Egozentrik transzendieren

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Der Buchhändler Friedrich Keller ist verzagt. Die Hermetik seiner aufs Winzige zusammengeschrumpften Lyrikabteilung beschränkt die Möglichkeiten, dass jemand daran etwas ändert. Steven Uhly erbarmt sich und schubst seinen Protagonisten in Den blinden Göttern in ein fulminantes Verwirrspiel.

Von Tanita Kraaz

Bild: zerrissene Kanten von PPD via pixnio CC0

Unangefragte Manuskripte zu lesen ist mühselig. Vom einfachen Mangel an Kohärenz, über spröde Figurenzeichnung bis hin zu grober Vernachlässigung jeglicher formalen Ästhetik sind die Schwächen meist so offensichtlich, dass sich das Prüfen spätestens nach dem zweiten oder dritten anfühlt wie eine Bürde. Umso konstruierter inszeniert Steven Uhly die Wege einer rätselhaften Sonettsammlung zum Buchhändler Friedrich Keller.

Offiziell ist Keller zwar Abteilungsleiter der Belletristik im größten Buchladen seines Stadtviertels. Eigentlich kümmert er sich trotzdem nur um Lyrik. Die ist nach dem Ausbau des Schulbuch- und Reisesegments auf zwei Regale geschrumpft und noch hinter die Verwaltungsräume gezogen. Er ist verbannt an einen ihm sehr gelegenen Rückzugsort. Wie unwahrscheinlich, dass ihn hier der stinkende, zerlumpte Mann mit seiner losen Papiersammlung mit Sonetten findet. Wie unwahrscheinlich, dass Den blinden Göttern nicht im Müll landet: »Er konnte nicht einmal sagen, warum er die Blätter nicht einfach einer Kollegin oder dem Papierkorb übergeben hatte«. Wie unwahrscheinlich auch, dass diese Sammlung bald unter Kellers begeisterten Augen landet: »Es war Elvira gewesen, der beim achtlosen Abstauben mehrere Blätter zu Boden segelten und die somit offiziell das Werk geöffnet hatte, denn ein Werk war es, und was für eines!«

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Steven Uhly
Den blinden Göttern

Secession: Zürich 2018
266 Seiten, 17,99€

Sliwowitz und Wahrheit

Allein diese schablonenhafte Konstellation amüsiert: Der Dünkel, mit dem sich der – wie er andernorts genannt wird – »feine Herr« von dem ökonomisch florierenden Zweckbuch distinguiert, wird durch die verkannte, die wahre Geniehaftigkeit eines »Penners« unterlaufen. Auf dessen Spuren begibt sich der eigentlich asketisch lebende Keller nämlich, um bald in der Kaschemme »Zum heißen Sporn« zu landen – und beherzt Sliwowitz zu kippen. Das ist unerwartet, ihm aber nicht zu verübeln. Setzt sich seine ganze Umgebung doch aus hässlichen, durchtriebenen, fetten, faulen, stinkenden oder dummen Menschen zusammen. Erst sukzessive werden die durch ihre Tragik oder durch ihre freche Unverschämtheit zugänglich und verweisen so auf die schwindende Misanthropie des Protagonisten. Auf diese Weise werden teils verachtende Aussagen funktional zur Charakterisierung der Figur eingebunden. Wobei die Beschreibung der Putzfrau Elvira durch das Adjektiv »indianisch« und die phonetische Transkription ihres gebrochenen Deutschs nicht weniger deplaciert erscheinen.

Parallel zur Loslösung von der Misanthropie beginnt sich Keller im Dichter zu erkennen – eine von vielen frivolen Doppelgänger*innensituationen des Romans, die bald jegliche seiner schematischen Anlagen erschüttern. Keller gehen eben mit seiner Verzagtheit auch seine Wahrheiten ab. Das schleicht sich mit den ontologischen Fragen ein, die die Sonette aufwerfen: Eine Maxime, die das passenderweise literaturwissenschaftlich bewanderte Personal aus ihnen herausliest, ist »die Egozentrik zu transzendieren«. Das ist eine schier esoterisch anmutende Idee, die sich hier mal halbgar und mal ganz formidabel selbst persifliert. Die grobe Ironie, dass der Protagonist vorgibt, Demut zu erfahren, weil Geflüchtete in seinem Haus aufgenommen werden, mit denen er kaum ein Wort wechselt, hat wahrscheinlich schon zu viele Vorbilder gehabt. Dass der Autor unter verschiedenen Namen wie »Uhlig oder Uhlmann oder Uhlen« selbst im Roman mitmischt, ist wiederum formidabel umgesetzt. Bleibt die Figur dabei doch selbtironisch unsympathisch in ihrer eigenen ungebrochenen Egomanie verstockt.

Fröhliche Detektivarbeit

Nur folgerichtig kokettierte schon die Verlagsvorschau vollmundig mit der Verwirrung, die Uhlys Buch zwischen sein Heil versprechendes Verständnis von »Dichtung und Wahrheit« keilt: Der Autor habe zur Herkunft des Buchs…

[…] sehr widersprüchliche Äußerungen gemacht. Wir hatten daher kurzfristig in Erwägung gezogen auf eine Veröffentlichung zu verzichten, da wir die Befürchtung hegten in eine Grauzone zu geraten. Doch die außergewöhnliche Qualität beider Manuskripte – die Sonett-Sammlung und die ihr zur Seite gestellte Erzählung – ließ uns keine andere Wahl.

Die grobe Aufteilung in prosaische Handlung und lyrischen Anhang gibt auch für Leser*innen eine detektivische Rezeptionshaltung vor, die entfernt an den Lektüremodus bei J.J. Abrams und Doug Dorsts Das Schiff des Theseus erinnern mag. Während Letzteres sich allerdings in der Befriedigung von bibliophilen Neigungen und Spieltrieb verzettelt, schafft Den blinden Göttern etwas ähnlich Unwahrscheinliches wie mit einem unangefragten Manuskript zu brillieren: Es jubelt der Leserin ganz unaufgesetzt eine euphorisierende Annäherung an das Lyrische unter.

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