Der wichtige Trotz

In Unter Nazis hangeln sich Jakob Springfeld und Co-Autor Issio Ehrich entlang zentraler politischer Ereignisse und schreiben so Springfelds politische Biographie, die sie mit reichlich Kontext anfüllen. Damit stellen sie die Perspektive anderer Betroffener rechter Gewalt in den Vordergrund.

Von Frederik Eicks

Bild: André Karwath aka Aka, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Was heißt es, sich aktivistisch für Geflüchtete und eine sozialgerechte Klimapolitik einzusetzen? Oft heißt dieses Engagement Frust angesichts der politischen Lage: Wenn mit Lützerath nun definitiv noch ein Dorf den Kohlebaggern weichen muss, obwohl bekannt ist, dass die Kohle (trotz widriger Umstände) nicht gebraucht wird, wenn immer weiter steigende Flüchtlingszahlen beobachtet werden und die menschenverachtende Antwort darauf lautet, die EU-Außengrenzen stärker abzuschotten. Und was heißt es, sich für diese Dinge einzusetzen in einem Ort mit etablierten, weitestgehend unbehelligten rechtsradikalen Strukturen? Darüber spricht der im sächsischen Zwickau geborene Jakob Springfeld, der vor allem durch sein prominentes Mitwirken in der Ortsgruppe von Fridays for Future in regionalen und aktivistischen Kreisen und bei »praktisch alle[n] Nazis in Zwickau« bekannt wurde: »Aktivismus ist psychisch belastend – auch ohne alltägliche Bedrohungen wie in Zwickau.«

Springfeld und der NSU

Unter Nazis, an dem der Journalist Issio Ehrich als Co-Autor mitgewirkt hat, ist allerdings kein reiner Bericht über Springfelds Erfahrungen mit gewaltbereiten Nazis, auch wenn die Art der Bewerbung und der etwas zu reißerisch daherkommende Untertitel Jung, ostdeutsch, gegen Rechts das erwarten lassen. Das Buch liest sich vielmehr als politische Biographie, die Springfelds Weg in den Aktivismus und die Zerrissenheit, die damit einhergeht, nachzeichnet. So erfährt man, dass Springfelds allmähliche Politisierung weit vor dem Aufkommen der breiten Klimabewegung beginnt, nämlich 2015, im Jahr der (leider) sogenannten ›Flüchtlingskrise‹. Der damals 13-jährige Springfeld wächst in einem christlichen Haushalt auf und kommt über die Kirche schnell zum Engagement für Geflüchtete. Was auf die Schilderung dieser Initialzündung folgt, ist ein Text, der von den Springfeld am heftigsten prägenden politischen Ereignisse erzählt, sie kontextualisiert und erläutert. Das Buch ist auch ein Plädoyer dafür, einen konsequenten Antifaschismus zu einem festen Teil jedes progressiven Aktivismus und jeder progressiven Politik zu machen.

So erzählt Springfeld von eintönigen Autofahrten zu Familienfreunden, die ihn mit neun Jahren des Öfteren über die Frühlingsstraße führten, wo eines Tages aber »eine gewaltige Lücke in dem endlosen Spalier spießbürgerlicher Reihenhäuser« geklafft habe, dessen Bedeutung er sich damals natürlich noch nicht bewusst war. Ohne es zu wissen, ist er »Zeuge einer Szene geworden, die das ganze Land für eine ganze Weile in einen Schockzustand versetzen würde. Die Frühlingsstraße 26 war der letzte Unterschlupf des NSU vor seiner Enttarnung.« Springfeld bespricht den NSU, dessen rassistische Mord- und Anschlagsserie und deren Unterstützungsnetzwerk, ausgesprochen ausführlich, ganze 30 der 180 Seiten widmet er dem Thema. Dabei verfährt er betont niedrigschwellig, sodass man ihm problemlos folgen könnte, selbst wenn man noch nie auch nur den Namen ›Nationalsozialistischer Untergrund‹ gehört hätte.

