In der Malibu-Bubble

Der Sammelband Mindstate Malibu verspricht eine »Spaß-Transformation« und Wege aus der »IRONIC HELL«. Dazu zeigt er neue Tendenzen des digitalen Untergrunds in Deutschland. Garantiert eine Überforderung für Außenstehende – ›Gott sei Dank!‹, meint Felix Keutel. Ein Einblick in die Bubble.

Von Felix Keutel

Bild: By torley via flickr, CC BY-SA 2.0

Schon mal sympathisch: Zwei von drei Umschlagsprüchen kommen von Beiträgern des Bandes selbst, die ihm bescheinigen, »ein affengeiles Powerhouse von einer Anthology« (Creamspeak), ja, sogar »Das interessanteste Buch des Jahres« (Rafael Horzon) zu sein. Tief stapeln geht anders. Bei so einer Einstimmung verschränken sich bei vielen schon mental die Arme, nach dem Motto: »Das wollen wir ja erstmal sehen.« Also sehen wir erstmal.

»Wenn Saudade auf das Silicon-Valley-Mindset trifft« (Dax Werner)

Mindstate Malibu. Untertitel: Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus. Was ist das? Zunächst einmal ist es ein (von der Mache her recht schmucker, hochwertiger) Sammelband. Man könnte auch sagen, ein kunterbuntes Bällebad: aus Tweets, Essays, Interviews, Chatverläufen, wissenschaftlichen Aufsätzen, Bildern und Erzählungen. Die alte Trennung von Hoch- und Populärkultur ist hier längst Geschichte. Vertreten sind die unterschiedlichsten Gestalten. Von selbsternannten Entrepreneuren und Influencern, über Cloudrapper*innen und Akademiker*innen, bis hin zu Konzept- und Performancekünstler*innen, Schriftsteller*innen und Podcaster*innen. Um nur einige namentlich zu nennen: Kurt Prödel, MC Smook, Clemens J. Setz, Signe Peirce, Dax Werner, Haiyti, Andy Kassier.

macbook

Joshua Groß, Johannes Hertwig und Andy Kassier (Hg.)
Mindstate Malibu

Starfruit Publications: Fürth 2018
320 Seiten, 25,00€

 Mehr oder weniger Bekannte also, aktiv auf Twitter mit Followerzahlen zwischen 5k und 23k, auf Instagram bis zu 67k, Alter meist um die 30. Ja, wir bewegen uns tief im 21. Jahrhundert. Und da muss man vorwarnen: Wem bei falscher Grammatik, Anglizismen und schlimmen Wörtern wie ›Hurensohn‹ vor Schreck das Monokel ins Weinglas fällt und wer vor sozialen Medien, Popkultur und, ja also, Spaß an sich die Nase rümpft, für den ist dieses Buch nichts. Alle anderen sind willkommen, jetzt mit abzutauchen in den geheimnisvollen Mindstate Malibu.

Schluss mit zynisch!

Von den beiden Podcastern von Creamspeak bekommt der Leser erstmal eine wahnwitzige Präsentation aufs Blatt geschmissen: »Die Spaß-Transformation«. Das Ganze ist ein How-To dazu, wie man aufhört ein zynischer Stinkstiefel zu sein und endlich lernt ’ne geile Zeit zu haben, ohne gleich zum*r verantwortungslosen Eskapisten*in zu mutieren. Oder wie sie’s formulieren: »Man kann den Biss vom schrumpeligen Apfel der Erkenntnis ja auch mal mit einem geilen Holunder-Craft-Bier vom Fass der Guten Laune runterspülen.«

Der Humor ist albern, schrullig und eigen, durchsetzt von Floskeln wie »da tut sich was«, »pfiffig«, »crunch« (?) und »stark!«, als hätte man es mit der Sorte Werbeleuten zu tun, die Teenagern in TV-Spots Ausdrücke wie »Na logo!« in den Mund legen. Creamspeak schrammen damit hart am Nervigen vorbei, halten den Leser aber doch ziemlich gut bei der Stange. Denn lässt man sich auf diese etwas hibbeligen Blödeleien ein, kann es doch wirklich passieren, dass man, ja, tatsächlich: Spaß hat. Neben solchen Beiträgen direkt aus der Filterbubble liefert der Band noch andere, theoretischere Anreize zur Reflexion. Wer sich von Schlagworten wie ›Hyperironie‹, ›Überaffirmation‹ oder ›Überrealismus‹ angesprochen fühlt, der wird hier glücklich werden.

Mehr als Ironie

In den theoretischen Beiträgen treten die Autor*innen einen Schritt zurück und versuchen in dem bunten Gewusel Muster, Tendenzen und Einflüsse zu erkennen und zu beschreiben. Das gelingt ziemlich gut, ohne die Sache akademisch einzustauben. Instagram vs. Realität, Authentizität vs. Ironie, Grinden und Hustlen, Spieltheorie und Twitter: Die Autoren bewegen sich auch hier am Puls der Zeit. So interpretiert etwa Charlotte Krafft in ihrem absolut lesenswerten Essay einen eigenwilligen Artikel aus dem Magazin Das Wetter über »Die Hyperironie« und nimmt ihn ernst genug, um darin eine »Utopie der ›Hyperironie‹« zu entdecken (vielleicht spielt es dabei eine Rolle, dass – wie umfangreichste Recherchen ergeben haben – der ursprüngliche Artikel von ihr selbst ist).

