Die Perspektiven von Frauen

Daniela Krien liest im Alten Rathaus im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes aus ihrem neuen Roman Der Brand. Dabei geht es, so macht die Autorin deutlich, hauptsächlich um die Perspektive von Frauen, deren Einstellungen sich laut Krien von der männlichen Sicht auf die Dinge unterscheiden.

Von Lisa Neumann

Bild: Dietrich Kühne

Es ist still im Saal des Alten Rathauses, als Daniela Krien mit leiser, noch von einer Erkältung belegter Stimme am 30. Oktober aus ihrem neuen Roman Der Brand liest, denn das Publikum hängt gebannt an ihren Lippen. Die Autorin wird dabei von Anke Detken vom Deutschen Seminar begleitet. Ab und zu wird trotz der ernsten Themen des Romans – Ehe- und Familienkonflikte, Kriegstrauma – sogar gelacht. Über die Borniertheit der Tochter Stella der Protagonistin Rahel im Gespräch mit ihrer Mutter, zum Beispiel.

Gesellschaftlicher und familiärer Brand

In Der Brand geht es um die Eheprobleme des Paares Rahel und Peter, die ihren Urlaub in Bayern verbringen wollten. Doch das Ferienhaus dort ist abgebrannt, weshalb beide das Angebot der Freundin Ruth annehmen, sich ein paar Wochen um ihren Hof in der Uckermark zu kümmern, während diese ihren kranken Mann Victor nach einem Schlaganfall in der Reha an der Ostsee besucht. Im Urlaub wird deutlich: Rahel und Peter sind dabei, sich zu verlieren, müssen ihre Liebe stückweise neuentdecken, um wieder zueinanderzufinden.

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Daniela Krien
Der Brand

Diogenes: Zürich 2021
272 Seiten, 22,00€

Krien gelingt es dabei, in ihrem Roman gesellschaftspolitische mit familiär-privaten Themen zu verbinden. Es wird deutlich: Die sozialen Probleme wirken in der Familie von Peter und Rahel fort. Nicht nur die Ehe des langjährigen Paares steht dabei auf dem Spiel, sondern die Frage nach dem Zusammenhalt der beiden Eheleute ist zugleich eine Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dieser zerfalle, so Krien, gerade immer mehr, da sich unterschiedliche Gruppierungen immer weiter (politisch) polarisierten. Ein Beispiel dafür ist die exemplarische Szene, welche die Autorin zu Beginn liest und die als Auslöser für den Konflikt zwischen den Eheleuten dient: Peter wird an der Uni als Germanistikprofessor in Dresden in einen Konflikt gezogen, in dem er keinen Rückhalt von seiner Frau erfährt, als er sein Unverständnis über die – in seinen Augen – Radikalität der jungen Studierenden bezüglich der Themen Genderrollen und Geschlechterunterschiede äußert.

Genderrollen als versteckte und offene Thematik des Romans

Genderrollen spielen in Kriens Roman nicht nur vordergründig eine Rolle. Vielmehr wird im Gespräch der Autorin mit Detken deutlich, dass sie beim Schreiben stets die Perspektiven von Frauen einnehme, die sich laut Krien eindeutig von denen der Männer unterscheiden. Gibt es also Genderunterschiede, die zu unterschiedlichen Wahrnehmungen von Männern und Frauen beitragen? Die Autorin bejaht. Auch wenn Krien die feminine Sichtweise vertritt (geht man davon aus, dass es diese gibt), so wirken ihre Männerfiguren dennoch lebendig, da sie wie die weiblichen Protagonistinnen in ihren bisherigen Werken mit derselben subtilen Feinfühligkeit und Empathie gezeichnet sind.

So steht Peters Unverständnis über die momentanen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen laut Krien stellvertretend für das Lebensgefühl verschiedener Individuen, mit denen sie einzeln lange gesprochen habe und die sich nach der Wende in Ostdeutschland immer mehr verloren und politisch nicht mehr repräsentiert fühlten. Diese seien, so Krien typischerweise »alte, weiße Männer«. Man mag von Kriens Ansichten über Gender halten, was man will. Die Lesung ist allein deshalb spannend, weil Geschlechterunterschiede bezüglich der Wahrnehmung der Welt bejaht anstatt negiert werden. Krien beschäftigt sich in ihrem Schreiben über den keineswegs langweiligen Alltag ihrer Figuren mit den kleinen, feinen sozialen Unterschieden.

Einblicke in den Schreibprozess der Autorin

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Literaturherbst 2021

Vom 23. Oktober bis 7. November fand der 30. Göttinger Literaturherbst statt. Als Nachklapp veröffentlicht Litlog in der Woche ab dem 8. November jeden Tag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms. Hier findet ihr unsere Berichterstattung im Überblick.

Zugleich gibt die Lesung Einblicke in den Schreibprozess der Autorin, nach dem Detken immer wieder dezidiert fragt. Der Brand sei laut Krien auch bereits der Arbeitstitel des Romans gewesen, der sich dann im Verlauf des Schaffens immer mehr als passend herausgestellt habe. Ein seltener Fall. Die Namen ihrer Figuren würden sich üblicherweise im kreativen Arbeitsverlauf immer wieder ändern. Krien setze zuerst beliebige Arbeitsnamen ein und finde dann im Weiterschreiben nach und nach den richtigen Klang und die passende Anzahl an Silben des Namens, sodass er in den Rhythmus der Sätze passt.

Dies zeigt, dass ihr subtiler Schreibstil durchaus auch lyrische Genauigkeit enthält. Interessanterweise standen bei Der Brand die Namen der Protagonistin Rahel und ihrer älteren Freundin Ruth, welcher der Hof in der Uckermark gehört, von Beginn an fest. Dies unterstreicht einmal mehr, dass Krien die weiblichen Protagonistinnen und ihre Sichtweisen besonders am Herzen liegen.

Im genauen Beobachten, hebt Detken hervor, liege auch die besondere erzählerische Stärke von Daniela Kriens Schreiben. Die Autorin betont selbst im Gespräch mit Detken, dass sie Literatur als soziales Konstrukt ansehe, in dem die Figuren wie im realen Leben auch von sozialen Beziehungen im gesellschaftlichen Gefüge abhängig seien. Peters Position und sein Gefühl der Verlorenheit seien, so die Autorin, für sie nicht das Phänomen eines Ost-West-Konfliktes in Deutschland, sondern vielmehr das Merkmal eines politischen Generationenkonfliktes. Damit verweigert sich Krien als Autorin aus Ostdeutschland der Rolle der »Ostexpertin«, die ihr manch westliche Kritiker:innen sicherlich gern zuschreiben würden. Der Abend endet mit viel Applaus und signierten Büchern. Mit ihrem uneitlen Auftreten und gesellschaftlichem Detailblick hat Krien in Göttingen sicherlich neue Leser:innen gewonnen.

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