Von wem und für wen geschrieben wird

Auf diese Weise macht Springfeld zweierlei klar. Erstens, aus welcher Perspektive er schreibt. Springfeld hat viel Erfahrung in der politischen Praxis, aber ausgefeilte oder überraschende Analysen wären von einem zwanzigjährigen Studenten, der gerade die ersten Semester seines sozialwissenschaftlichen Studiums hinter sich hat, zu viel erwartet. Trotzdem hat Springfeld (natürlich) eine politische Position, die er zum Ende seines Buches hin weniger rechtfertigt, als dass er sie anhand von Schlagworten skizziert: Er will sie überhaupt als ernstzunehmende Diskussionspunkte verstanden wissen, anstatt sie als bloße Spinnereien abzutun, »die uns vielleicht erst mal völlig absurd vorkommen«. Beispielsweise möchte er die Abschaffung der Polizei und des Verfassungsschutzes zur Diskussion stellen, ein Grundrecht auf Wohnen umsetzen, die kapitalistisch-politischen Leitbegriffe von Wohlstand, Wachstum und Fortschritt auf den Prüfstand stellen und betont dabei auch, keine Antworten, sondern viele Fragen zu haben. Springfeld stellt sich trotz seiner Mitgliedschaft bei den Grünen, deren Politik ihn enttäuscht, sowohl inhaltlich als auch in der Frage nach den politischen Mitteln klar auf die Seite von linken, parteiunabhängigen Aktivist:innen:

»Für mich ist deshalb klar: Der außerparlamentarische Protest wird immer wichtiger.«

Zweitens zeigt Springfeld mit seinem niedrigschwelligen Verfahren, für wen er schreibt: Unter Nazis setzt keine Kenntnisse rechtsradikaler Namen, Strukturen oder sonstiger politischer Ereignisse voraus, sondern erläutert von der lokalen Nazi-Größe bis zum Anschlag auf das World Trade Center ausnahmslos alles. Damit richtet sich das Buch im Allgemeinen an Personen, die gerade erst damit beginnen, sich zu politisieren und mit der wachsenden Gefahr einer immer salonfähiger werdenden rechtsradikalen Gesinnung auseinanderzusetzen. Der persönliche Zugang des Texts und das gewählte Sprachregister zeigen aber, dass Springfeld beim Schreiben vor allem Menschen Anfang 20 oder jünger im Auge hatte. Springfeld macht sich nahbar, indem er aus seiner Rolle als öffentliche Person, als antifaschistischer und klimapolitischer Aktivist schlüpft und sich von privater Seite zeigt: Er habe früher bei ›Jugend musiziert‹ Trompete gespielt, höre gern Shisha rauchend Hip Hop und habe im ehemaligen Kinderzimmer »ein[en] Schrein für Michael Jackson« stehen. Diese Nähe kann manchmal auch etwas unbeholfen wirken: »Ich mag Mädchen.«

Laxes Lektorat

Das ist nicht weiter wild und wirkt mitunter sogar sympathisch. An der einen oder anderen Stelle wäre ein strengeres Lektorat aber wünschenswert gewesen. Das betrifft vor allem schiefe Bilder und Ausdrucksweisen, wenn beispielsweise Geflüchtetenunterkünfte »geradezu im Angesicht zerplatzter Träume [brodelten]« oder »die SED-Führung sich in Krisendiplomatie bemühen musste«. Leider finden sich auch Formulierungen, die nicht bloß holprig sind, sondern dem inhaltlichen, antifaschistischen Anspruch des Buchs nicht gerecht werden: Als es um die Anschläge von Hoyerswerda und Lichtenhagen geht, wird die »Brutalität und Primitivität dieser Ereignisse« herausgestellt. Dass der Begriff des Primitiven als Abwertung problematisch ist und in einer kolonialrassistischen Tradition steht, hätte auffallen müssen.