Ironie ist ein zentrales Problem, wenn es darum geht, die festgefahrenen Wege der Gegenwartskunst zu überwinden. Sie gilt immer mehr als eine fragwürdige Haltung zum Leben (Stichwort ›Hipster‹), bei der man sich früher oder später in der, wie Krafft es nennt, »IRONIC HELL« wiederfindet, »wo ironisch Fernsehen geschaut, wo ironisch getanzt und ironisch ›ich liebe dich‹ gesagt wird«.

Die ›Hyperironie‹ verspricht einen Ausweg aus einem solchen Leben in Anführungszeichen, indem sie »echte Anliegen, wahre und tiefe Gefühle, Kollektivität und Meinungen zulässt«, dabei aber das kritische Potential der Ironie beibehält. Sie biete »die Möglichkeit zu reflektieren und zu relativieren, ohne damit intuitive Meinungen und Ziele aufgeben zu müssen.« Kraffts Utopie weckt die Lust am Neuen, so wie es sich für eine Utopie gehört. Ein eben durch den doppelt-gedoppelten Doppelboden der ›Hyperironie‹ vielschichtiger und unterhaltsamer Text, der gerne erobert werden möchte und zu mehrfacher Lektüre einlädt. Ach und apropos Überleitung:

Die Bubble

Der Verdienst dieses Bandes ist, dass er zum ersten Mal versammelt, was zusammengehört. Der Berliner-Komplex um das Musik- und Literatur-Magazin Das Wetter und den Korbinian Verlag (u. a. Manifest der Ultraromantik) trifft auf den Rapper MC Smook von der Glo Up Dinero Gang (Money Boys Entourage, die über Twitter einen eigenen Slang geprägt hat) und die Rapperin Haiyti (die leider nur Gekritzel liefert), dazu kommen zwei Drittel der Rockband The Screenshots (Dax Werner, Kurt Prödel), Gründer-Twitter (wiederum Dax Werner, Startup Claus) und die für den Literaturbetrieb verhältnismäßig jungen Autoren Leif Randt und Clemens J. Setz.

Wie bei einer Netzwerkanalyse macht Mindstate Malibu Cluster und Verbindungen sichtbar, die vorher eher im Verborgenen lagen. Was all diese Akteure eint, ist eine unverkrampfte Einstellung, die Freude am Spiel, die Einfach-machen-Attitüde. Da fehlen eigentlich nur noch Jonathan Meese und Stefanie Sargnagel. Und die Shitlers. Aber wie bereits erwähnt: Bei so viel Zeitgeist wird sich der ein oder andere überfordert fühlen.

So wimmelt es von Insiderwitzen (Kurt Prödel: »Du Fotze willst sagen Kollegah rappt wie Rakim???«), Entrepreneur-Slang (Startup Claus: »Also was ist der Approach? Performance am Limit. Alles andere ist maximal Poetry Slam.«) und kreativem Umgang mit Grammatik und Rechtschreibung (Kurt Prödel: »SIe bemerkt nach 1 MOment dass sie alleine im Flur steht & sieht, dass die Wäschewanne wo sie abgestellt hatte, nicht mehr da ist.«). Das Buch steckt also recht tief in seinem eigenen Milieu. Für ältere Semester quasi die Neuauflage von ›Dat is Punk, dat raffste nie.‹ Werfen wir noch einen letzten Blick auf die vielen, immer wieder eingeflochtenen Bildbeiträge, bei denen es hier und da ein bisschen hakt.

So ist die Bildstrecke von Kurt Prödel (der »deutsche Walt Disney des Post-Internet-Pop« wie ein verwirrter Feuilletonist ihn mal betitelte) eher eine Slideshow von klitzekleinen Screenshots seiner Projekte und kann die Prödel-Magic der Videos nur mäßig einfangen. Bei anderen Beiträgen kommt einem der fatalste Gedanke, den Kunst in einem überhaupt auslösen kann, nämlich: Kunst. So glotzt man hier auf pixelige Flammenzungen, irgendwelche Felsmassive und krakelige Filzstiftzeichnungen von Cocktailgläsern (oder Eisbechern?) und fragt sich: Was soll das? – Kunst halt.

Aber das sind auch nur Mäkeleien an einem super Buch (und wie war noch gleich dessen Untertitel?). Wer Mindstate Malibu liest, der klinkt sich direkt ein ins Hier und Jetzt des 21. Jahrhunderts. Ein Buch mit Mut zum Fun, das den Zeitgeist nicht nur wiedergibt, sondern überwindet. Das mag den ein oder anderen zunächst irritieren, aber hey: Ist das nicht immer so mit den Dingen, die wirklich neu sind?

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