Vom Glauben und (Nicht-)Wissen

Der Asta lud zur zweiten Runde einer Vortragsreihe Verschwörungsmythen – Gefährliche Unwahrheiten. Als Referentin zu Gast: Natascha Strobl, Politikwissenschaftlerin und Expertin zur Lage der Neuen Rechten in Europa. Zurück blieben einige Fragen, aber auch viele Antworten.

Von Axel Hanmann

Bild: Via Pixabay, Pixabay Lizenz

»Das einzige, was Österreicher und Deutsche voneinander trennt, ist die gemeinsame Sprache.« Mit diesem etwas ungewöhnlichen Zitat von Karl Kraus startet Natascha Strobl in ihren Vortrag. Damit bezieht sie sich nicht wie vielleicht erwartet auf die Neue Rechte, sondern ihre Probleme mit dem Hochdeutschen. Ansonsten irritiert ihr Vortrag sehr wenig und auch die angesprochene Sprachdifferenz bleibt unentdeckt.

Ohne lange zu fackeln, beginnt Strobl zu erklären, wie die Ausgangslage der Neuen Rechten vor der Corona-Krise war und welche Dynamiken durch Corona in Gang gesetzt wurden. Die Frage der Geflüchteten in Griechenland bzw. der Türkei spielten im Februar eine zentrale Rolle in medialen Diskursen. In eben jenen versuchten rechte Akteurinnen und Akteure eine Kurshegemonie zu erreichen. Corona überlagerte jedoch schlagartig alle anderen Ereignisse und ließ die rechte Szene mit Bedeutungsverlust und ohne nennenswerten Einfluss auf diese primär medizinische Krise zurück.

Rechte Akteure kapern Corona

Referentin

Natascha Strobl ist eine österreichische Politikwissenschaftlerin und forscht zu Rechtsradikalismus und der Neuen Rechten. Strobl schreibt für viele deutschsprachige Leitmedien und analysiert mit ihren #NatsAnalysen auf Twitter das politische Tagesgeschehen.

Doch natürlich probierten rechte Akteurinnen und Akteure trotzdem wieder ins Schlaglicht zu gelangen. Erst versuchten sie es, indem sie die Krise banalisierten oder leugneten, um die allgemeinen Debatten zu ihren speziellen Diskursen zurückzuführen. Nach und nach stellten sie sich jedoch mehr darauf ein und fanden eine Sprache, um auf das Virus zu reagieren. Ihre Framing-Ansätze entwickelten sich von einem angeblichen »China-Virus« über Kriegsmetaphern hin zur Normalisierung des Virus’. Mithilfe dieser Ansätze wurde probiert, auf den Corona-Diskurs einzuwirken, und es bildeten sich im Gegensatz zum Leitdiskurs rund um Virolog*innen wie Christian Drosten drei große Gegenerzählungen heraus: ökofaschistische, sozialdarwinistische und verschwörungsmythologische. Sie alle sind im Grunde nicht neu.

Diese drei Versuche, geschlossene Weltbilder zu rationalisieren, versprechen nach Strobl (Planungs-)Sicherheit und dienen als Sinngebung in Krisenzeiten. Ökofaschismus – und damit ist nicht der Vorwurf rechter Gruppen gegen das angebliche Diktat der Grünen gemeint – ist die erste und eine Teilform des Neofaschismus, die den Menschen im Gegensatz zur Natur betrachtet. Der Mensch ist der Feind der Natur. Um sie zu bewahren, gehören (nicht-weiße oder der eigenen Nation angehörige) Menschen beseitigt. Zur Not müssen sie aktiv weggeschafft und eine Überbevölkerung aufgehalten werden. Anstatt zu erklären, wie genau diese Rationalisierungen in Zeiten von Corona genutzt wurden, sagt die Expertin nur, dass die Krise und die Rationalisierungen in Verbindung stehen. Das hinterlässt leider in Teilen ein leeres Bild bei den Zuhörer*innen.

Im Sozialdarwinismus wird aus der ursprünglichen Lehre Darwins, nach der die bestangepasste Spezies überlebt, schnell die (körperlich) stärkste Spezies gemacht. Er will demnach das Schwache ausmerzen. Wir finden in der Corona-Diskussion diese Logik in der Diskussion über »die Alten und die Schwachen«. Der Gedanke, »wer zu schwach ist, der geht halt unter, und den fangen wir nicht auf.« Dieser Sozialdarwinismus schimmert auch durch in einer marktradikalen, neoliberalen Idee, und das haben wir ganz stark sehen können: auch in einem breiten Mainstreamdiskurs, quasi hieß es dort: »für die Wirtschaft opfern wir jetzt Leute, weil wir können nicht jede*n mitnehmen.« So werden laut Strobl Brücken in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft geschlagen.

Im Kampf gegen gemeinsame Feinde

Als dritte Rationalisierungsstrategie werden von rechten Akteurinnen und Akteuren Verschwörungsideologien und -mythen bedient. Strobl beleuchtet den Vorteil, dass Verschwörungsmythen sowohl anpassungsfähig an neue Situationen wie die Corona-Entwicklungen sind, als auch von den Anhänger*innen für immer neue Zweckbündnisse im Kampf gegen gemeinsame Feinde genutzt werden können. Es lässt sich schließen, dass der Mehrwert von Verschwörungsmythen auf persönlicher Ebene nämlich darin liegt, dass sie zwar keine einfachen, aber umfassende und kohärente Erklärungen für komplexe Vorgänge bieten. Weltbilder, die so entstehen, bauen auf einer eindeutigen und diametralen Unterscheidung von Gut und Böse auf.