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Jakob Springfeld (mit Issio Ehrich)
Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts

Quadriga Verlag: Köln 2022
192 Seiten, 14,99€

Springfeld, Ehrich und dem Verlag ließe sich vielleicht noch zugutehalten, dass eine Sensibilisierung in der Breite hier wohl noch nicht stattgefunden hat. Anders sieht es aus für eine Textstelle, an der Springfeld schreibt, »Rechtsextremismus und Rassismus haben Zwickau wie ein Parasit befallen«. Eigentlich ist es nicht vorstellbar, dass keine einzige der beteiligten Personen sich darüber im Klaren war, dass biologistische Metaphern nicht nur generell zum Standardrepertoire faschistischer Rhetorik gehören, sondern dass insbesondere die Rede vom Parasiten, der eine Gesellschaft befallen habe, fester Bestandteil nazistischer Ideologie ist: Dort ist es ›der Jude‹, der Deutschland ›befällt‹.

Die Toten

Dabei handelt es sich offensichtlich um unbedachte Ausrutscher, die dem Ansinnen des Buchs insgesamt wenig Abbruch tun, in einer möglichen zweiten Auflage aber unbedingt zu korrigieren sind. Springfeld gelingt es, ein eindrückliches Bild davon zu zeichnen, was es heißt, in Zwickau als linker Aktivist öffentlich in Erscheinung zu treten. Gegenwärtiges und zukünftiges Leben werden bestimmt von einer Angst vor gewaltbereiten Nazis. Um sich zu schützen, vermeidet Springfeld, Wege allein zu gehen und richtet eine Messenger-Gruppe ein, in der Menschen bei konkreter Bedrohungssituation um Hilfe bitten können. Auch Vergangenes ist vor dem Zugriff nicht sicher: Springfeld erzählt von einem Musiklehrer, der ihn maßgeblich geprägt habe und für den er entsprechend große Sympathien hegt. Ausgerechnet dieser erweist sich später als überzeugter AfD-Anhänger, der auch eine Nähe zur Querdenken-Bewegung erkennen lässt. Rückwirkend werden manche, für den damaligen Springfeld harmlose Bemerkungen wie das Beklagen von zu wenig Volksliedern ins buchstäblich rechte Licht gerückt. Angesichts solcher Erfahrungen wird Unter Nazis auch zum Buch eines beeindruckenden, wichtigen Trotzes: Statt sich eingeschüchtert zurückzuziehen, geht Springfeld noch weiter in die Öffentlichkeit. Dabei wird er nicht müde zu betonen, auch in seinem Bedrohtsein noch privilegiert zu sein:

»Meinen [Refugees-Welcome-]Pullover konnte ich jederzeit ausziehen. Jederzeit konnte ich einfach die Klappe halten. Dann müsste ich mir keine Sorgen mehr machen. Wenn du weiß, männlich und unpolitisch bist, kannst du ein schönes, unbeschwertes Leben führen in Zwickau. Für meinen Freund Mostafa sah die Sache anders aus.«

Er bemerkt auch: »Was mir widerfahren war, war auf der merkwürdig verschobenen Messlatte, die in meiner Heimat gilt, noch harmlos.« Konsequenterweise spricht Springfeld abgesehen von den erwähnten Beispielen eigentlich recht wenig über sich selbst, sondern stellt immer wieder diejenigen Opfer rechter Gewalt in den Vordergrund, an die unbedingt erinnert werden muss und deren Schicksale die Gefahr veranschaulichen, die von rechter Gewalt für linkspolitische und vor allem für rassifizierte Menschen ausgeht. Deshalb schreibt er für jedes NSU-Opfer eine Kurzbiographie, deshalb erzählt er die Geschichte des Punks Patrick Thürmer, der 1999 in der Nähe Zwickaus von Nazis totgeprügelt wurde, deshalb beginnt das Buch mit einer langen Liste von 235 Namen (darunter 17 Verdachtsfälle): mit den Namen all jener Personen, die laut Amadeu-Antonio-Stiftung seit 1990 durch rechte Gewalt getötet wurden.

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