Uff

Leider besteht der erstmals auf Deutsch verlegte Text Alles über Liebe aus zu viel halbgarem Gewurschtel und wenig gesellschaftlicher Analyse. Etwas ist bei bell hooks‘ Mischung aus autobiografischem Zugang und Essay schief gegangen.

Von Lisa Marie Müller

Bild: Via Pixabay, CC0

Die Feministin, Literaturwissenschaftlerin und Autorin bell hooks ist letztes Jahr verstorben. Kurz zuvor ist ein schon älterer Text von ihr, Alles über Liebe, bei der Verlagsgruppe HarperCollins erstmals in deutscher Übersetzung von Heike Schlatterer erschienen. Die englische Ausgabe wurde bereits vor 22 Jahren veröffentlicht, warum erst jetzt die deutsche Übersetzung erscheint, ist rätselhaft. Die verspätete deutsche Erstausgabe punktet dafür mit Gestaltung, die ins Auge fällt: Es geht um Liebe, der Titel ist auf rot gesetzt, klar. Buchdeckel, Buchrücken und auch der Buchblock gut erkennbar signalfarbend, viel mehr Wiedererkennungswert geht nicht. Explizite Bücher über Liebe kannte ich vorher noch nicht viele. Das und der Name bell hooks, den ich mit viel Intellekt, Feminismus und wissenschaftlicher Analyse von Rassismus, Klasse und Patriarchat verbinde, hatten eigentlich Lust auf das Buch gemacht.

Der Titel ist vielversprechend im doppeldeutigen Sinn: Alles über Liebe – klingt erstmal nach einem sehr großen Vorhaben. Daran ist nichts verkehrt, lieber lerne ich alles über Liebe als nur ein bisschen, oder? Nimmt man den Titel aber ernst, ist er ein nur schwer einlösbares Versprechen. Der Untertitel, Neue Sichtweisen, grenzt das Versprechen wieder etwas ein und lässt neue Gedanken erwarten. Ob diese Gedanken nach 22 Jahren noch neu sind, hätte der Verlag natürlich nochmal überprüfen können, so muss das der:die Leser:in selbst entscheiden. Neue Sichtweisen impliziert jedoch auch, dass alte Sichtweisen eher schlecht seien in Bezug auf das Thema. Möglich, aber darum geht es in dem Text nicht.

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bell hooks
Alles über Liebe. Neue Sichtweisen

HarperCollins: Hamburg 2021
304 Seiten, 20,00€

Halbgares Gewurschtel

Insgesamt ist Alles über Liebe eine eher misslungene Mischung aus autobiografischen Beschreibungen eigener Gewalterfahrungen und Liebesentzug sowie akademischen Essay mit starkem esoterischen Einschlag. hooks‘ eigene Spiritualität und Rückgriffe auf esoterisch anmutende Literatur – wie zum Beispiel Jack Kornfields Frag den Buddha – und geh den Weg des Herzens oder Marsha Sinetars Do What You Love, The Money Will Follow: Discovering Your Right Livelihood – werden mit ihrem Liebesbegriff verwurschtelt. Liebe ist für sie nicht nur die Liebe, die innerhalb von romantischen Beziehungen gelebt wird. Soweit, so einleuchtend (wenn auch nicht neu). hooks diagnostiziert der Gesellschaft fehlende Liebe, dazu gehört für sie gleichermaßen die fehlende Liebe in Familien sowie die fehlende Liebe zu Gott. Und da bin ich irgendwie raus. Es geht sogar soweit, dass beim Lesen das Gefühl aufkommt,  sie sehe atheistische Haltungen eher als schädlich an, denn ein Leben ohne göttliche Instanz sei ein Leben ohne Liebe. Das letzte Kapitel ist die Krönung dieses Eso-Gesülzes und lässt eine:n mit komischem Bauchgefühl zurück: »Bestimmung: Wenn Engel von der Liebe sprechen«. Ein System in ihrem Vorgehen habe ich nicht entdecken können. Alles, worüber sie schreibt, hat etwas mit Liebe zu tun, das schon. Aber sie springt thematisch zwischen göttlicher Liebe, dysfunktionalen Familien und persönlichen Beziehungserfahrungen.

Auf hooks‘ Gesellschaftsanalyse konnte man im Vorhinein sehr gespannt sein, aber: mind the gap between Erwartungen und Realität. Ihre Analyse greift an vielen Ecken sehr kurz, beispielsweise wenn hooks in der Einleitung eine für den Text grundlegende Erkenntnis nennt: »Nur die Liebe kann die Wunden der Vergangenheit und heilen.« Statt liebevoller Bindungen gehe es den Menschen vor allem um Gier nach materiellem Erfolg. Das Patriarchat kommt auch vor, spielt aber eher eine Nebenrolle.

Um die eigene Gier zu befriedigen, muss man auch das Konzept der Dominanz verinnerlichen. Und die Welt der Dominanz ist immer eine Welt ohne Liebe.

Das klingt nach einem sehr einfachen Rezept: Mit mehr Liebe wird alles besser. Eine tiefergehende Analyse von (Liebes-)Beziehungen mit sowas wie einer Kritik am patriarchalischen Kapitalismus erwartet man vergebens. Ich habe viel Unwohlsein bei diesem Buch, aber auch Verbesserungsvorschläge. Mein Titelvorschlag für das Buch wäre: Meine bescheidene Meinung zu Liebe – esoterische Lesart möglich. Es hätte Möglichkeiten gegeben, den Esoterik-Teil abzufedern oder einzuordnen. Der Verlag hätte etwa einen Epilog anfügen können. Wer das Buch gelesen hat oder es sich lieber sparen will und auch Bedürfnis nach kritischer Analyse von Liebe in unserer Gesellschaft hat: Der Buchladen meiner Wahl empfiehlt dahingehend Eva Illouz‘ Der Konsum der Romantik.

Liebe ≠ romantische Liebe

Nicht alles über Liebe, aber ein paar gute Punkte gibt es natürlich auf den gut 300 Seiten. Etwa, dass die patriarchalische Kleinfamilie häufig dysfunktional und nicht die beste Option ist, um Kinder großzuziehen.

Fast alle Erwachsenen, die in der Kindheit unnötig leiden mussten, können von einer Bezugsperson erzählen, deren Freundlichkeit, Zärtlichkeit und Besorgnis ihnen die Hoffnung zurückgab. Das ist jedoch nur möglich, wenn Familien in eine größere Gemeinschaft eingebunden sind.

Diese Wertschätzung für Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie wird selten artikuliert, hooks hingegen betont ihre Wichtigkeit. Auch ihr Gedanke, dass Liebe nicht immer romantische Liebe sein muss, ist einleuchtend. Ich würde dennoch empfehlen, die dünnen unauffälligen Bücher von hooks aus kleineren Verlagen wie dem Unrast Verlag zu lesen und von Signalfarben eher Abstand zu halten. Da lernt man vielleicht nicht alles über Liebe, aber einiges über Gesellschaft. Ich bin am Ende (der Rezension) und wirklich froh, mit Alles über Liebe jetzt abschließen zu können (uff).

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