Wie ein Trottel sein Leben bestreitet

Trottel ist ein autobiographisch grundierter Roman, der unter anderem durch seine detailreichen Abschweifungen die Nerven auf die Probe stellt und gleichzeitig die Neugier weckt. Jan Faktor wurde dafür mit dem Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet sowie für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Von Anna Röttger

Bild: Via Pixabay, CC0

Bereits auf der Innenseite des Bucheinbands von Trottel sind Textabschnitte gedruckt, die mit folgender Aussage überschrieben sind: »Anregungen und Vorschläge für Rezensenten, nützliche Bonmots für Streitgespräche oder zukünftige Nackenschläge«. Ist das ernst gemeint? Die Vorschläge umfassen provokante, wertschätzende, sachliche und zerreißende Aussagen, wie zum Beispiel: »Ist dieser Mensch noch zu retten? Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst albernes Buch über den Tod seines eigenen Sohnes zusammenstoppelt? Das Antwortwort heißt eindeutig Nein!« Diese knappen, zusammengewürfelten Kommentare wirken spannend und wecken die Neugier. Ob sie zutreffen, wird diese Rezension zeigen.

Der Roman Trottel handelt von einem jungen Mann, der aus seiner Heimat Prag nach Ostberlin zieht. Dort heiratet er und gründet eine Familie. Sein Sohn spielt eine wesentliche Rolle, da dessen Kindheit und spätere Krankheit geschildert wird. Verwoben mit dieser Handlung sind Exkurse, die unter anderem von der Identität des Protagonisten, seiner Beziehungen oder der Berliner Kulturszene berichten. Die Leserschaft erhält dadurch beispielsweise ausführliche Informationen über die Besonderheit von DDR-Geräten, über die weibliche Sexualität oder – immer wiederkehrend – über die Musikband Rammstein.  Die Themen Trottel-Sein, Suizid des Sohnes sowie Leben in Prag und Ostberlin stellen die zentralen Schwerpunkte des Romans dar.

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Jan Faktor
Trottel

Kiepenheuer & Witsch: Köln 2022
400 Seiten, 24€

Auf Identitätssuche zwischen Prag und Ostberlin

Bereits zu Beginn des Werkes bezeichnet sich der Ich-Erzähler als Trottel. Er sei immer gut gelaunt, aber »andersartig«, auch aufgrund seines intensiven Grübelns. Mitmenschen, mit denen er nicht mithalten könne, würden ihn »behutsam« behandelt, während er sich unauffällig und inaktiv verhalte. Doch im Verlauf der Handlung scheint sich die Auseinandersetzung mit der titelgebenden Trottelhaftigkeit zunehmend aufzulösen. Der Protagonist entwickelt und befreit sich von seiner Zuschreibung.

Vor allem als Nachkomme eines Trottels habe man es besonders schwer, formuliert die Erzählinstanz, und kündigt damit die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sohn an. Der Vater stellt das Kind als vielseitig begabt, intelligent und »engelsgleich« vor. Als der Sohn zu Hause auszieht, distanziert dieser sich von seinen Eltern, betäubt sich mit Drogen und pflegt sporadische Liebesbeziehungen, die sich aufgrund seiner Attraktivität leicht bilden. Mit 25 Jahren, so schilderte es der Vater, bricht daraufhin eine psychische Krankheit aus, die ihn zu Klinikaufenthalten zwingt, später in eine Aussteigerkommune führt und schließlich im Suizid endet. Der Vater berichtet nüchtern und distanziert, wenngleich er durchgehend in Kontakt zu seinem Sohn stand. Nach dem Suizid wird die Überforderung der Eltern, die mehrere Jahre fortwährt, geschildert. Diese zeigt sich ungewöhnlicherweise nicht anhand der Beschreibung der Gefühlslagen, sondern in der ausführlichen Empfehlung von Medikamenten gegen die Antriebslosigkeit.

