Liebesaffäre der beiden verläuft in Extremen: Die Höhen sind außerordentlich hoch, aber die Tiefen ungeheuer tief. Auf eine zärtliche Liebesbekundung folgt ein wutentbrannter Streit, dann wieder Komplimente und Sex. Sie bewegen sich konstant »zwischen Glückseligkeit und Hölle, zwischen Streit und Versöhnung«. In Bezug auf ihre eigenen Wutausbrüche bemerkt die Protagonistin: »Rückblickend denke ich, ich habe sie womöglich auf die Probe gestellt, sie drangsaliert, sie zu vergraulen versucht. Weil ich selbst nicht gehen konnte.«

Gleichzeitig wird das Machtgefälle innerhalb ihrer Affäre deutlich: Finn bestimmt, wann die beiden sich sehen können (meist, wenn sie keine Pläne mit ihrer eigentlichen Freundin hat) und wann nicht. Beim Sex berührt Finn sie, nicht umgekehrt (die Vermutung liegt nahe, dass Finn eine Stone Butch ist). Außerdem scheint Finns Freundin »wie ein drohender Sturm über allem« zu schweben.

»Manchmal frage ich mich, was ich dir über sie erzählen soll, damit meine Arbeit hier getan ist.«

Die Erzählsituation des Romans macht diese Beziehungsdynamik besonders schwer auszuhalten. Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonistin, die von Zeit zu Zeit die Erzählung unterbricht, um den:die Leser:in direkt anzusprechen und ihren eigenen Schreibprozess zu reflektieren. Dadurch liest sich der fragmentarische Text wie ein Tagebucheintrag oder wie ein Brief an eine befreundete Person:

Chloé Caldwell
Women
Eichborn: 2025
192 Seiten, 18 €

»Was würde dir helfen, zu verstehen, wie unglaublich leicht man sich Hals über Kopf in eine Frau mit olivfarbener Haut verlieben kann, die einen auf genau die richtige Art berührt und die ein Zitat aus Orlando längs über den unteren Rücken tätowiert hat?«

Diese Erzählweise ermöglicht einen intimen Einblick in das Innenleben der Protagonistin und zieht Lesende in den Bann – doch sorgt zugleich für eine Menge Unbehagen. Man möchte die Protagonistin abwechselnd schütteln vor Fassungslosigkeit und dann wieder tröstend in den Arm nehmen. Das Gefühl von Ausweglosigkeit wird hier hervorragend spürbar gemacht.

Eine Frau sein, die auf Frauen steht

Neben der lust- und schmerzvollen Erfahrung erotisch-romantischer Machtspiele finden in Women auch queere Identitätsfragen ihren Raum. Nachdem die Protagonistin einige Beziehungen mit Männern geführt hat, ist Finn die erste Frau, mit der sie schläft und die sie ihre Sexualität grundlegend in Frage stellen lässt. Auf der Suche nach der richtigen Sprache für ihr Begehren wird sie unter anderem mit den normativen und abwertenden Ansichten von Finn konfrontiert, die gerne darüber witzelt, Bisexualität gebe es gar nicht und sich außerdem sicher ist, am Ende werde die Protagonistin wieder mit einem Mann zusammen sein.

Als sich die Protagonistin schließlich in einer Trennungsphase von Finn befindet, lernt sie auf diversen Dates eine ganze Bandbreite an unterschiedlichen frauenliebenden Frauen kennen: maskuline, feminine, motorradfahrende, vegan lebende, solche, die ihre Zuneigung nicht erwidern und umgekehrt. Was bedeutet es, eine Frau zu sein, die auf Frauen steht? Was hat das eigene Aussehen und Auftreten damit zu tun? Diese Fragen treten in regelmäßigen Abständen zwischen den Zeilen hervor.

»Auf einem Flohmarkt kaufe ich mir eine zu große Levis. Darin fühle ich mich wie Finn. Ich frage mich, ob die Jeans mir dabei hilft, Frauen anzulocken, ob sie eine Botschaft aussendet oder einfach nur zu groß aussieht. […] Ich will aussehen wie Finn. Sie hat mal gesagt: Ich definiere mich über meine Klamotten. Darum habe ich sie immer beneidet, denn ich hatte keine Ahnung, wie man sich über sein Aussehen definiert. Ich weiß es bis heute nicht.«

Einer der wenigen Wegbegleiter:innen der Protagonistin, die im Roman erwähnt werden, ist ihr bester Freund Nathan, der in derselben Bibliothek wie sie arbeitet und trans ist. Leider bleibt das die einzige Eigenschaft von Nathan, die der Text preisgibt. Wenn dann an anderer Stelle von der Protagonistin noch insinuiert wird, er sei weniger männlich, weil er gelegentlich noch menstruiert, stellt sich die Frage, ob der transfeindliche Unterton absichtlich oder unabsichtlich zustande kommt. Schade. Erfreulich sind hingegen die ehrlichen Sexszenen des Romans, die ein zentraler Bestandteil der Affäre der beiden sind und die Sex zwischen zwei Frauen nicht, wie sonst oft, als ausschließlich blumig und sanft darstellen (oder einfach vollständig aussparen).

Mit der deutschen Übersetzung von Women ist nun die Geschichte einer queeren Liebesaffäre erschienen, die eindrucksvoll vor Augen führt, wie es sich anfühlt, eine Beziehung mit Machtgefälle zu führen – und die nebenbei Fragen von Sexualität und Identität verhandelt.

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