Daraus resultierende Feindbilder ähneln oft einander, so dass sich leicht ein Bündnis zwischen Impfgegner*innen, Teilnehmer*innen von Montagsmahnwachen oder Friedensdemos oder der traditionellen Rechten bildet. Dadurch entsteht wiederum kein geschlossenes, rechtsextremes Spektrum. Durch die Offenheit zur gesellschaftlichen Mitte können vielmehr Leute in ein rechtes Weltbild integriert werden, die bisher noch auf der Kippe standen, nicht politisch organisiert oder überfordert sind, so Strobl. Dem Publikum wird klar: Verschwörungsideologien ersparen Komplexität und Frust; man muss seine eigenen gedanklichen Sackgassen nicht verlassen bzw. schlüssig scheinende Erklärungen an eine sich weiterentwickelnde Dynamik anpassen.

Wie ein Fisch im Wasser

Die gesamten Diskurse über die Corona-Situation sind, so fasst die Rechtsextremismus-Expertin zusammen, Teil eines Kulturkampfes um die angestrebte Deutungshoheit der Neuen Rechten. Deren Erzählungen spielen eine zentrale Rolle im Kampf um die Deutung sozialer Felder. Krisen und Unsicherheiten werden genutzt, um Debatten nach eigenem ideologischen Gusto anzustoßen. Strobls finaler Ausblick bleibt entsprechend düster, wie sie ironisch-selbstkritisch bemerkt:

Das Ganze passiert natürlich nicht im luftleeren Raum, im Gegenteil, Corona ist nur ein Brandbeschleuniger, aber hat uns nicht eine komplett neue Welt gebracht.

Am Ende ihres Vortrags verbindet sie die erläuterten Entwicklungen mit der Meta-Ebene des politischen Zeitgeschehens. Ihre Abschlussthese lautet, dass dies alles kleine Mosaiksteine eines beginnenden globalen, autoritären Zeitalters sind. Mit dieser recht einseitigen Prognose der Weltpolitik schießt sie ein wenig übers Ziel hinaus, schafft aber einen spannenden Einstieg in den Frage- und Diskussionsteil des Abends.

Die Fragerunde bringt durch das aktive Interesse des Publikums frischen Wind in den Abend. Es findet ein äußerst reger Austausch statt. Erörtert werden sowohl auf der einen Seite das soziale und politische Feld beispielsweise anhand der Fragen: »Wie ist die internationale Lage?« oder: »Welche Verbindung gibt es zwischen diesem Spektrum und scheinbar linken Akteuren?« als auch auf der anderen persönliche Herausforderungen: »Wie gehe ich damit um, wenn eine Person in meinem Umfeld in die Spirale der Verschwörungsmythen gelangt?«; »Wie kann ich als Einzelperson etwas dagegen tun?« und »Ist es zu spät, falls jemand in dieser Szene verfestigt ist?« Strobl bewegt sich in ihrem Fachgebiet wie ein Fisch im Wasser und kann ihrem Publikum die Problemlagen und Lösungen eingehend schildern.Gekonnt knüpft sie an viele alltägliche Erscheinungen der letzten Monate an und weiß diese meist sehr gut zu um- und beschreiben. Die daraus entstehenden Analysen kommen allerdings immer wieder zu kurz und darstellend daher. Dadurch können die Zuhörer kaum verstehen, was denn nun wirklich im Detail vor sich geht. Die Funktion und Kausalität der Vorgänge, quasi das große »Wie und Warum«, welches elementar ist, um am Ende die Zusammenhänge zu verstehen und mehr als ein schwammiges Bild zu haben, wird zu wenig präsentiert. Dadurch gibt es außerdem, bis auf einen Ausblick, keine Visualisierung der Ergebnisse. Insgesamt bleibt der Vortrag bis zur Diskussion zu wenig konkret und monoton, trotz der Lockerheit des Live-Streams vom eigenen Sofa aus. So scheint es, fehlt in manchen Teilen doch die gemeinsame Sprache von Publikum und Referentin. In der letzte Hälfte nimmt der  Vortrag durch die Fragen der Teilnehmenden dann aber noch einmal an Fahrt auf.

Es wird auf jeden Fall klar, der Zuhörer*innenschaft scheint die Veranstaltung gut gefallen zu haben, auch wenn das Ambiente eines Vortrags in Persona über weite Teile nicht erreicht wurde und das vielleicht auch gar nicht möglich war. Die Dringlichkeit, mit der Strobl über ihr Thema redete, ohne dabei allzu ausufernd zu werden, und ihre fachliche Spitze haben sicher dazu beigetragen, ein Gefühl von Intensität bei den Hörern zu hinterlassen. Gleichzeitig ließ der Abend noch tiefere Einblicke, Einsichten und eine umfassende Antwort auf problematische Tendenzen vermissen. Das muss aber nicht zwingend von Nachteil sein. Vielmehr hat man nach neunzig spannenden Minuten Lust bekommen, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen und die Entwicklung im Auge zu behalten.

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