Ein weiterer Handlungsstrang, der sich über das ganze Buch erstreckt, thematisiert die Biographie des Vaters. Aus Prag stammend, pendelt er als Berufsfahrer nach Ostberlin. Seine Heimatstadt erlebt er als traditionsreich und unsicher und schildert die Ordnung, die in den Haushalten herrscht. Berlin zeichnet sich demgegenüber durch seine Offenheit und Einfachheit aus, auch hinsichtlich des städtischen Drecks, und wird die Wahlheimat des Protagonisten:

Den vielen in Deutschland lebenden Pragbewunderern (»Ach, so eine schöne Stadt!«) sei hier gesagt: Was hat man von einer schönen Stadt, wenn man sich dort beschissen fühlt? Ehrlich gesagt war es mir lieber, nach meinem Landeswechsel vor der Mulackritze gelegentlich mit zu Brauneis erstarrten Kackhaufen Fußball zu spielen als in Prag wegen jeder erspähten Uniform zu zucken.

Begappte, Begrabbelte oder Graubegraulte

Eine sprunghafte Erzählweise prägt den Text. Dabei werden fortwährend Einfälle und Ereignisse abseits der Handlung detailreich berichtet, die teilweise eine Reflexion über den Text selbst beinhalten. Die sprachliche Vielfalt reicht dabei von frech, albern und grotesk bis hin zu kühler Wortwahl und knappen Formulierungen. Die Sprache spielt mit Worten und wird poetisch-kreativ: »Erzähle ich zu viel Überflüssiges – oder sogar den reinen, unsauber randomisierten Unsinn? Das könnte der eine oder andere Begappte, Begrabbelte oder Graubegraulte vielleicht meinen.« Und wiederholt wird die Leserschaft durch ein »Aufgepasst!« oder durch Ansprachen wie »Liebe Studentissinnen und Stundentate, liebe Omnibustanten und Barkaspaten, liebe Seegurken und Untergürtelspäher« adressiert.

Auffällig ist darüber hinaus eine Vielzahl von Fußnoten. Sie enthalten vertiefende Informationen, Kommentare und weiterführende Quellen. Die Handlung wird in regelmäßigen Abständen von Aussagen unterbrochen, die den Anschein aufkommen lassen, als sei das soeben Geschriebene nicht mehr überarbeitet worden. So werden beispielsweise Prognosen über den Inhalt der folgenden Kapitel geäußert oder Informationen an den Verlag oder das Lektorat scheinbar im Fließtext weitergegeben:

Ich fürchte, lieber Jan Moritz, dass ich in diesem Kapitel ein furchtbares Durcheinander hinterlassen habe. Sei bitte gnädig mit mir!

Der Erzähler weist Parallelen zu dem Autor Jan Faktor auf. Die Familienmitglieder des Protagonisten sowie er selbst, im Gegensatz zu Bekannten und am Roman Mitarbeitenden, werden im Buch nicht namentlich erwähnt. Sie werden ausschließlich als »meine Mutter«, »meine Frau« und »mein Sohn« angesprochen. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten nicht von der Hand zu weisen: Der Protagonist ist ebenfalls als Jude in Prag geboren und zur selben Zeit in die DDR gezogen, wo er gemeinsam mit Frau und Sohn lebte. Wie Faktor arbeitet das Ich im Roman als Erzieher und Handwerker in Berlin, wenngleich ihn das Schreiben schon immer leitet. Insgesamt stellt Trottel daher einen autofiktionalen Roman dar.

Voller Exzellenz und Schwachsinn

Der durch den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnete Roman Trottel wirkt durch die vielen Einschübe und detaillierte Informationen während des Lesens herausfordernd, bietet jedoch die Möglichkeit einer großen Anzahl an Entdeckungen. Durch den Schreibstil ist für die Lektüre ein hohes Maß an Konzentration aufzubringen, doch die einprägsamen und authentischen Schilderungen belohnen die Leser:innen im Anschluss. Darüber hinaus brilliert der Roman durch eine besondere Perspektive auf die Thematik rund um die DDR und einem väterlichen Blick auf eine dramatische Familiensituation. In einem seiner »Bonmots«, die im Bucheinband niedergeschrieben sind, scheint Jan Faktor dem hier gezogenen Fazit tatsächlich zuzustimmen: »Kenntnisreich geschrieben, exzellent recherchiert, teilweise trotzdem voller Schwachsinn. Viel Verwirrung stiften vor allem die zu Hunderten in den Fußnoten untergebrachten Detailinformationen.«

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